Auf alle Reaktionen im Zusammenhang mit der Petition "Nächstenliebe verlangt Klarheit" möchte ich versuchen, meine Motivation zu erklären. Das ist kein Versuch einer Rechtfertigung, sondern eine Erklärung - denn ich stehe zu dem, was wir gemacht haben.
Zur Zeit erleben wir in Deutschland eine Refaschistisierung in Politik und Gesellschaft. Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus auf den Straßen und in den Parlamenten und Talkshows werden wieder normal.
Jüdinnen und Juden und Menschen mit Mirgrationsbiografien haben wieder Angst in Deutschland - und zwar berechtigterweise.
In dieser Situation schweige ich nicht. Es gibt einen Imperativ aus unserer Geschichte - Nie wieder Faschismus!
Und auf dem Hintergrund auch unserer christlichen Geschichte erwarte ich auch von meiner Kirche und vom Repräsentanten dieser Kirche, dass sie ihre Stimme erheben, wenn gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wieder durch eine politische Partei propagiert wird und auch schon Folgen zeigt.
Genau das habe ich von Herrn Dr. Rentzing gefordert - Klarheit im Blick auf seine Biografie und gegenüber der AfD. Das war Anlass und Motivation für mich, die Petition “Nächstenliebe verlangt Klarheit“ zu starten.
Dass die Petition an seinem Geburtstag online ging, war Zufall - ich wusste nicht, dass Dr. Rentzing an diesem Tag Geburtstag hatte. Hätte ich es gewusst, hätte ich gewartet.
Der Petition gingen nichtöffentliche Bemühungen voraus, in diesen Fragen eine Klärung zu erlangen. Diese Klärung ist nicht erfolgt. Und als Folge haben wir unsere Petition öffentlich gemacht.
In der Folge dieser öffentlichen Forderung passierte etwas, womit wir nicht gerechnet hatten - es kam eine Wahrheit ans Licht. Herr Dr. Rentzing war viel tiefer im Rechtsnationalismus verankert, als wir es geahnt hatten. Und er hat darüber die Unwahrheit gesagt - zuletzt in einem Interview mit der Leipziger Internetzeitung. Aus diesem Grund ist nach meiner Meinung der Rücktritt auch unausweichlich gewesen. Wäre er von Anfang an offen damit umgegangen, wären die Texte kein Grund gewesen. Die Petition war es ohnehin nicht.
Dass er noch immer mit Protagonist*innen aus dieser Zeit befreundet ist, macht die Angelegenheit in meinen Augen immer noch problematisch. Das betrifft vor allem die Freundschaft mit dem Leiter der Bibliothek des Konservativismus. Denn auch da war nicht der Vortrag allein das Problem, sondern die Nähe zu dem Leiter dieser Einrichtung. Und diese Bibliothek gehört in ein Netzwerk rechtsnationalistischer Gruppen. Hier wäre eine Klärung der Begriffe wichtig.
Also noch einmal: Meine Intention und meine Motivation sind ganz einfach: Nein zu Nazis; nein zur AfD - laut, deutlich und klar. Dieses Nein ist ein historischer Auftrag an uns als Kirche Jesu über alle Frömmigkeitsvorstellungen hinweg, insbesondere aufgrund unserer Schuldgeschichte als “deutsche Christ*innen“.
Dass unsere Petition eine Dynamik bekommt, habe ich geahnt und auch gewollt. Das jedoch, was dann passieren würde, hat uns alle überrascht und auch erschreckt.
Das aber hat sich Herr Dr. Rentzing zuzuschreiben. Denn es war nicht die Petition und es waren auch nicht die Texte alleine, sondern sein Umgang mit seiner Vergangenheit. Er hatte keinen klaren und für Außenstehende nachvollziehbaren Schnitt zu dieser Vergangenheit gezogen.
Aber: Er hat daraus die Konsequenzen gezogen - und damit Verantwortung übernommen. Es wäre schön, wenn seine Anhänger*innen das würdigen würden.
Und noch einmal: Es ist unerträglich, dass am 09. November Nazis auf den Straßen Deutschlands demonstrieren und in den Parlamenten Leute sitzen, die offen rassistisch, nationalistisch und antisemitisch agieren.
Dazu gibt es nur ein klares Nein - oder wir machen uns mitschuldig an dem, was schon - gerade jetzt - passiert und passieren kann und wird, wenn und weil wir schweigen.
Frank Martin
Lengefelder (Dienstag, 12 November 2019 15:56)
Sehr geehrter Herr Martin , vielen Dank für den Mut so eine Petition gestartet zu haben. Erschreckend finde ich wie in vielen erzgebirgischen Gemeinden die Petition verschimpft wird als links provozierend als Intrigant dargestellt wird . Ich finde es erschreckend, dass konservative Christen das ehemalige Kirchenoberhaupt verteidigen. Mit allen Mitteln versuchen auch sogenannte bekenntnistreue Pfarrer die ideologische Färbung des Herrn Dr. Rentzing zu rechtfertigen, zu entschuldigen. Man denkt gesellschaftliche als bedrohlich empfundene Veränderungen mit rechtsgerichteter Ideologie abwehren zu können , um die eigene heile Welt so zu konservieren . Angst ist bei vielen Christen ein großes Thema ( Flüchtlinge Genderdebatte) , man fürchtet etwas zu verlieren , vom Islam überrollt zu werden, so meine Wahrnehmung. Man hilft Flüchtlingen mit dem Ziel sie auf den rechten christlichen Pfad zu bewegen und dem Islam entgegen zu wirken . So fordert es ja ein Text der Landeskirchlichen Gemeinschaft . Menschen werden instrumentalisiert, um starre religiöse Ansichten zu zementieren. Mit einem Herrn Dr. Rentzing an der Spitze haben sich viele Pfarrer „sicher“ gefühlt ihre rechtslastigen religiösen Ansichten offen zu verbreiten . Vertrauen wird so zum Fremdwort wie ich finde, es regieren Abschottung und Abgrenzung von der bösen Welt , Verfolgung als Zeichen des Glaubens. Es wird gegen die eigene Kirchenführung gewettert, es wird gedroht mit Gottes Gericht in im Netz veröffentlichten Texten. Da sind Linksradikale von Dämonen besetze Kräfte am Werk die alles zerstören wollen . Sie schmunzeln ? Das ist leider das Denksystem vieler Leute . Ps. Bitte manche Rechtschreibfehler zu entschuldigen i phone Tastatur ist nicht das beste Mittel um zu schreiben
Juliane Keitel (Dienstag, 12 November 2019 21:01)
Lieber Frank Martin,
es ist mir ein Bedürfnis, mich für das Einfordern von Klarheit, das die Petition als Ziel hatte, bei Ihnen und den anderen Erstunterzeichnern einmal ausdrücklich und herzlichst zu bedanken. Ich war so sehr erleichtert, damit endlich auch für mich eine Plattform gehabt zu haben, auf der ich meinem Frust und Ärger über die Nicht-Positionierungen meiner Landeskirche zu den (kirchen-)politischen und gesellschaftlichen Geschehnissen in Sachsen - und es war und ist ja nicht nur Dr. Rentzing allein - Ausdruck geben konnte. Ich kann mir gut vorstellen, welche Kraft es Sie gekostet hat, diese Zeit durchzuhalten. Ganz, ganz herzlichen Dank dafür! Es war richtig, notwendig, unvermeidlich, dass es diese Form von Öffentlichkeit gegeben hat.Toll, dass Sie Zeit und Kraft dafür gegeben haben. Tragisch, wie es dann verlaufen ist, aber das ist manchmal der Preis.
Die nachfolgenden Ereignisse nach dem Start der Petition untermauern aber - bis heute - ihre Wichtigkeit. Wir haben zwar (bisher) explizit keine Klarheit erhalten über Dr. Rentzings derzeitige Einstellungen zur Neuen Rechten, aber Klarheit darüber, dass er tief verstrickt war (ist?) in deren geistige Welt und Ziele. Die Texte sind allesamt unerträglich, und es ist nur recht und billig, wissen zu wollen, wann und wie Dr. Rentzing Veränderungen in seiner Einstellung vollzogen hat. Das kann man doch nicht - wie manche fordern - auf sich beruhen lassen, nur weil er einmal zum Bischof gewählt wurde. Außerdem gab es Klarheit über seine Eignung für das Bischofsamt: Dass er statt einer Darlegung seiner heutigen, aktuellen Position es vorzog, zurückzutreten, disqualifiziert ihn in meinen Augen auch rückblickend noch einmal für dieses Amt. Vielleicht übernahm er damit Verantwortung, wie Sie und andere schreiben - aber für wen denn eigentlich? Für die Kirche, für sich selbst, für diejenien, die ihn gewählt haben, oder für die, die ihn halten wollten...? Hätte es 'die Kirche' nicht ausgehalten, wenn er sich erklärt hätte? Ist sie genau dafür nicht eigentlich die Expertin? Und wurde denn von der sächsischen Landeskirche durch seinen Rücktritt tatsächlich Schaden abgewendet? Was ist das für eine Vorstellung und was bedeutet sie konkret? Ich merke, dass bei mir immer noch viele Fragen da sind.
Aktuell treibt es mich um, dass offenbar Christinnen und Christen aus der Kirche austreten, weil in der EKD Spenden für ein Rettungsboot im Mittelmeer gesammelt werden oder/und wegen des Umgangs mit Dr. Renzting. Zeigen sich hier wiederum die jahrelangen Versäumnisse der sächsischen Landeskirche in Sachen Klarheit?! Ich kann nur hoffen, dass es nun - da Herr Dr. Rentzing nicht mehr Bischof ist - zu diesen ungeheuerlichen menschenverachtenden Haltungen Worte der Klarheit auch aus der Landeskirche gibt. Aber da Dr. Rentzing ja nicht allein das Problem war, ist meine Hoffnung äußerst fragil. Leider.
Frank Martin (Dienstag, 12 November 2019 22:28)
Liebe Frau/ lieber Herr? Lengefelder,
ich schmunzle nicht. Auch ich kenne diese Welt ein bisschen.
Ich verstehe Wut und Trauer. Und auch, dass manche sich jetzt so äußern.
Aber da es nicht um ein theologisches oder religiöses Problem geht, sondern um ein politisches, wird sich die Spreu vom Weizen trennen.
Wer das Evangelium Jesu Christi ernst nimmt, kann mit Nationalist*innen keine gemeinsame Sache machen. Und im Umkehrschluss nicht das Evangelium wirklich ernst nehmen.
Danke für Ihre ermutigenden Worte.
Ihr
Frank Martin
Frank Martin (Dienstag, 12 November 2019 22:45)
Liebe Frau Keitel,
herzlichen Dank für die Ermutigung. Es ist ja unser Privileg, dass wir uns entscheiden können, so oder anders zu handeln. Uns war es wichtig, auch für die die Stimme zu erheben, die diese Möglichkeit nicht haben. Jetzt ist die Situation so. Das hatten wir nicht erwartet. Aber nun müssen und können wir sie neu gestalten.
Wer aus diesen Gründen aus der Kirche austritt, trifft die richtige Entscheidung. Denn wer das Retten von Menschen ablehnt, gehört nicht in die Kirche Jesu Christi. Am Ende sind wir vielleicht weniger. Aber das müssen wir dann aushalten. Und wir alle, die wir in der Kirche bleiben, werden uns neu verständigen müssen.
Herzlich
Ihr Frank Martin
Gert Flessing (Mittwoch, 13 November 2019 10:41)
Lieber Bruder Martin,
danke für diese ausführliche Erklärung Ihrer Intentionen.
Es stimmt, das wir, in unserer Gesellschaft, die Mitte verloren haben und es einen spürbaren Ruck gibt, der eben auch durch die Kirche einen Riss gehen lässt.
Es kann nicht sein, das Menschen Angst um ihr Leben haben müssen, weil sie von bestimmten Gruppierungen ausgegrenzt werden.
Wenn jüdische Menschen angegriffen werden, so hat das, in unserer Gesellschaft, keinen Platz und in unserer Kirche schon gar nicht.
Wenn Parteien es nicht schaffen, sich von solchem Treiben zu distanzieren und es zu verurteilen, sind sie, für einen Christenmenschen, der das Evangelium ernst nimmt, nicht wählbar.
Da müssen wir ein klares Nein sagen.
Ich bin, politisch gesehen, konservativ. Ich sehe mich, in gewisser Weise, als Preuße. Dazu gehören, neben Disziplin, Einsatzbereitschaft und Mut, auch Toleranz gegenüber den Menschen, die einem begegnen.
Die hat dort ihre Grenzen, wo Menschen andere Menschen beleidigen, verletzen und herabwürdigen.
Theologisch bin ich eher liberal eingestellt und schätze zu viel Frömmelei nicht sonderlich.
Die Frage, die sich mir stellt, ist, wie es, innerhalb unserer Kirche weitergehen kann. Sie haben Recht. Wir müssen uns neu verständigen.
Sowohl über das, was Zentrum unseres Glaubens ist, als auch, wie wir in einer Gesellschaft, die ihre Mitte verloren hat, agieren können, ohne "zu schreien".
Mit freundlichen Grüßen
Gert Flessing
Frank Martin (Mittwoch, 13 November 2019 21:08)
Lieber Herr Flessing,
manche Grenzen verlaufen nicht zwischen konservativ, evangelikal, liberal oder befreiungstheologisch. Sie verlaufen zwischen evangelisch und nationalistisch.
Es gibt große Unterschiede - aber an der Stelle sollten wir uns einig sein.
Ob wir eine gemeinsame Mitte suchen sollten, weiß ich nicht. Was sollte diese Mitte sein? Und wie stellen wir fest, dass es die gleiche Mitte ist? Indem wir einen Namen vor uns hinstellen?
Ich denke eher, dass wir Grenzen ziehen sollten. Und so habe ich Herrn Guse auch verstanden.
Es würde mich freuen, wenn ich Ihnen meine Intention verdeutlichen konnte.
Freundlich zurück -
Frank Martin
Gert Flessing (Donnerstag, 14 November 2019 10:45)
Lieber Bruder Martin,
wir leben in einem Europa, das bereit war, die Grenzen zwischen den einzelnen Ländern, zu öffnen. Wenn ich nach Frankreich fahre, ist da kein Hindernis mehr, wenn ich an die polnische Ostsee fahre, merke ich erst an den Ortsschildern, dass ich Deutschland verlassen habe.
Es ist wohltuend, so reisen und leben zu können. Ich halte, gesellschaftlich, den Gedanken von einem geeinten Europa für eine gute Mitte, denn hier liegen unzählige Möglichkeiten, die wir noch erschließen können.
Gut. Ich weiß, dass Sie andere Grenzen meinen. Da bin ich völlig bei Ihnen. Wo Heimatverbundenheit zu abgrenzendem Nationalismus wird, muss eine geistige Grenze gezogen werden.
Für uns als Kirche sollte es freilich eine Mitte geben. Jesus Christus, Sohn Gottes, gestorben für unsere Sünden am Kreuz, Mittler der Gnade Gottes, auferstanden, uns zu einer Hoffnung.
Wenn das unsere Mitte bleibt, dann können wir, egal, ob wir evangelikal, liberal oder anders geartet sind, immer wieder dort hin zurück, um miteinander zu reden. Ob wir uns immer und in jedem Punkt unseres Denkens verstehen werden, sei dahin gestellt. Aber wir können da die Kraft zu einem friedlichen Miteinander finden.
Einen angenehmen Tag
Gert Flessing
Juliane Keitel (Samstag, 16 November 2019 02:13)
Ich muss hier kurz meinen Ärger loswerden: nach der nun endlich erfolgten und erwarteten, dann aber absolut grusligen Rede von Dr. Rentzing bestehen für mich eine extreme Ernüchterung und 'Klarheit'. Es war eine strategische Rede, die neben der theologisch armseligen, zusammenhangslosen Aneinanderreihung von Bibelzitaten alles enthält, was sie als eine Rede im Geiste der Neuen Rechten auszeichnet: Emotionalisierung, Whataboutism, Polemik, Demut i.S.v. fishing for compliments, Instrumentailsierung der Ostdeutschen und seiner Töchter, letztere als Aufwertung seiner selbst, und vor allem die Selbst-Stilisierung als Opfer, und zwar fast ausschließlich als Opfer. Ekelhaft. Ein Wolf im Schafspelz, um auch mal ein Bibelwort zu bemühen. Wie soll das alles nur weitergehen? Soll er wirklich Pfarrer in einer sächsischen Gemeinde bleiben und dort weiterhin wirken dürfen? Als jemand, der keine klaren Worte für seine demokratiefeindlichen (und nicht bloß demokratiekritischen, wie er selber sagt) Texte fand und nicht mal sagen kann, wie sein heutiges Staatsverständnis ist, wenn es doch in den damaligen Texten so eindeutig demokratiefeindlich ist, auch bzw. gerade wenn man sich ihnen 'historisch-kritisch' nähert? Und als jemand, der von seinem Verdienst finanziell eine schlagende Verbindung unterstützt? Oder wird er da nun auch mal austreten?? Es ist alles echt nur zum Verzweifeln.
Sascha Wildenhain (Samstag, 16 November 2019 10:08)
Hallo liebe Frau Keitel,
ich verstehe Ihren Ärger, mir geht es ähnlich. Bei mir ist es ein Gemisch aus Ärger,Verständnislosigkeit, Kopfschütteln...
Aufgrund einer erheblichen persönlichen Verfehlung in meinem Privatleben habe ich vor 2 Jahren meine Kirchenvorstandsmitgliedschaft und mein aktives Prädikantendasein komplett auf Eis gelegt, weil ich dies für geboten hielt. Getaufter Christenmensch, der glauben kann bin und bleibe ich aber und aus der Kirche werde ich auch nicht austreten, obwohl mir in den letzten Monaten oft danach zumute war. Ich schließe mich den klaren Worten der Erklärung Frank Martins an und sage: Herr Rentzing hätte seinen Rücktritt NICHT anbieten müssen, es hätte vollkommen ausgereicht, wenn er sich mal klar positioniert hätte, dann wäre die ganze Angelegenheit nach 14-tägigem Medienhype vorüber gewesen und alle hätten sich wieder hinlegen können...Gestern habe ich mir seine Rede angehört und ich war genau so erschrocken wie sie. Es ist immer wieder das gleiche Muster: WIR sind die Opfer. Am Anfang sagt er, dass es völlig verkehrt sei, die Schuld bei anderen zu suchen und dann macht er fast den ganzen Rest seiner Rede nichts anderes als genau dies. Entsetzt war ich über den aufbrandenden Applaus an den entsprechenden Stellen, das sagt auch ganz viel aus. Ich denke, Carsten Uwe Rentzing ist ein sensibler Mensch, aber es fällt ihm schwer, das zu zeigen. Kann ich bei ganz vielen Menschen, die sich nach rechts hingezogen fühlen, wahrnehmen. Bloß keine Gefühle zeigen, bloß nicht sagen, wie es mir wirklich geht und wo die wirklichen Ursachen meines Ärgers/ Frustes liegen, immer ganz viel auf irgendwelche anderen Menschen oder Gruppen projizieren. Vorübergehenden Halt in der bösen Welt geben auch: Uniformen, Fahnen, klare, autoritäre Strukturen und eindeutige Erklärungen auf komplexe Fragen. Nach einem Angelhaken im Leben von Bischof Rentzing hat auch keiner gesucht, wenn überhaupt -um im Thema zu bleiben- ist nach einem Fisch gesucht worden, der immer mal wieder stark gerochen hat. Hat die sächsische Kirchenleitung eigentlich einen professionellen Medienberater?
Es tut mir leid für Carsten Rentzing und die momentane Verfasstheit unserer Kirche und uns alle, dass die "Fronten" so verhärtet sind, ich wünsche mir, dass das hoffentlich bald mal wieder besser wird, dass wir alle entspannter miteinander umgehen können und mit viel mehr HUMOR. Ich bleibe aber dabei: es muss rote Linien geben, die nicht überschritten werden dürfen, gerade angesichts unserer Geschichte. Das muss Grundkonsens sein, ansonsten werden wir nicht zueinander kommen, sondern uns womöglich noch richtig spalten, was nicht gut wäre, denn wir sind sowieso schon in der gesellschaftlichen Minderheit.
Herzlicher Gruss!
Sascha Wildenhain
Frank Martin (Samstag, 16 November 2019 10:13)
Liebe Frau Keitel,
ich kann Ihren Ärger verstehen. Es ist jetzt auch an uns, die notwendigen Klarheit und Klärung zu fordern. Die Rede war ein jämmerlicher Abschluss in einem traurigen Kapitel. So schlimm habe ich es nicht erwartet.
Aber es ist unsere Kirche. Und da bleibt für mich genug Grund zur Hoffnung.
Dr. Rentzing wollte die Deutung vorgeben. Und wie für ihn typisch hat er mit der Ignoranz seiner geborgten Macht gemeint, als Monopolist der Rede könne er das. Ja, aber nur für den Augenblick. Und wie jetzt schon seine Rede kritisch beleuchtet wird - inklusive der für Neurechte typischen Plattitüden - wird auch seine Person eine angemessene Bewertung erfahren, die nicht er bestimmen kann.
Und jetzt müssen wir das nächste Kapitel in der Geschichte schreiben - möglichst ohne ihn.
Herzlich in Verbundenheit
Frank Martin
Gert Flessing (Samstag, 16 November 2019 19:22)
Tja, ich kann Herrn Dr. Rentzing durchaus verstehen. Ich habe seine Rede nicht gehört, aber ich habe sie mir heruntergeladen, was der "Sonntag" ja ermöglicht hat.
Seine jugendliche "Selbstfindungsphase", die er beschreibt, kann ich, als älterer, gebürtiger DDR Mensch nicht so ganz nachvollziehen, obwohl wir mehr Westfernsehen angeschaut haben, als das der DDR.
Verstehen kann ich, dass er, vor allem als junger Mensch, an der CDU damals verzweifelt ist. Da ich, in den achtziger Jahren, zweimal den Westen bereisen durfte, weiß ich jedoch, das man uns und die deutsche Einheit, abgeschrieben hatte.
Interessant ist, dass er die Frage der nationalen Einheit als etwas durchaus persönliches betrachtete.
Ich kann verstehen, das ein Mensch von manchen Fragen, auch Zukunftsfragen, umgetrieben wird, und in der Literatur, für einen Studenten logisch, Antworten sucht.
Wohin seine Lektüre ihn führte, kann man sehen. Das, was er daraus machte, mag fragwürdig sein. Aber es wird ja auch in der Synode unterschiedlich gewertet.
Ich selbst halte auch nicht viel von Bekehrungsgeschichten. Aber ich kann verstehen, das er 2. Kor. 5,17 zitiert. Das hat durchaus seine Berechtigung.
Das er von Anfang an umstritten war, ist sicher. Das jemand vor über einem Jahr schon recherchiert hat, ist, in meinen Augen bemerkenswert. Suchet, so werdet ihr finden? Aber nein, das wäre ja schäbig.
Nun ärgert sich mancher. So ist das im Leben.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Samstag, 16 November 2019 23:07)
Sehr geehrte Damen und Herren,
unsere Kirche ist auf dem Weg der Selbstfindung, wie jeder einzelne Mensch. Nach dem gestrigen Höhepunkt der Tragödie möchte ich einen konstruktiven Beitrag zur Verständigung leisten:
Worum geht es?
Es geht um die Frage, wie wir miteinander leben wollen/ sollten/müssten oder was meinen Sie? Es geht um die Frage der Kultur des gesellschaftlichen Miteinanders. Ich muss meinen Glauben nicht ständig vor mir hertragen. Dietrich Bonhoeffer hat das sinngemäß auch mal ausgesprochen, er hat das gelebt und dieses Nazigesindel hat ihn umgebracht. Ich verneige mich vor solchen Menschen.Was ich aber in der Hand habe, ist, meinen Mund aufzumachen gegen Missstände.
Eine kleine, wahre Geschichte:
Seit Jahren wirbt das Bundesland Sachsen auf seiner offiziellen Homepage mit dem Slogan: "Billiglohnland". Das heißt, man wirbt noch damit, dass es in Sachsen so ist, dass hier "billige Löhne und Gehälter" gezahlt werden und dass das auch so staatlich unterstützt ist. Eine feine Sache, nicht wahr? Hunderttausende Menschen (die sich nicht in unsere Kirchen und Gottesdienste begeben) rackern sich hier jeden Tag ab und werden mit Billiglöhnen und-Gehältern abgespeist, von deren verfügbarem Rest sie sich dann "preiswerte Waren" aller Art kaufen dürfen. Das nenne ich doch mal nachhaltige Politik!! Wir quälen und zerschinden unsere wunderschöne Erde, und machen auch noch Reklame dafür! Von der sogenannten Alternative für Deutschland kommt außer Hassgegeifer NICHTS. 30 Jahre Wiedervereinigung wurden groß gefeiert, zu Recht, aber eben auch leider nur offiziell staatstragend. Die INNERE DEMOKRATISIERUNG der Menschen hat sich bis heute kaum ereignet. Wie Zombies rennen sie jeden Tag ihrem Broterwerb nach und es findet eben nachweislich nicht statt, dass eine wachsende Menschenmenge sich dafür interessiert, wie Demokratie funktioniert, wie sie strukturiert ist und welchen Platz der einzelne Mensch in ihr finden kann. Aggressive Neonazis wie Bernd Höcke machen Riesenstimmung und es gibt nicht wenige Menschen, die sich von diesen Leuten fangen lassen. Sie merken es nicht, dass diese braunen Schreihälse ihre individuellen Lebensprobleme auch nicht lösen, wahrscheinlich sind sie ganz einfach nur zu dämlich dazu, das zu begreifen, tut mir leid, das ich das so drastisch formuliere. So, jetzt die Information, die ich eigentlich loswerden möchte: Es geht aus meiner Lebenserfahrung wohl nicht anders, als das sich Menschen damit beschäftigen müssen, wie die Demokratie funktioniert! Beispiel;
Unternehmen werden gegründet, ein oder mehrere Produkte X werden hergestellt und dazu braucht man Menschen, die diese Prozesse mitgestalten dürfen. Wir alle wissen-und dieses Wissen wird uns auch biblisch vermittelt- sind wir Menschen im Zweifelsfall gnadenlose Egoisten. Es sei denn, wir lassen die Liebe- also Gott- in unser Herz. Nebenbei kann man auch noch dafür sorgen, dass sich Einkommensverhältnisse angleichen! Das wird nicht geschenkt und es trägt auch keine bischöfliche Ansprache dazu bei, dass sich diesbezüglich etwas verbessert. Also: Mut zusammen nehmen und mit seinem Arbeitgeber in Verhandlungen treten. Ja, ich weiß, jetzt kommen gleich die ganzen Kommunistenhasser angerannt und hauen auf mich drauf, ist mir aber vollkommen egal. Ich verweise auf die großartige Rede des ehemaligen Bundestagspräsidenten Robert Lammert zum 125-jährigen Jubiläum der IG Metall.
Wenn die Menschen hier in den neuen Bundesländern sich von ihrem Konsumenten- und Produzentendasein lösen könnten, würden wir weiter kommen.
Ich für meinen Teil habe dazu beigetragen, dass in dem Unternehmen, in dem ich ein Gegengewicht bilde, folgende Entgeltgruppen seit 01.07.2019 Realität sind:
Entgeltgruppen/Bruttolöhne:
3:2048€
4:2170€
5:2316€
6:2438€ (Eckentgeltgruppe)
7:2560€
8:2706€
9:2901€
10:3047€
11:3267€
12:3510€
13:3779€
14:4047€
15:4364€
16:4754€
Diese Löhne und Gehälter fließen jeden Monat auf die Konten der Mitarbeiter dieses Unternehmens. Der Arbeitgeber lässt dieses Geld aus reiner Nächstenliebe fließen, weil er so ein großes Herz hat. Wir haben in den Verhandlungen auch mal kurz angedeutet, das es auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung gibt.
Menschen ertrinken im Meer, weil sie aus ihrem Elend fliehen und wir streiten hier übers Geld. Und die bösen Menschen hier schießen noch gegen die Schwächsten, die in unsere westliche Irrsinnswelt flüchten möchten. Schämt Euch!!! Mal einen Schritt zurück gehen. Mal weniger rumhetzen. Einfach mal innehalten und den Wahnsinn unterbrechen.
Im Anschluss konstruktive Überlegungen von Menschen, die sich ernsthaft Sorgen machen:
https://wortgebrauch.com/goedelitzer-impulse-fuer-ein-neues-denken-fuer-eine-neue-kultur-des-politischen/
Beste Grüße!
Sascha Wildenhain
Juliane Keitel (Sonntag, 17 November 2019 02:01)
Danke für das Teilen meines Ärgers, lieber Frank Martin und Sascha Wildenhain.
Ich bin immer noch sehr erschüttert und realisiere stückweise immer mehr, was da in dieser Rede eigentlich passiert ist. Wer genau hinhört, muss feststellen: er distanziert sich überhaupt gar nicht von einem einzigen Wort seiner früheren Texte, im Gegenteil! Es ist eben ein großer Unterschied, konkret zu sagen, man distanziere sich von der Aussage X und habe dazu heute das Verständis Y, oder schwammig und blumig zu formulieren, man distanziere sich von allem, was extrem sei und daher seinem Herrn Jesus Christus widerspricht - ohne aber das Extreme, also den eigentlichen Bezug!, jemals konkret zu definieren. Damit - und das ist perfide Demagogie - distanziert er sich eben von nichts und niemandem und belässt sogar alles bei seiner ursprünglichen Gültigkeit! Es ist wirklich bemerkenswert, dass er damit durchkommt und auch noch Beifall erhält. Passend dazu inszeniert er sich in einer subtilen Form von Demut, die sich meist noch im selben Satz ins Gegenteil verkehrt. Und schwupps - ist er auf einmal selbst das Opfer, das ja immer nur alles hat gut machen wollen und nicht verstanden wurde. Er aber hat sich immer nur nach Bibelwörtern oder der CA gerichtet - und deshalb natürlich auch alles richtig gemacht. Eine grandiose 'hermeneutische Leistung'... Historisch-kritisches Denken aber scheint seine Stärke nicht zu sein, denn wissen zu meinen, Jesus hätte niemals in Biografien gewühlt hätte und würde also ein solches Verhalten ablehnen, ist gleichermaßen anachronistisch wie theologisch äußerst platt und anmaßend.
Insofern bin ich jegliche relativierende Worte, nach denen man Dr. Rentzing und seine (biografischen) Sentenzen 'verstehen' könnte, wie von Herrn Flessing, absolut leid und kann sie nicht mehr ertragen. Ich erkenne immer klarer eine Strategie: Diese Rede diente - neben Selbsterhöhung und Abrechnung - überdeutlich zur Beförderung der Spaltungstendenzen. Von wegen Einheit! Er rechnete mit dem Beifall eines ganz bestimmten Milieus, das er bewusst bestärkte, sowohl mit seiner Rede als auch mit seinem Handeln durch seine gesamte Amtszeit. Der Beifall während seiner Rede war ein Indiz dafür. Er weiß einfach ganz genau, wie und womit er diesen in jedem Falle auch bekommen kann. Die kleinen Versprecher in seiner Rede weisen für mich u.a. darauf hin, dass er sie sicher auch nicht allein geschrieben hat. Ich fürchte mich, ehrlich gesagt, vor dem Netzwerk, das dahinter stehen mag.
Ich hoffe sehr, dass sich die Landeskirche mit all ihren Mitarbeitenden nach diesem ernüchternden Lehrstück nun wirklich stärker an Klärung und Klarheit, wie Frank Martin schreibt, orientieren wird, als bisher. Ich sehe auch, dass wir nicht nachlassen dürfen, diese einzufordern - egal, wer im März dann Bischöfin oder Bischof wird.
Herzliche Grüße in die Runde und allen einen gesegneten Sonntag.
Juliane Keitel
Frank Martin (Sonntag, 17 November 2019 09:11)
Liebe Frau Keitel,
ich teile Ihre Einschätzung. Noch einmal hat er als Monopolist der Rede seine "Macht" missbraucht und versucht, die Deutung seiner Handlungen, seiner Worte und seiner Person vorzugeben. Aber ab jetzt muss er mit der historisch-kritischen Aufarbeitung leben. Und die war schon bei der Auslegung der Bibel nicht seine Freundin. Und wie bei der Bibel wird sie auch bei der Einschätzung seiner Person zu anderen Ergebnissen kommen als er.
Eine leise Hoffnung habe ich, dass auch einige seiner "Fans" merken, wie sehr die Selbstinszenierung von der Wirklichkeit entfernt ist.
Aber jetzt ist es an uns, das nächste Kapitel zu schreiben.
Herzliche Grüße
Frank Martin
Anne Veit (Sonntag, 17 November 2019 14:38)
Auch ich bin angewidert von dieser Rede. Ein großer Jammerton und – das sehe ich wie Frau Keitel – ganz deutlich kein versöhnendes oder verbindendes Anliegen darin, trotz gegenteiliger Behauptung.
Nun gut, er ist natürlich angegriffen und hat das Recht darauf, sich persönlich als Opfer wahrzunehmen, das war wohl nicht anders zu erwarten. Aber die Rede ist in ihrer ganzen Struktur unehrlich. Unangenehm ist, dass er immer vorwegschickt, er wolle nicht die Schuld bei anderen suchen, niemandem Vorwürfe machen, sich nicht in falscher Weise reinwaschen, – und dann das Gegenteil tut. Die ganze Rede will nichts anderes, als seinen Abgang zum Opfergang stilisieren und damit die kritischen Geister in der sächsischen Landeskirche zu Tätern erklären.
Alles, was da verbal eingeleitet wird als „um Verzeihung bitten“ ist keines, sondern reiner Vorwurf: es möge ihm verziehen werden, dass er überfordert war und nicht ahnen konnte, dass gegen ihn schon lange eine Intrige lief, die den Haken in seinem Leben suchte.
Dass er (ach nein, „sie“ - eine Gruppe freiheitsliebender Jugendlicher) in „nationalen Überschwang“ passiv hineingeriet, sind letztlich die Mauertoten schuld, und andere (die mit der Mao-Bibel) sind ja viel schlimmer und eigentlich sind seine Gedanken in den nationalen Texten ja von klugen europäischen Philosophen (die er offensichtlich nicht historisch-kritisch gelesen hat) entnommen. Nicht die Artikel waren ein Fehler, sondern deren zu unsorgfältige Bewertung – was er natürlich auch niemandem vorwirft. Distanzierung sieht anders aus.
Auch, dass er nie von seiner Vorgeschichte gesprochen hat, ist ja nicht seine Entscheidung gewesen, was kann er denn dafür, wenn in der Bibel steht: „Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück...“. Hässlich finde ich auch die Argumentation, er hätte ja ganz bescheiden mit seiner Bekehrungsgeschichte nicht angeben wollen. Buße benötigt Umdenken! Und wer solche Momente im Leben wirklich hat, dem ist selten danach zumute, damit anzugeben und sich darin mit anderen zu messen. Aber hat er wohl nicht erlebt.
Des Rufmords und der Verleumdung bezichtigt er die „kleine Gruppe in der Landeskirche“, die nicht loyal ist, aber das tut er nicht selbst, sondern versteckt hinter den Worten seiner Tochter. Nebenbei lässt er sich damit nochmal ein gutes Zeugnis ausstellen.
Und am Schluss wird dann klar, worauf das ganze hinausläuft, auf den Appell: Nicht zur Tagesordnung übergehen! Aber nicht etwa: Wir sollten offener sprechen über Kirche und Politik. Nicht etwa: Wir sollten klare Kante zeigen gegen menschenverachtende Ansichten. Nicht etwa: Bei der nächsten Wahl erkundigen wir uns vorher über die Vorgeschichte der Bischofskandidaten.
Nein: Laut Rentzing müssen die Un-Loyalen zur Ordnung gerufen werden. Interessante Formulierung: Wer sich der Loyalität verweigert, exkommuniziert sich selbst. Ich finde ja, das klingt nach Drohung. So kann man natürlich auch Spaltung verhindern. (Wer diese Loyalitätsverweigerer sind, hat er ja in der Rede schon klargestellt: diejenigen, die seine Wahl nicht „akzeptiert“ haben und kritisch blieben.)
Die Einheit der Kirche herzustellen, indem die Illoyalen nicht mehr Teil der kirchlichen Gemeinschaft sind... Meine Güte, das nenne ich mal die Forderung eines überzeugten Demokraten!
Wenn die „Einheit der Kirche“ die Hermeneutik des Verdachts gegenüber Wahlvorgängen und Entscheidungsprozessen nicht aushält, dann ist sie keine und dann ist sie es nicht wert!
Juliane Keitel (Sonntag, 17 November 2019 17:29)
Liebe Anne Veit, ja genau, der Schluss der Rede war nochmal besonders perfide. Und auch ich frage mich immer mehr, ob mir diese 'Einheit der Kirche' noch wichtig ist. Um den Preis antidemokratischer Haltungen und Strukturen auf jeden Fall nicht! Für mich ist seit Freitag über Dr. Rentzing wirklich Klarheit da, über die Synde bin ich noch unsicher. Was soll man davon halten, wenn eìn großer Teil der Synodalen applaudiert? Ich weiß jetzt, dass Dr. Rentzing kein Demokrat ist, nie gewesen ist und ist an dieser Saatsform auch nicht interessiert ist. Die Strukturen, die die Sozialisation in einer schlagenden Verbindung mit sich bringen und ihn offenbar bis heute stark prägen, verhindern genau das. Personen ("Waffenstudenten" http://www.apl-hercynia.de/50.php?p=50), die der Neuen Rechten nahestehen - und das tut er definitiv, da gibt es nun einfach mal keinen Zweifel mehr - sind nicht interessiert an Aushandlung, Diskussion, Dialog, sondern bezeichnen genau das ja als das 'Kranke' einer Gesellschaft, das überwunden und bekämpft werden muss. Es müssen wieder "Entscheidungen einsamer Männer" (Zitat aus seinen Fragmente-Texten) her, denen unbedingte Loyalität gelten muss, statt Endlosdiskussionen zu führen (man zähle einmal das Wort "loyal/Loyalität" in seiner Rede, was nichts anderes heißt als: Klappe halten, wenn der Boss spricht...). Diese Haltung kennzeichnet auch den AfD-Chef von Sachsen, Jörg Urban, der vor der Landtagswahl seine Visionen für die Schule kundtat und u.a. forderte: mehr Informatik und Naturwissenschaften und dafür weniger Fächer, in denen es nur um "nutzlose Geschwätzkompetenzen" (https://www.lvz.de/Region/Mitteldeutschland/Sachsen-AfD-schielt-auf-Innenministerium-Bildung-und-Landwirtschaft) geht. Wir sind echt dumm, dass wir (also ich zumindest) immer noch auf diesen Moment gewartet haben, in dem er sich erklären würde. Das gehört einfach nicht ins Skript. Und er sagte es ja auch ganz deutlich: er will sich für seine Texte von damals "nicht rechtfertigen"... Auch das eine seiner geschickten Umdeutungen, denn es ging natürlich nicht um Rechtfertigung, sondern um Distanzierung.
Lieber Sascha Wildenhain, Sie haben völlig Recht, dass wir aufpassen müssen, uns nicht nur um uns selbst zu drehen als Kirche. Aber was mit Dr. Rentzing hier jetzt offenbar geworden ist, ist ja auch nur exemplarisch für das, was in der Gesellschaft ohnehin passiert. Es sind die Gedanken und Methoden der Neuen Rechten, die lauter werden, die Beifall bekommen. Wäre schon schön und ist mir auch eine bleibende Vision, als Kirche Modell zu sein für einen anderen Umgang mit solchen Tendenzen.
Ich bin gespannt, wie die Aufarbeitung in der Synode geshehen wird. Parallel dazu müsste es wissenschaftliche Forschungen geben, die sich mit der Frage beschäftigen, inwiefern und aus welchen theologischen Denkmustern sich die Affinität gerade christlicher Gemeinden zum Rechtspopulismus eigentlich speist. Denn es scheint ja kein Zufall sondern ein strukturelles Phänomen zu sein, dass ca. ein Viertel unter den AfD-Wählerinnen und -Wählern in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Christinnen und Christen waren (https://www.feinschwarz.net/rentzing-stresstest/).
Gert Flessing (Sonntag, 17 November 2019 17:40)
Welch eine Emotionalität!
Natürlich hat sich Herr Rentzing angegriffen gefühlt. Ich denke, zu Recht. Vor allem auch nicht erst seit etwas über einem Monat.
Was ich im Blog von Pf.i.R. Wolf gelesen habe und das war von 2017, war auch nicht eben kuschelig.
(Mir hätten solche Töne zu denken gegeben.)
Natürlich kann ich das, was er in seiner Jugend erlebt hat, verstehen, weil ich selbst auch mal jung war und studiert habe und, neben anderem, auch hin und wieder über die Welt und sieben Dörfer nachgedacht habe, gemeinsam mit meinen Kommilitonen. Das war gewiss nicht immer demokratietauglich, ahnten wir doch nur, was Demokratie wirklich ist oder sein kann. Aber auch wir beobachteten das "Ho ho hochimin", das man so im Fernsehen erlebte, kritisch und waren sehr antisozialistisch eingestellt.
Aber unser Ziel war es ja auch nicht Politiker zu werden, sondern Pfarrer in den Gemeinden unserer Landeskirchen in der DDR.
Was uns dort begegnete, war recht weit weg von allem, was irgend welche Theoretiker sich ausdenken konnten.
Wir waren auch nicht alle aus dem gleichen Holz geschnitzt. Aber wir haben doch, als Pfarrer, nach Gemeinschaft gesucht.
Sicher, ich habe auch erlebt, wie einem Superintendenten das Leben schwer gemacht wurde. Loyalität hat, so denke ich, einen gewissen Stellenwert.
Auch in der Gemeinde.
Sie lässt sich aber nicht erzwingen, nicht erkaufen, sondern wächst da, wo gegenseitiger Respekt ist. Wer, als Kirchvorsteher seinen Pfarrer oder als Pfarrer seinen Superintendenten oder Bischof, nicht respektiert oder nicht respektieren kann, wird ihm gegenüber auch nicht loyal sein.
Das lässt sich auch nicht durch einen Ordnungsruf einer Synode verordnen.
Das mit dem exkommunizieren ist eine böse Sache.
Ich habe erlebt, wie über Pfarrer, die nicht konvenierten, gerichtet wurde. Ich habe erlebt, wie jemand, der von ihnen (recht milde für unsere Zeit) angegriffen wurde, meinte, er würde sie zu Fall bringen, und wenn es das letzte in seinem Leben wäre. Es war herzlich unangenehm, und es hat, wenn man das Zusammenspiel von kirchlichen Vertretern beobachtet hat, auch etwas beängstigendes.
Denn Haken finden sich immer.
Damals hat das Ergebnis nicht zum Zusammenhalt der betroffenen Gemeinden beigetragen. Ich erinnere mich so gut, weil ich die Scherben als Vakanz bekam.
Ich hoffe, das es heute anders, besser, läuft und wir, als Kirche, es schaffen, keinen Scherbenhaufen zu produzieren.
Nüchtern und wachsam, sollten wir versuchen, miteinander leben und reden zu können.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Sonntag, 17 November 2019 17:58)
Hallo liebe nachdenkliche Mitmenschen,
nun ist die Ära Rentzing vorüber, jetzt noch ein Statement dazu und dann sollten wir nach vorne schauen.
Herr Rentzing bekommt es einfach nicht gebacken seine Authentizität herzustellen. In seiner Abschlussrede legt er auch noch das dreiste Meisterstück hin, den "historisch-kritischen Umgang" mit seinen verschwurbelten Texten von damals einzufordern.Der Knaller an dieser Geschichte ist die Tatsache, dass wohl die meisten seiner ihm zugeneigten Anhänger alles andere als Fans von historisch- kritischer Exegese sind, eher wohl das Gegenteil, nämlich Buchstabenglauber! So, wie es da geschrieben ist es 1:1 zu akzeptieren!!
Eine der Ursachen, weshalb unsere Kirchen nicht voller werden, behaupte ich.
Das hat er ganz bewusst in seine Rede eingebaut und seine Fans klatschen genau an dieser Stelle - und das ist das eigentlich Schlimme- obwohl sie und (womöglich auch er selbst) die historisch-kritische Exegese innerlich ablehnen. Ein wirkliches Meisterstück der Wahrhaftigkeit. So richtig geschockt bin ich auch über das Verhalten von Oberlandeskirchenrat Dr. Thilo Daniel. Thilo Daniel war mein Lehrer innerhalb meines KfU- Studiums, ich habe ihn als unerhört klugen und sensiblen Lehrer kennen und schätzen lernen dürfen. Umso entsetzter bin ich momentan, wie er es nicht erkennen kann, mit wem er es zu tun hat. Die nonverbale Kommunikation seinerseits auf der Pressekonferenz der Kirchenleitung hat mich sehr betrübt, vielleicht wacht er ja noch auf. So, jetzt ist es gut. Lasst uns nach vorne schauen und jeder an seinem Platz Gutes tun.
Einen schönen Abend!
Sascha Wildenhain
Frank Martin (Sonntag, 17 November 2019 18:24)
Liebe Frau Veit, liebe Frau Keitel und lieber Herr Wildenhain,
das wollte ich nun aber auch einmal loswerden - Ihre Statements finde ich sehr ermutigend und motivierend. Danke dafür.
Und ich bitte Sie und alle, denen es ähnlich geht: Lassen Sie sich nicht entmutigen.
Herzlich
Ihr Frank Martin
Anne Veit (Sonntag, 17 November 2019 20:15)
Auch ich bedanke mich für Ermutigung:
Bei Frank Martin für die, die von couragiertem Handeln ausgeht und von glasklaren Positionen. Ich bin froh, dass Kirche solche Menschen hat.
Bei Juliane Keitel für so kluge Texte (nachts um 2 Uhr) die mir aus der Seele sprechen. Wir sind uns hier schon einmal in einer Diskussion begegnet und ich fand es auch jetzt wieder bereichernd. Ich fühle mich Ihnen verbunden und das ist in diesen Zeiten und diesen Diskursen beruhigend.
Bei Herrn Wildenhain für überraschend deutliche Worte und den schönen Effekt, hier einen KFU-Kollegen zu treffen.
Bei Herrn Flessing für die Gesprächsbereitschaft. Schön, wenn es möglich ist, miteinander zu diskutieren, auch wenn viele Positionen nicht vereinbar sind.
Dem Forum dafür, dass hier Platz ist. Also dafür, dass Räume aufgemacht werden für Diskussionen und dass ziemlich lange Texte erlaubt sind.
Ich merke, dass ich die Kurzkommunikation der modernen Netzwerke nicht vertrage und ich glaube, mancher Diskurs braucht einfach größere Linien, wenn er nicht reiner Schlagabtausch werden soll.
Von den Ereignissen bin ich deutlich frustriert, vom Austausch hier aber ermutigt. So soll es sein.
Juliane Keitel (Sonntag, 17 November 2019 22:11)
Ich hatte heute Nachmittag genau den gleichen Gedanken, dass es so gut ist, dieses Forum hier zu haben, und kann den Dank reihum nur erwidern. Es ist so beruhigend, von Gleichgesinnten zu wissen. Ich habe manchmal schon das Gefühl, sehr aufpassen zu müssen, dass auch für meine Kinder und Enkel eine liberale Welt erhalten bleibt.
Liebe Anne Veit, wir tauschten uns heftig aus, als bei der Bundestagswahl 2017 die AfD so erstarkt war und wir uns damals sehr ärgerten, dass unser Landesbischof nichts dazu sagte, auch nicht zu Pegida. Habe mich auch schon daran erinnert :-).
Wir sollten uns vielleicht alle mal treffen! Wahrscheinlich ist unser langes Geschreibe ja nicht für alle so interessant wie für uns selbst ;-).
Gerhard Lindemann (Sonntag, 17 November 2019 23:35)
Ich denke, man kann die Diskussion um die "Ära Rentzing" nicht einfach beenden, wie es Herr Wildenhain vorschlägt. Es bleibt weiterhin manches offen (Frau Keitel wies ja zuvor ebenfalls darauf hin).
Was mich betroffen macht, ist, dass es in der Landeskirche (und auch darüber hinaus; das ist nicht ausschließlich ein sächsisches Problem) nicht wenige Stimmen gibt, darunter auch ein sächsischer Synodaler der VELKD/EKD und Mitglieder der Landessynode, die die Texte in den "Fragmenten" als höchstens demokratiekritisch, aber nicht zum Teil demokratiefeindlich bewerten (so zuletzt auch online im "Sonntag"), wie es die Landeskirche in ihrer Erklärung vom 13.10.1989 tat. Argumente für diese Einschätzung werden nicht benannt. Auch Einordnungen durch Wissenschaftler (Prof. Gert Pickel/Leipzig im "Sonntag") werden nicht anerkannt; ein Leserbriefschreiber hielt die unter dieser Rubrik in der Kirchenzeitung veröffentlichten Gegenvoten gar für ebenfalls wissenschaftlich fundierte Einschätzungen.
Die Frage ist, wie es weitergehen soll, wenn vielen Mitchrist*innen in unserer Landeskirche (und nicht nur hier) die Kriterien und die Maßstäbe fehlen für das, was sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegt und was eben nicht (Dr. Daniel wies auf der Pressekonferenz am 21.10.2019 mit Recht darauf hin, dass es sich bei der sächs. Landeskirche um eine Körperschaft öffentlichen Rechts handelt), und für das, was mit dem christlichen Glauben vereinbar ist und was nicht.
Das Wort des zurückgetretenen Landesbischofs vom vergangenen Freitag hat da nur bedingt weitergeholfen, indem er sich zwar aktuell auch persönlich von politischen Extremismen abgegrenzt hat, andererseits, ohne die von der Kirchenleitung vorgetragene Einschätzung seiner Texte aus den "Fragmenten" zu wiederholen, diese doch angefragt hat, indem er kritisierte, er hätte sich "bei der Bewertung dieser Artikel [...] im Nachhinein mehr Sorgfalt" sowie einen historisch-kritischen Umgang gewünscht. Wie seine Unterstützer*innen bewertet Herr Dr. Rentzing seine Positionen als "demokratiekritisch", aber nicht wie die Kirchenleitung als "in Teilen [...] demokratiefeindlich"; er nennt jedoch keine Kriterien für dieses abweichende Votum. Dann folgt der apologetische Hinweis, "dass jede echte Kritik nicht darauf zielt, das Kritisierte zu vernichten, sondern zu verbessern." Wie sähe denn eine "Verbesserung" der bundesdeutschen Demokratie aus, wenn man den frühen Texten von Carsten Rentzing folgte? Es wäre doch als Konsequenz die Verwandlung einer parlamentarischen Demokratie in eine elitäre Staatsform ohne eine breite Partizipation der Bevölkerung an der politischen Willensbildung.
Die Schilderung, wie es zur Herausgabe der Zeitschrift kam, enthält übrigens eine Lücke. Nicht alle an den "Fragmenten" Beteiligten verließen die aktive Parteipolitik; Wolfgang Fenske, Herausgeber der "Fragmente", an deren Redaktion der damalige Student Carsten Rentzing beteiligt war, wurde Mitglied der rechtsnationalen "Republikaner" (jedenfalls ist die Mitgliedschaft für 1989 dokumentiert).
Es ist jedenfalls schade, dass Nach- und Rückfragen zu der immerhin 23-minütigen Erklärung des ehemaligen Landesbischofs im Plenum der Synode nicht möglich waren. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das nicht primär auf eine Entscheidung der Veranstalter zurückzuführen ist (so klang es jedenfalls zu Beginn der Tonaufzeichnung).
Sascha Wildenhain (Sonntag, 17 November 2019 23:52)
Das ist keine Menschenliebe.
Es tut mir leid,
aber ich muss mich jetzt hier nochmal mitteilen.
Ich habe mir die Rede von Herrn Ex- Bischof Dr. Carsten Uwe Rentzing jetzt noch einmal genau angehört und angesehen. Die größte Herausforderung in der intellektuellen Auseinandersetzung auf der theologischen Ebene mit ihm und seinesgleichen ist sein gesprochener Satz, den er wörtlich wirklich so gesagt hat: "Wir sollten dabei eines klar stellen, nämlich, dass sich diejenigen, die sich dieser Loyalität verweigern, selbst aus der kirchlichen Gemeinschaft exkommunizieren" (Beifall): Das ist genau die (Achtung Ironie) unvoreingenommene Menschenliebe, die Christus vorgelebt hat und die ein sogenannter Bischof vorleben darf. Wenn ich morgen früh wieder in die ganzen Elendsgesichter der einfachen Menschen blicke, weiß ich schon jetzt, dass mir genau dieses hochintellektuell geschliffene Wortkonstrukt eine riesige Stütze in der Stärkung der schwachen Menschen ist.
Danke, lieber Dr. Carsten Uwe Rentzing.
Herzlicher Gruß
Sascha Wildenhain
Gerhard Lindemann (Montag, 18 November 2019 00:30)
Lieber Sascha Wildenhain,
dieses in dem Satz zum Ausdruck kommende Amts- und Kirchenverständnis kann man kritisieren - ich finde aber, dass man sachlich bleiben sollte. Ironie oder Sarkasmus helfen in der Debatte nicht weiter, sondern führen nur zur Verhärtung Andersdenkender.
Sascha Wildenhain (Montag, 18 November 2019 00:43)
Lieber Gerhard Lindemann,
Sie machen sich genauso Gedanken und leiden unter der Situation wie ich, das spricht aus Ihren Statements.
Ironie und Sarkasmus helfen sehr wohl in der Debatte weiter, denn sonst wäre es zu langweilig.
Wenn Menschen keinen Mut hätten, Ironie und Sarkasmus zuzulassen, würde sich nichts verändern. Der größte Störenfried in der Menschheitsgeschichte war übrigens Jesus Christus. Jesus hat einfach nur gestört.
Robert Lammert hat den Mut bewiesen, sich über die Regeln im deutschen Bundestag hinwegzusetzen und Wolf Biermann die "Ermutigung" vortragen zu lassen. Dem smarten Gregor Gysi hat das nicht gefallen, aber das alles ist unerheblich, denn es hat stattgefunden, genauso wie der Abgang von Dr. Carsten Uwe Rentzing...
Du, laß dich nicht verhärten
in dieser harten Zeit.
Die allzu hart sind, brechen,
die allzu spitz sind, stechen
und brechen ab sogleich.
Du, laß dich nicht verbittern
in dieser bittren Zeit.
Die Herrschenden erzittern
- sitzt du erst hinter Gittern -
doch nicht vor deinem Leid.
Du, laß dich nicht erschrecken
in dieser Schreckenszeit.
Das wolln sie doch bezwecken
daß wir die Waffen strecken
schon vor dem großen Streit.
Du, laß dich nicht verbrauchen,
gebrauche deine Zeit.
Du kannst nicht untertauchen,
du brauchst uns und wir brauchen
grad deine Heiterkeit.
Wir wolln es nicht verschweigen
in dieser Schweigezeit.
Das Grün bricht aus den Zweigen,
wir wolln das allen zeigen,
dann wissen sie Bescheid
Gert Flessing (Montag, 18 November 2019 10:15)
Lieber Herr Wildenhain,
wer von Loyalität spricht und von Exkommunikation, der spricht von dem Versuch wie es der große Friedrich gesagt hätte, "die Kerls zur Räson zu bringen".
Dahinter steht der Verdacht, das es Menschen gibt, die eine Ordnung, die man für festgefügt und vielleicht gar gottgegeben hält, erschüttern oder verändern wollen.
Es kann, in unserem Fall, neben dem Versuch einer Selbstrechtfertigung, der Versuch sein, das Bischofsamt zu schützen.
Beides halte ich für fragwürdig.
Das Bischofsamt ist ein Wahlamt. Als solches ist es, nach demokratischen Regeln, jedenfalls so, wie ich es sehe, nicht sakrosankt, sondern hinterfragbar.
Wie das geschieht und was hinterfragt wird, steht auf einem anderen Blatt.
Ehrlich gesagt ist Herrn Rentzing sehr viel Loyalität zuteil geworden.
Wer erwartet, das alle Menschen ihm, qua Amt, zujubeln, ist ein Narr.
Aber vielleicht gibt es diese Gefahr, wenn ein Mensch ein zu elitäres Verständnis der eigenen Person entwickelt.
Vor Jahren hörte ich mal den schönen Satz: "Wo ich bin, ist Oben und wenn ich ganz unten bin, ist Unten halt Oben."
In meinen Augen gehört die Bereitschaft, sich Kritik zu stellen zu jedem Amt und, ja, auch ich habe das erst lernen müssen, denn Kritik ist immer eine bittere Pille und wir selten in Zucker gehüllt.
Aber nur, wenn man lernt, auf Kritik zu hören, kann man sich ändern.
An der Stelle eine leichte Kritik, lieber Herr Wildenhain. Ich denke nicht, das man am Montag früh nur Elendsgesichter sieht. Die meisten einfachen Menschen sind recht froh und oft sieht man ihnen das auch an.
Ein letztes: Auch ich bin froh, das man hier mit vernünftigen Menschen vernünftig reden kann.
allen eine gute Woche
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Montag, 18 November 2019 17:52)
Lieber Herr Flessing,
Ja, es ist richtig, was Sie sagen, das ist momentan leider meine subjektive Wahrnehmung mit den "Elendsgesichtern" und die Realität ist natürlich bunter. Momentan bin ich wahrscheinlich zu sehr gefrustet und lasse manches zu nah ran, mir macht die politische und eben auch die kirchenpolitische Entwicklung der letzten Zeit große Sorge.
Wünsche ebenfalls allen eine gute Woche.
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Montag, 18 November 2019 19:48)
Lieber Herr Wildenhain,
sie haben KFU gemacht und Sie sprachen davon, dass Sie zu Gott gefunden haben. Sollte da nicht auch eine gewisse Gelassenheit zu finden sein?
Aber vielleicht liegt das auch daran, das wir uns, altersmäßig, doch unterscheiden. Im kommenden Jahr werde ich 68, bin also schon eine Weile auf der Welt und da ich 1977 in meine erste Pfarrstelle, oben, in der Uckermark zog, hatte ich Zeit, gelassen zu werden.
Natürlich sehe ich die politische Entwicklung wachen Auges. Habe ich eigentlich immer. Auch das, was in der Kirche geschieht, betrachte ich. Nicht immer, mit Wohlgefallen.
Aber ich habe, sowohl in Brandenburg, als auch hier in Sachsen, Bischöfe, Konsistorialräte und Landeskirchenräte kommen und gehen sehen. Wer erinnert sich noch an Bischof Schönherr in Berlin. Viele nannten ihn den "Sektglashalter". Ein Sohn von ihm wurde Superintendent in Prenzlau. …
Es gab immer Fraktionen und Fraktionskämpfe und sehr wenig "Brüderlichkeit".
Auf der politischen Bühne war das nicht anders.
Ich bin damals, 1979 in die CDU der DDR eingetreten. Oh, ich musste mich gewiss dafür rechtfertigen, vor den Brüdern.
Auch damals gab es Reibereien zwischen Gruppen und Leuten.
Schlimmer wurde das, nach der Wende.
Ich zog mich aus der politischen Arbeit zurück, weil die kirchliche Arbeit, mit der ersten Strukturreform, meine Kraft forderte.
Heute wie ich, das wir so eine Möglichkeit, etwas zu gestalten, wie wir sie, kurz nach 1989 hatten, nie mehr bekommen werden. Weder in der Kirche, noch in der Gesellschaft.
Und trotzdem bin ich froh. Und dennoch sehe ich eben Menschen, denen es weitaus besser geht, als damals. Ich sehe saubere Flüsse und rieche gute Luft.
Wenn ich mal zum Stammtisch gehe, dann höre ich nur mäßiges Gejammer und wenn man nachhakt, ist auch das nur pro forma.
Klar, ich weiß um das Firmensterben im Handwerk, weil kein Nachfolger da ist. Aber ich spüre keine Panik. Ich habe Kontakt zu den Bauern, die mal unser Kirchenland gepachtet haben. Sie mühen sich um Nachhaltigkeit. Sie sind nicht überglücklich aber nicht unzufrieden.
Ich sehe meine Kinder. Sie haben Arbeit. Mein Jüngster wird wohl demnächst seinen Dr. machen. Nicht in Theologie. Er hat einen "richtigen" Beruf, wie mein Vater sagen würde.
Ich vertraue Gott. Hab ihm mein Leben anvertraut und gute Erfahrungen damit gemacht.
Es gibt immer Grund zur Sorge und zur Nachdenklichkeit. Aber auch beim Nachdenken hilft Gelassenheit und das Wissen, in Gott ein gutes Fundament zu haben
Herzlich
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Montag, 18 November 2019 20:42)
Lieber Herr Flessing,
vielen Dank für Ihre offenen Worte und dass Sie von sich selbst erzählen, das finde ich richtig gut. Ja, Gelassenheit. Eigentlich bin ich ein Mensch, der das gut kann. Mein Vater ist mit mir in meiner Kindheit im Urlaub im wunderschönen Flecken Zechlin sehr oft angeln gewesen. Da lernte ich, geduldig sein zu können, unvergessene Stunden. Geduld und Gelassenheit und der "Lange Atem"...alles ganz wichtig und auch etwas Gutes! Das Problem ist, die Grenze zu finden zwischen Gelassenheit und Gleichgültigkeit (Ich meine das jetzt nicht als Vorwurf an Sie, sondern es ist eher die Beschreibung meiner momentanen Situation). Das Wahlergebnis der letzten Landtagswahl in Sachsen und die Tatsache, dass fast ein Viertel von Gewerkschaftsmitgliedern (noch bin ich Betriebsratsvorsitz eines größeren Unternehmens in der freiheitlichen westlichen Welt, aber in kommunistischem chinesischen Besitz) die AfD gewählt hat, macht mich sehr unruhig. Otto Guse hat in der denkwürdigen Pressekonferenz gesagt, daß wir in der Kirche mehr miteinander reden müssen, anstatt übereinander, das ist eine alte Weisheit und ich möchte dazu beitragen, dass wir das tun. Als die erste riesengroße Pegida- Demonstration in Dresden ca. 20.000 Menschen auf die Straße brachte, habe ich vor meinem Bildschirm gesessen, das Foto betrachtet und ich war einfach nur erschüttert. Ich habe in dem Moment gedacht: Hier geschieht etwas, dass kann "man" nicht einfach ignorieren, irgendetwas läuft hier verkehrt, hier ist Handlungsbedarf. Ich habe dann seinerzeit in meiner grenzenlosen Naivität eine Mail ans Landeskirchenamt gesendet mit dem Foto und darum gebeten, man möge darüber nachdenken, auf den Herrn Bachmann proaktiv (wie es neudeutsch so schön heißt) zuzugehen, das Gespräch mit ihm zu suchen und zu versuchen, die Schmerzen der Leute aufzufangen und die Situation zu entschärfen. Ich habe nicht einmal eine Antwort bekommen. Aufgefangen hat das letztlich der von mir sehr geschätzte Frank Richter, der schon 1989 den Mut aufgebracht hat, auf der Straße zwischen der Exekutíve der Staatsmacht und den schmerzbeladenen Menschen konstruktiv zu vermitteln. Jetzt nochmal meine Intention dieser Mail von damals: Nach allem, was wir alle heute wissen können, hätte es einen Nazidiktator Adolf Hitler nicht zwangsläufig geben müssen, wenn es in seinem Leben Menschen gegeben hätte, die ihn bei seinen Schmerzen abgeholt hätten, natürlich zeitlich eingegrenzt. Und genau das ist mein Problem. Die Menschen, die keinen Zugang zu Bildung haben können/wollen, aber doch irgendwann irgendwie merken, dass es neben billigem Angebotsgedöns bei Aldi und im Idiotenfernsehen bei RTL 2 eine Wirklichkeit gibt, die etwas mit ihnen selbst zu tun hat, die suchen sich dann Ventile. Und wenn dann die Rattenfänger kommen, die mit ihren ganzen kruden Verschwörungstheorien (Impfgegner, Chemtrails am Himmel und natürlich die jüdische Weltverschwörung) einfangen, dann sind sie anfällig. Ja, wenn mir einer sagen könnte, dass wir das locker verkraften in der Demokratie, dann würde ich momentan gelassener sein können. Ich kann das aber momentan leider nicht. Ich persönlich hatte als junger Mensch (Baujahr 1973) nie ein Problem damit, eine Klassenausfahrt zum Beispiel ins KZ Buchenwald zu erleben. Ja, ich weiß, ich kenne die ganzen Diskussionen um die kommunistisch bestimmte Schul- und auch sonstige Politik der SED. Nach persönlichem Abwerfen des ideologischen Ballasts nach 1989 ist aber erstaunlicherweise eine Erkenntnis übrig geblieben: Diese Konzentrations- und Vernichtungslager gab es wirklich, in ihnen wurde furchtbar gequält und gemordet. Und ja, ich war auch in der Gedenkstätte in Hohenschönhausen und habe mir das MfS- Untersuchungsgefängnis angesehen und ich habe mich beim Betreten des Zellentraktes im Keller fast übergeben müssen, als ich den Fußbodenbelag erblickte. Es war der gleiche Fußbodenbelag, der in allen Zimmern und Gängen der polytechnischen Oberschule, in die ich 10 Jahre lang gegangen war, verlegt war. In diesem Schlüsselmoment ist es mir klar geworden, wie die böse Seite des Staates ausgesehen hat, in dem ich eine unbeschwerte Kindheit gehabt habe. Ich bleibe dabei: Es gibt momentan ein massives Kommunikationsproblem in der Gesellschaft, ich habe Ideen, wie man es aufbrechen könnte, aber zum Glück habe ich natürlich kein Patentrezept...
Herzlicher Gruß
Sascha Wildenhain
Juliane Keitel (Dienstag, 19 November 2019 00:02)
Ich will nochmal kurz auf das Sakasmus-Problem eingehen: Ich stimme Gerhard Lindemann absolut zu, dass man Sarkasmus und Ironie aus der Diskussion raushalten muss, sobald mit mit Leuten spricht, die gegenteilige Meinungen vertreten. Unter Gleichgesinnten kann ich es punktuell verstehen und praktiziere es gelegentlich auch, als eine Art 'Psychohygiene' (Frust ablassen...), jedoch eher im gesprochenen Wort. Schriftsprache kann m.E. zu sehr missverstanden werden, wenn nicht klar ist, dass es jetzt Ironie sein soll. Und das Ziel ist unklar oder liegt doch zu sehr auf der Ebene des "Dumm-Machens" des Anderen. Ich finde es wichtig, sich selbst nicht "zu verhärten" und dem - wenn auch nur imaginierten - Gegner immer auch Würde und eine prinzipielle Logik der eigenen Gedanken (oder eine eigene Handlungsrationaität) zuzugestehen. Keine leichte Sache...
In Bezug auf die Causa Rentzing denke ich auch, dass wir schon noch dranbleiben müssen, auch an der Aufarbeitung, weil die Gefahr einer Entdemokratisierung von Kirche und Gesellschaft längst nicht gebannt ist. Wenn ich doch nur wüsste, wie man die Synodalen dazu bringt, sich die Rede vom Freitag mal analytisch vorzunehmen...? Kann das evtl. mal jemand vom Initiativkreis des Forums anregen oder einfordern? Oder welche Sichtweise besteht dazu unter Ihnen/euch?
Gert Flessing (Dienstag, 19 November 2019 10:53)
Liebe Frau Keitel,
ja, das mit dem Sarkasmus kann schief gehen. Auch in der direkten Rede, wie ich kürzlich, im Gespräch mit meinem Hausarzt bemerken durfte.
Auch da hilft dann nur Gelassenheit und, nun ja, ein wenig Demut.
Ich teile, vorsichtig jedenfalls, die Sorge um die Demokratie. Sie lebt ja von uns allen und unserem Anteil nehmen und Mitwirken.
Auch in der Kirche. Hier denke ich an die Probleme, allein schon, vor allem im ländlichen Raum (den ich eben gut kenne), Kirchvorsteherinnen und Kirchvorsteher zu finden. Wenn ich an meine Gespräche mit unserem Bürgermeister denke, gilt das aber auch für den kommunalen Raum.
Vielen Menschen ist die Arbeitsweise der Demokratie zu schwerfällig.
Was die Rede von Herrn Rentzing anbelangt, so denke ich, das mancher, der wirklich ein Interesse hat, sie gewiss noch zwei oder dreimal lesen wird.
So bin ja auch ich zu meinem Einwand gekommen.
Wenn es, vom Forum her, bei den Synodalen, die es erreicht, angeregt würde, hätte das vielleicht einen Effekt. Einfordern würde ich es nicht. Etwas analytisch zu lesen, sollte man nicht zu befehlen versuchen und einfordern klingt ein wenig so.
Man sollte vielmehr Neugier erwecken, bei dem Text unter die Oberfläche zu gehen.
Der Gedanke, ob es gut täte, eine innerkirchliche Loyalität erzwingen zu wollen, oder ob das nicht, für alle, zum Schaden gereichen würde,sollte aber gewiss auch unter den Synodalen ernsthaft bedacht werden.
Einen angenehmen Tag.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Dienstag, 19 November 2019 20:43)
Guten Abend,
Also jetzt ohne Ironie und Sarkasmus, ich habe die Botschaft verstanden.
Ich habe heute im Netz den im Wortlaut veröffentlichten Brief von Herrn Höcke an die CDU-Fraktion des Thüringer Landtages gefunden, den empfehle ich sehr zur Lektüre. Was hat das mit Herrn Rentzing zu tun? Das ist die Frage. Ich persönlich glaube nicht, dass Herr Rentzing rechtsextremistische Positionen gutheißt, geschweige denn, vertritt. Ob insgeheim mit der AfD bzw. deren entsprechenden Positionierungen sympathisiert wird, darf offen bleiben.
Das Problem, vor dem wir alle stehen, ist die vorgelebte Uneindeutigkeit in seinen Äußerungen und das steht erstaunlicherweise im Widerspruch zu der wertekonservativen Positionierung mit ihren oft eindeutigen Aussagen, wie das gelingende Leben aussíeht oder auszusehen habe. Es ist für fast alle Beteiligten anstrengend, KLARHEIT zu bekommen. Das Verhalten Herrn Rentzings ist für mich ein Paradoxon. Einerseits haben eben die Christen in der Landeskirche, die keine Probleme mit Uneindeutigkeiten haben, wenn selbige in ihrem Sinne sind, große Problem mit den aus ihrer Sicht Uneindeutigkeiten der Liberalen, andererseits eben aber sehr wohl das Bedürfnis nach Eindeutigkeit und Klarheit. Also konkret zum Beispiel: die Buchstabenglauberei. So, wie es da in der Bibel wörtlich geschrieben steht, ist es wahr und so ist es zu glauben! Bitte erkläre mir jemand, wie ich das einem Menschen, der sich für Glaubensfragen interessiert, ernsthaft nahebringen soll. Das geht einfach nicht. Wirklich richtig enttäuscht bin ich von dieser letzten Rede, hier hätte Carsten Rentzing sehr viel klar stellen können, hat er aber wieder nicht getan. Leider.
Einen schönen Abend
Sascha Wildenhain
Sascha Wildenhain (Dienstag, 19 November 2019 23:13)
Liebe nachdenkliche Christenmenschen hier im Forum,
ich möchte hier jetzt die Würdigung der Amtszeit von Dr. Carsten Rentzing durch den Landessynodenpräsidenten Otto Guse zur Diskussion stellen:
Ich möchte den Anfang der Diskussion machen: Wir alle kennen die immer wieder kehrenden Verlautbarungen von offiziell ins Amt gewählten Entscheidungsträgern. Weshalb schreibe ich das so? Weil ich selbst als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender seinerzeit demokratisch in dieses Amt gewählt worden bin. Mein persönliches Problem und mein tief sitzender Frust, den ich hier artikuliere, ist, das für mich wahrnehmbare Unvermögen der momentan amtierenden sächsischen Kirchenleitung, mal Tacheles zu reden.
In unzähligen Verhandlungen mit immer wieder wechselnden Geschäftsführern der sogenannten Arbeitgeber habe ich lernen dürfen, dass sich selbige sehr schnell die entsprechende Sprache aneignen, um mit der jeweils neu eintretenden Situation sich die entsprechende Software in ihren Geist zu geben. Mit Klarheit hat das nichts zu tun. Es tut mir leid, aber ich kann kein Vertrauen fassen zu diesen allgemein gehaltenen, beschwichtigenden Formulierungen. Ich saß im November 1989 hier in meiner Heimatstadt im Kino. Das ganze Kino war voller Menschen, vorne saßen die politisch Verantwortlichen und sie wirkten einfach nur hilflos. Diese Assoziation habe ich momentan, es tut mir leid.
Einen schönen Abend!
Sascha Wildenhain
Juliane Keitel (Mittwoch, 20 November 2019 02:26)
Die Würdigung von Herrn Guse empfinde ich nicht als so problematisch. Sie sollte dem, was zu würdigen war/ist, Ausdruck geben, und das hat sie in meinen Augen gemacht.
Aber die Erklärung der Synode (18.11.2019, https://engagiert.evlks.de/fileadmin/userfiles/EVLKS_engagiert/B._Landeskirche/Landessynode/Herbst-2019-Dokumente/Beschlossene_Antraege/Erklaerung_der_Landessynode.pdf) ist in meinen Augen wiederum ein Ausdruck dessen, was in der Landeskriche fehlt. Achtung Sarkasmus: Meine 'Lieblingssätze' aus der Erklärung der Landessynode (18.11.2019): "Nicht alles wird sich klären lassen. Vieles wird offen bleiben." - Sarkasmus zu Ende. Tacheles reden, wie Sascha Wildenhain sagt, sieht anders aus...
Und das ist in meinen Augen auch das Problem. Statt echter Aufarbeitung (Was genau ist für wen und warum offen? Was genau wird sich - ggf. zunächst oder jetzt erst einmal - nicht klären lassen?) gibt es viele nebulöse Andeutungen, die offenbar alle gleich und richtig verstehen sollen? Ich hätte es gern konkreter gehabt. Warum wird das so deutlich vermieden, die konkreten Konfliktfelder zu benennen? Wieder legt sich ein Schleier über alles, unter dem es aber doch weiter brodelt! So kann man, glaube ich, keine Probleme lösen.
Die Erklärung verfolgt für mich, vor allem auf der zweiten Seite, das Ziel, zu erziehen oder zu disziplinieren. Hat irgendjemand "die Gremien und Ämter" der Landeskriche nicht geachtet, so dass man das extra betonen muss? Und muss man betonen, dass ein "respektvoller Umgang" gepflegt werden muss? Wer ist damit adressiert? Wer war in der Vergangenheit respektlos? Womit, wie? Sind damit, ohne es direkt auszusprechen, wiederum diejenigen gemeint, die die Petition auf den Weg gebracht haben? Diese war aber doch alles andere als eine Polemik, und sie wurde auch nicht deshalb gestartet, um persönlich zu verletzten, und sie war auch nicht respektlos. Ich weiß nicht, was diese Belehrungen sollen und worauf genau oder auf wen genau sie gerichtet sind.
Petitionen gegen Personen und Amtsträger sind m.E. genau dann ein demokratisches Mittel, wenn es aufgrund einer bestimmten Sachlage für bestimmte Akteure notwendig erscheint, also wenn es "an der Zeit ist", die m.E. bei Dr. Renzting gegeben war. Ich kann mit dem implizit aufleuchtendem, pauschalen, nebulösen, implizit-erzieherischen Verbot, wie es in dem Papier steht, nichts anfangen.
Es zeigen sich hier die Welten, die aufeinanderprallen, und die man wiederum NICHT konkret benennt. Stattdessen wird abwiegelt, belehrt, verklärt und eine unbedingte Einheit (wahrscheinlich wiederum verwechselt mit Loyalität...) gegenüber einer Öffentlichkeit beschworen. Aber manchmal - "alles hat seine Zeit" - ist auch das Verletzen i.S.v. hartem Kämpfen bzw. Streiten heilsam. Gut wäre es, es käme auch mal richtig und offen zum Streit und würde nicht immer nur peinlichst vermieden. Sowas macht ja auf Dauer krank...
Sascha Wildenhain (Mittwoch, 20 November 2019 16:48)
Liebe Frau Keitel,
Danke für Ihre Gedanken!
Heute erlebte ich einen für mich persönlich sehr bewegenden Buß- und Bettags - Gottesdienst. Ich war jetzt lange nicht im Gottesdienst, umso intensiver und eingängiger für mich...
Ein Wermutstropfen war der Teil der Erklärung der Synode, der heute also in allen Gottesdienten in Sachsen vorgelesen worden ist. Herr Rentzing sprach in seiner Abschiedsrede davon, wie schlimm es für seine Familie ist, daß ihr Vater im Fernsehen in die rechtsradikale Ecke gestellt worden ist. Das kann ich verstehen, ich kann nachempfinden, wie schlimm das sein muss. Ich kann das deswegen, weil ich mich im November 1989 genauso gefühlt habe wie womöglich seine Familie. Ich war damals 16 Jahre jung und viele Menschen um mich herum schrien, man müsste alle Kommunisten aufhängen! Ich wusste gar nicht, was los war, weil wir als Familie in unserer Filterblase gelebt haben (würde man heute sagen). Einordnen konnte ich das alles erst später. Wie Familie Rentzing das jetzt auffängt, weiß ich nicht, aber es hätte nie soweit kommen müssen, wenn er sich anders verhalten hätte. Es hätte auch für meine Familie 1989 entspannter sein können, wenn mein Vater in seinem Leben politisch anders abgebogen wäre. Hat er aber nicht gemacht. Opfer oder Täter oder Beides? So jetzt aber mein Hauptanliegen für heute: Ich finde es unerträglich, wie so ein kluges Entscheidungsgremium wie die Synode es doch tatsächlich fertig bringt, vor allen Gemeinden indirekt wieder Menschen an den Pranger zu stellen, die Fronten verhärtet zu lassen und eben nicht abzurüsten! "Öffentliche Petitionen gegen Personen und Amtsträger sind in diesem Zusammenhang kein Mittel zur Klärung von Sachfragen und beschädigen unsere Strukturen". Was soll das? Frank Martin hat sich hier erklärt und dies glaubwürdig. Herr Rentzing hätte sich erklären können, hat er aber nicht getan. Was ist das jetzt hier: Aug um Auge, Zahn um Zahn oder wie soll ich das verstehen? Wenn so ein Satz in eine öffentlich Erklärung der Synode schon Eingang findet, dann hätte folgender Satz ebenfalls Eingang finden dürfen: "Öffentliche Abschiedsreden, die die interessierten Zuhörer ratlos und verunsichert zurück lassen, sind in diesem Zusammenhang eben leider auch kein Mittel zur Klärung von Sachfragen und beschädigen das Vertrauen der Menschen in unsere Geistlichkeit". Ich muss das nicht verstehen.
Schönen Abend!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Mittwoch, 20 November 2019 18:03)
Liebe Frau Keitel, lieber Herr Wildenhain,
ich will gleich mit der Tür ins Haus fallen. Aus der Reaktion der Synode spricht zum Einen ihr eigenes Gespaltet Sein. Es gibt doch die Strömungen, die wir sonst wahrnehmen auch in ihr, repräsentiert sie doch die Gemeinden und Kirchenbezirke unserer Landeskirche. Ich lese auch, wie, um dieses Wort, diese Erklärung gerungen wurde.
Zum Anderen spricht da die Angst, die viele Menschen, nicht nur Synodale, vor der Macht der neuen Medien und ihrer Möglichkeiten, haben. Man möchte das irgendwie einhegen. Wir alle kennen Facebook und Co und wissen, das es dort beinahe jeden treffen kann, denn das Internet vergisst nicht.
Ich kann solche Ängste verstehen.
Während ja eine Abschiedsrede, wie auch immer sie sein mag, etwas Bekanntes ist, ist eine Petition über das Internet etwas, was man nicht recht zuordnen kann.
Was ich aber, in seiner Wirksamkeit und Bedeutung, nicht zuordnen kann, macht Angst.
Auch Kirche hat, wie Sie, Herr Wildenhain, schreiben, ihre "Filterblase".
Auch ich frage mich, welchen Stellenwert Petitionen haben. Sie machen etwas öffentlich, aber ist das Ergebnis wirklich, etwas, das "zur Klärung von Sachfragen beiträgt" oder sind sie etwas, was kaputt macht? Selbst wenn das so nicht gewollt ist. Es gab ja auch die Gegenpetition. Wer har Recht? Der, mit den meisten Stimmen? Derjenige, der am Ende "siegt"?
Ich kann die Sorgen der Synode schon verstehen. Lange genug bin ich ja im Raum der Kirche zugange.
Die Synode hat zu Nachdenken und Gesprächen in den Gemeinden zu dem Themenkomplex "konservativ", "rechts" - verkürzt gesagt, aufgerufen. Wenn das so läuft, wie das letzte "Nachdenken" zum Schriftverständnis, erwarte ich nicht zu viel. Ob es uns hilft, als Kirche zu mehr Gemeinsamkeit zu finden, ahne ich kaum.
Einen angenehmen Bußtagsabend
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Mittwoch, 20 November 2019 20:48)
Lieber Herr Flessing,
ich möchte fragen, ob Sie im Ältestenrat des Synode sind? Falls nicht, fände ich persönlich es sehr gut, wenn Sie dort wären, denn das, was Sie hier im Forum mitteilen, würde aus meiner Sicht dazu beitragen, die Ausgewogenheit von Entscheidungen erheblich zu bereichern.
In der aktuellen kirchenpolitischen und politischen Auseinandersetzung stelle ich mich jetzt hier voll und ganz hinter Frank Martin, das Pfarrerehepaar Dohrn und alle anderen, die jetzt medial angriffen werden und ihnen die Verantwortlichkeit für den Rücktritt von Herrn Rentzing angelastet wird. Ich habe Eberhard Bethke, den Jugendfreund Dietrich Bonhoeffers persönlich kennen lernen dürfen. Die Menschen in diesem Gemeinderaum, den er betrat, haben sich erhoben und ich habe konkrete Erinnerungen an diesen Tag. Die katholische Kirche bläst es größer auf, aber wir haben auch unsere Märtyrer. Mein Gott, es gab mutige Menschen, die sich für andere eingesetzt haben und dafür umgebracht worden sind. Herr Rentzing hat sich bis dato nie von den rechtsradikalen Figuren distanziert, die in seinem Leben eine Rolle gespielt haben, Herr Lindemann hat das sauber recherchiert.
Was wollen diese Leute? Und was hat das alles mit dem Evangelium und der Liebe unseres Herrn Jesus Christus zu tun? Wir leben momentan in einer Zeit, in der sich nach autoritären Strukturen zurück gesehnt wird, ich halte das für vollkommen verkehrt und kämpfe dagegen an. Meine innere Sensibilität möchte ich mir aber bewahren. <es fehlt die direkte zwischenmenschliche Auseinandersetzung mit leibhaftig anwesenden Menschen. Diese angeblich fortschrittlichen digitalen Kommunikationsmedien sind es in Wirklichkeit nicht...
Einen Schönen Abend!
Sascha Wildenhain
Sascha Wildenhain (Mittwoch, 20 November 2019 22:24)
Der Missbrauch des Namens unseres Gottes.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass den kritischen Geistern in der Welt sehr schnell der gekreuzigte Gott vor die Nase gehalten wird mit der Intention, nicht "aufzumucken".
Das Gegenteil sollte der Fall sein.
Er war hier, hat Ansage gemacht, ist furchtbar gequält und umgebracht worden. Er ist auferstanden und sitzt zur rechten Gottes. Ich persönlich glaube das. Was ich aber nicht glaube, denke und fühle, ist, das wir diese Welt sich selbst überlassen können im Sinne von "Gott wird`s schon richten!" Das entpflichtete uns von jeglicher Verantwortung. Und Verantwortung wird doch von jeher auch und vor allem im Protestantismus sehr groß geschrieben, nicht wahr?
Herzliche Grüße
Sascha Wildenhain
Sascha Wildenhain (Mittwoch, 20 November 2019 22:38)
Es gibt ein Findungsproblem und darüber wird nicht intensiv und anhaltend genug gesprochen, ich behaupte das. Punkt.
Gute Nacht.
Herzlicher Gruß
Sascha Wildenhain
Gerhard Lindemann (Mittwoch, 20 November 2019 22:46)
Lieber Herr Wildenhain,
wobei ich eher von demokratiefeindlichen (statt, wie Carsten Rentzing am vergangenern Freitag konstatierte, lediglich demokratiekritischen) Denkfiguren gesprochen hatte, die sind aus der Perspektive des Grundgesetzes hoch problematisch, aber sie sind nicht automatisch rechtsextrem. Da würde ich eher mit Gert Pickel mitgehen, der zu dem Urteil gelangt ist, die Texte seien »rechtspopulistisch« bis »angrenzend an rechtsradikal«.
Sascha Wildenhain (Mittwoch, 20 November 2019 23:53)
Während wir hier in der Enkelgeneration die schrecklichen Folgen des furchtbaren zweiten Weltkrieges immer noch ausbaden und sich unzählige Psychologe, Soziologen, Pädagogen, Theologen, Geistliche und Künstler Tag für Tag abmühen, diesen ganzen lebensfeindlichen Dreck aufzuarbeiten und uns alle in der Weiterentwicklung wirklich nach vorne zu bringen haben, die Damen und Herren von ganz Rechtsaußen nichts Besseres zu tun, als sich neu aufzustellen, die Vergangenheit in ihrem Sinne zu relativieren und diesen ganzen elenden Nazischrott im neuen Gewand zu etablieren und das auf allen Ebenen. Dagegen müssen wir uns stemmen, sowohl sanft als auch hart.
Ich war als junger Mann mit meinem besten Freund mal in Schweden, in Hindas, am Grab von Kurt Tucholsky.
Frank Martin hat das hier formuliert, es gibt einen Imperativ, nie wieder Faschismus, das ist jetzt Thema und es darf sich jeder selber befragen, inwieweit er sich einbringen möchte.
Nicht einmal 10% der DDR- Bevölkerung sind auf die Straße gegangen, der Rest hat Kessel Buntes geguckt.
Herzlicher Gruss!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Donnerstag, 21 November 2019 09:58)
Lieber Herr Wildenhain,
Gott "richtet" es nicht ohne uns. Er gab uns Vernunft und er gab uns Liebesfähigkeit. Wir haben diese Gaben nicht für nichts und wieder nichts.
Wenn wir ihm vertrauen, dann finden wir auch Wege. Wege für uns selbst, für seine Gemeinde und Kirche und auch, weil wir in sie hinein wirken können, für die Gesellschaft.
Ich bin bei Ihnen, wenn Sie sich an die Seite von Bruder Martin stellen. Das bedeutet nicht, dass ich keine Fragen an jene Menschen mehr haben würde.
Ich bin, wie gesagt, durchaus konservativ.
Aber das spielt letztlich, wenn es um die Zukunft geht, eine untergeordnete Rolle, denn, um Zukunft zu gewinnen, braucht es halt Vernunft und die Fähigkeit, über den Kirchturmrand zu schauen ebenso, wie Liebe oder Empathie gegenüber den Menschen, mit denen man das gemeinsam versucht.
Was mich seltsam berührt, sind Ihre Worte von den "schrecklichen Folgen des zweiten Weltkrieges", die wir ausbaden müssten.
Der Gedanke ist mir ein wenig fremd. Ich bin ja nun eine Vorgeneration, im Blick auf Sie. Meine Eltern waren beide Jahrgang 16. Mit ihnen habe ich unzählige, fruchtbare Gespräche geführt. Aber das ich etwas ausbaden müsste? Ich weiß heute, das meine Mutter durchaus so etwas, wie eine posttraumatische Belastungsstörung hatte, gegen die sie tapfer ankämpfte.
Aber das weiß ich eben nur, weil ich, später, nach ihrem Tod, als ich das, was sie erzählte und wie sie lebte, aus der Distanz betrachten konnte.
Meinem Vater, der ja im Krieg war, habe ich es zu verdanken, das ich von ganzem Herzen Europäer bin. Er hat mir den Blick geöffnet für die Schönheit der Welt und der Menschen, wohin man auch kommt.
Als Kriegsgefangener in den USA hat er den alltäglichen Rassismus erlebt und verachten gelernt.
Von daher weiß ich, das wir weder Rassismus noch Antisemitismus in unserer Gesellschaft brauchen, sondern immer wieder, selbst in den kleinsten Ansätzen, bekämpfen müssen.
Auch das sollte mit Vernunft geschehen und mit der Gelassenheit dessen, der sich auf dem Fundament dessen weiß, vor dem es nicht Jude noch Grieche, Sklave noch Freier, Mann noch Frau gibt, sondern eine Einheit in Christus.
Herzlich
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Samstag, 23 November 2019 15:14)
Guten Abend allerseits,
unabhängig von der interessanten Kommunikation hier, die ich gut finde, möchte ich kurz einen konstruktiven Beitrag dazu leisten, wie es weiter gehen könnte. Mit Blick auf die bevorstehende Bischofswahl mache ich hier eine Mail einer guten Freundin von mir, die zu den Unterzeichnerinnen der Eingabe an die Synode gehört, öffentlich, weil sie zum Nachdenken anregen soll.
Herzlicher Gruß
Sascha Wildenhain
Hier die Mail:
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde, liebe Interessierte an der Zukunft unserer Kirche,
genau wie viele andere treibt mich die momentane Situation in unserer Kirche um. Nicht erst seitdem der Landesbischof seinen Rücktritt erklärt hat, aber seit dieser Zeit besonders. Wir haben eine Eingabe an die Synode geschrieben zur Einheit der Kirche (https://www.sonntag-sachsen.de/sites/default/files/aufruf_zur_einheit_variante_191018.pdf), ich habe genau wie andere mit verschiedenen Menschen gesprochen.
Ich traue mich mal, Ihnen und Euch gegenüber einige Gedanken zu äußern, auch wenn manches möglicherweise wieder verworfen werden muss und naiv klingt.
Die Kirche ist keine politische Einrichtung, ein Landesbischof kein Politiker. Deshalb ist meine Auffassung, dass es jetzt nicht nur darum gehen sollte, Bischofskandidat*innen zu suchen und zu finden, sondern Gespräche, Prozesse zu führen, die die Gräben innerhalb der Kirche thematisieren und helfen Brücken darüber zu bauen. Diese Aufgabe ist für einen Menschen aus meiner Sicht nicht zu schaffen. Sicherlich ist die Kirchenleitung, sind Verantwortung tragende dazu unterwegs, ohne dass ich davon etwas merke.
Ich denke, wir brauchen nicht wieder eine Wahl mit möglicherweise einem ähnlich knappen Ausgang - egal für wen - wie bei der letzten Bischofswahl, genau weil es kein politisches Amt ist, die Kirche keine Partei und kein nur weltliches Amt. Ich möchte dazu ermuntern, ja vielleicht sogar auffordern, einen Konsens-Prozess zu führen und einen Kandidaten/eine Kandidatin zu finden, die von den wenigsten abgelehnt (nicht von den meisten gewählt!) wird. Dafür könnte die Synode Lösungsvorschläge/Kandidat*innen finden. Diese Form der Entscheidungsfindung – von den Beteiligten nicht die Zustimmung zu einem Vorschlag zu erfragen, sondern das Ausmaß des Widerstands – ermöglicht ein Ergebnis, das einem Konsens am nächsten kommt (systematisches konsensieren). Das kostet Zeit, das kostet viel Information, aufeinander zu bewegen, birgt aber die Chance der Beteiligung und der Reduktion es Konfliktpotentials.
Sascha Wildenhain (Sonntag, 24 November 2019 10:59)
Lieber Herr Flessing,
wenn in Ihrer Familie der Krieg so gut aufgearbeitet worden ist, können Sie sich dankbar schätzen und das ist Ihnen sicherlich auch bewusst. In den meisten Familien war das tiefere thematisieren von Kriegserlebnissen tabu.
Mit dem "ausbaden" habe ich Folgendes ausdrücken wollen: Unsere Gesellschaft, also das gesellschaftliche Miteinander hier wäre anders, wenn dieser Krieg (und der davor auch und alle anderen davor auch) nicht gewesen wäre mit all seinen Folgen, das ist eine Behauptung von mir. Wir wissen doch um die Millionen schwer traumatisierter Kriegsheimkehrer, von denen in den Jahren danach die wenigsten über das Grauen gesprochen haben, das sie erlebt hatten. Und das wiederum hat sich ja auf die Ausgestaltung ihres weiteren Lebens ausgewirkt, tendenziell wohl eher negativ, wenn es nicht aufgearbeitet worden ist. Über dem Schreibtisch von Hans Stark, dem jüngsten Mitglied der SS- Wachmannschaft in Auschwitz hing der Spruch
"MITLEID IST SCHWÄCHE". Wenn ich in Gegenwart von harten AfDern mitteile, dass ich Mitleid habe mit den vielen Menschen, die in unsere sogenannte Wohlstandsgesellschaft herein wollen und dabei ertrinken, na da kann ich mir aber was anhören... Hitlerjugenddrill, Militärausbildung, Krieg, Kampf ums Überleben, entweder der andere oder ich. Und dann 1945 war es vorbei, Bilanz ist bekannt. In meiner Familie wurde so gut wie nie darüber gesprochen, was erlebt worden war, wenn dann nur allgemein gehalten, da sind wir auch wieder bei den Gefühlen. Eine kleine Episode, die doch so bezeichnend ist für das was angerichtet worden ist. Der Großvater eines Freundes von mir konnte auch schwer Gefühle zeigen, geschweige denn über den Krieg sprechen. Mein Freund kam einmal ins Wohnzimmer seines Großvaters, der saß dort gedankenversunken im Sessel, hatte seine Katze im Schoß und streichelte sie, er hatte das Eintreten seines Enkels noch nicht bemerkt. Als er seinen Enkel dann bemerkte, stieß er die Katze von sich fort, weil er es nicht wollte, dass sein Enkel ihn so sieht. Kennen Sie die Erziehungsratgeber von Johanna Haarer? Jetzt wird vielleicht gefragt: Und was hat das alles mit dem Thema zu tun? Ganz viel. Nämlich dass einer ganzen Generation relativ erfolgreich die Liebe und das Mitgefühl aberzogen worden ist. Kann man alles nicht mehr rückgängig machen, ich möchte nur daran mitwirken, dass es zwischenmenschlich mal wieder wärmer und nicht immer kälter wird.
Herzlicher Gruß
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Montag, 25 November 2019 09:13)
Lieber Herr Wildenhain,
was heißt schon "gut aufgearbeitet". Das ist auch so ein moderner Begriff. Ich war und bin neugierig. Ich habe zugehört und ich habe nicht gewertet. Nur deshalb habe ich auch von dem erfahren können, was es so an unterschwelligen Bedrohungen im Leben gab.
Es ist nicht das, was plakativ ist, was bedrohlich ist. Nicht die markigen Sprüche. Mein Vater war in der HJ. Er flog raus, weil er einen HJ - Führer verdroschen hat, der, seiner Meinung nach, ungerecht war.
Meiner Mutter, die, nach dem Lyzeum, sich nicht entscheiden konnte, was zu tun, wurde nahegelegt, ehrenamtlich bei der NSV zu arbeiten, weil es sonst Möglichkeiten gibt, Menschen zur Tätigkeit für die Volksgemeinschaft anzuleiten, die unangenehmer sind.
In der DDR schließlich bekam mein Vater das Angebot von jemandem beim Rat des Bezirks, in den Westen reisen zu dürfen, um seine Verwandten zu besuchen, wenn er bereit ist, als Kurier zu arbeiten. Als er ablehnte, bekam er den Parteiauftrag, sich eine runtergekommene LPG vorzunehmen und sie auf Vordermann zu bringen. Dort wurde er von einem, der als Mitglied der Stasi bekannt war, fast mit einem Kranhaken erschlagen.
Es gibt, in Diktaturen, sehr subtile Möglichkeiten.
Heute gibt es den "shitstorm". Es gibt die Ächtung von Personen, die zelebriert wird, wie bei Prof. Lucke oder wie bei Thomas de Maizière, die man halt am Reden hindert.
Das sind alles Dinge, die nicht in die späteren Geschichtsbücher kommen, aber kennzeichnend für den Zustand einer Gesellschaft sein können.
Wir sollten uns, als Christen, davor hüten, solche "Strickmuster" zu übernehmen.
Gerade wenn wir nicht wollen, das die Kälte unter uns überhand nimmt, sollten wir anders miteinander und auch mit Menschen, die wir als Kontrahenten wahrnehmen, umgehen.
Ich kenne gar keinen Erziehungsratgeber. Ein Grund dafür ist der, dass ich von solchen Theorien nicht viel halte. Ich fürchte sogar, dass diese ganzen Ratgeber nicht unschuldig daran sind, dass heute weitaus mehr Kinder psychische Probleme haben, als das früher der Fall war.
Aber das ist ein anderes Kapitel.
Auch im Blick auf das, was jetzt auf die Kirche zukommt, sollten wir uns eher Gott anvertrauen und seinem Wirken öffnen, als irgend welche Theoretiker zu bemühen.
Glaube soll ja berge versetzen und Beten hilft oft mehr, als wir denken.
Eine gute Woche.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Montag, 25 November 2019 20:27)
Lieber Herr Flessing,
Danke für Ihre Offenheit!
Der Erziehungsratgeber "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind" von Johanna Haarer/ Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_deutsche_Mutter_und_ihr_erstes_Kind:
Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind ist der Titel eines Erziehungsratgebers zur Säuglingspflege der Ärztin Johanna Haarer (1900–1988), der 1934 in erster Auflage erschien. Damit sowie mit ihren Publikationen Unsere kleinen Kinder und Mutter, erzähl von Adolf Hitler! verfasste Haarer die bekanntesten Erziehungsbücher in der Zeit des Nationalsozialismus und prägte die Erziehung dieser Zeit und eine ganze Generation. Die dieser Generation angehörenden Erwachsenen werden in Deutschland unter dem Begriff Kriegskinder zusammengefasst.
Nach dem Krieg wurden Haarers Bücher von den Alliierten verboten. Unter dem Titel Die Mutter und ihr erstes Kind wurde ihr erfolgreichstes Buch in überarbeiteter Fassung und ohne Hinweis auf die Erstausgabe später erneut herausgegeben, 1987 in letzter Auflage. Mit der Frage, wie diese Ratgeber noch heute Einfluss auf die Kindererziehung nehmen, haben sich zahlreiche Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen befasst. Unter ihren Veröffentlichungen hat das Buch von Sigrid Chamberlain mit dem Titel Adolf Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind besondere Beachtung gefunden.
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Worum es mir aber eigentlich geht, lieber Herr Flessing, ist unsere gemeinsame Sorge um die Zukunft dieser Landeskirche. Es gibt Menschen, die sich wirklich konstruktive Gedanken zur nächsten Bischofswahl machen
(einen Kandidaten finden, der von den wenigsten abgelehnt wird) und das wird von so einem klugen Kopf wie Ihnen gleich erst einmal abgebügelt. Ich persönlich halte es für VOLLKOMMEN SINNLOS, im März 2020 zum dritten Mal in Folge die beiden "Lager" innerhalb einer Bischofswahl aufeinander prallen zu lassen, mit dem relativ wahrscheinlichen Ergebnis, dass entweder der eine oder der andere Kandidat (der jeweiligen "Fraktion") die Wahl knapp gewinnen wird, wie auch in den beiden Bischofswahlen davor. Und dann? Was ist dann besser als vorher? NICHTS! Dann geht das ganze Trauerspiel immer so weiter. Jeder von uns macht Fehler. Jeder von uns macht den gleichen Fehler auch vielleicht noch ein zweites Mal. Aber ein drittes Mal? Weht da der heilige Geist? Ich plädiere dafür, einen Kandidaten zu finden, der von beiden Strömungen ("Liberal" und "wertekonservativ", immer diese Etikettierungen, aber momentan geht es wohl noch nicht anders, leider...) am wenigsten abgelehnt wird. Ist doch mal ein konstruktiver Vorschlag, oder ?
Herzlicher Gruß!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Dienstag, 26 November 2019 00:02)
Lieber Herr Wildenhain,
tut mir leid, das ich mich an so lapidaren Dingen, wie einem Erziehungsratgeber festgebissen hatte. Meine Mutter, die ihr erstes Kind noch 39 bekam, hat ihn gewiss nicht gelesen. sie mochte solche Literatur eher weniger.
Ihre Gedanken zu einem möglichen Bischofskandidaten wollte ich nicht abbügeln, habe sie aber auf den ersten Anlauf nicht so ganz durchdrungen.
Ein Kandidat, der am wenigsten abgelehnt wird? Hm, ob sich der findet? Wenn ja, dann sollte er per Akklamation gewählt werden.
Aber ich denke, das sind auch Gedanken ins Unreine gedacht.
Gute Nacht.
Gert Flessing
Juliane Keitel (Dienstag, 26 November 2019 02:19)
Nochmal zur Erklärung der Synode: Ich war am Buß- und Bettag zu einem Informationsabend, zu dem Superintendent Martin Henker geladen hatte. Da ist mir wieder deutlich geworden: Diese Erklärung 'erklärt' und klärt einfach mal überhaupt gar nichts. Eigentlich ist es eine Frechheit, oben drüber "Erklärung" zu schreiben. Es geht um das Nicht-Thematisieren von Unterschieden oder Problemen, weil ein ominöser einheitlicher Geist nicht beschädigt werden soll. Und ich würde mit Bezug auf Sascha Wildenhain sagen, dass das u.a. auch zum Erbe von einer bestimmten Art der Erziehung gehört, die leider eben nicht aufgearbeitet worden ist. Das dokumentiert sich z.B. in solchen 'Erziehungsratgebern' wie "Warum unsere Kinder zu Tyrannen werden" oder "Jedes Kind kann schlafen lernen" bis heute (sie beruhen auf Behaviorismus/Konditionierung und schwarzer Pädagogik), oder auch in der Auflage von Werken Johanna Haarers bis 1987. Dieser Geist ist noch nicht überwunden - danke für die Erinnerung daran, lieber Herr Wildenhain. Ich teile Ihre Sicht da vollkommen.
Lieber Herr Flessing: man kann es statt "aufarbeiten" gerne auch "thematisieren" oder "reflektieren" o.ä. nennen. Aber es ist enorm wichtig. Und genau das müsste auch in der Synode nach den ganzen Geschehnissen passieren: sich gegenseitig die Positionen benennen, die manchen an der Rede von Dr. Rentzing bzw. an den gesamten Ereignissen strittig erscheinen und anderen nicht, sich gegenseitig die Gefühle spiegeln, die Positionen diskutieren, Entscheidungen aushandeln. Und diesen Prozess ehrlich kommunizieren, auch nach außen. Eine externe Moderation wäre nicht vielleicht schlecht...
In den Erläuterungen von Herrn Henker ging es immer wieder darum, aufzuzeigen, wie schwer es doch war, zu dem Text zu finden, dass man Tag und Nacht gerungen und es viele Änderungen und Fassungen gegeben hat. Die Synode drehte sich meinem Eindruck nach um die Angst vor dem Verlust von 'Einheit' (die ja faktisch gar nicht da ist!) und konnte gar nicht vordringen bis zum Kern des Problems, denn worum eigentlich konkret gerungen wurde, tja, das wird einfach nicht benannt! Warum kann denn in einer Erklärung nicht stehen, welches die konträren Positionen zur causa Renzting sind und dass die einen die Position X, die anderen die Position Y, und evtl. wieder andere die Position Z vertreten? Kann man das nicht einmal in einem Dokument veröffentlichen? Als ehrliches Statement, auch für die Öffentlichkeit? Was ist das für eine diffuse Angst? Ich glaube, dass da der entscheidende Punkt liegt: die Dinge müssen erst einmal benannt werden, so dass alle sie vor sich haben. Dann kann man sich auch viel klarer an Lösungen heranwagen. Stattdessen beinhaltet die 'Erklärung' Belehrungen, implizite Verbote, vage Äußerungen. Besonders gerungen wurde wohl um den Satz, der sich auf die Petition bezieht, gegen den es immerhin Gegenstimmen und Enthaltungen gegeben haben soll. Okay. Aber ganz enttäuschend ist auch, dass die Erklärung nicht einen einzigen Satz zur Rede von Dr. Rentzing und den dort enthaltenen Polemiken enthält. Kann man es stehenlassen, dass er gesagt hat, dass sich 'Unloyale' selbst exkommunizieren?? Verpasste Chance, wirklich neu anzufangen. Keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Meiner Meinung nach braucht man ohne einen wirklich klärenden Prozess, eine Aufarbeitung, eine Reflexion der Geschehnisse gar nicht anzufangen, eine neue Person für das Bischofsamt zu suchen/zu wählen.
Juliane Keitel (Dienstag, 26 November 2019 02:20)
Nochmal zum Thema "Petitionen": Zum einen kann ich die Angst vor den Medien und vor Petitionen im Internet - wenn sie denn tatsächlich bei vielen Synodalen, wie Herr Flessin schreibt, vorhanden sein soll - nicht verstehen. Das Internet ist doch kein böser Geist! Für Internet und Co. gibt es Expertinnen und Experten, die muss man dann eben auch mal fragen. Man kann doch in einem so wichtigen Gremium nicht permanent anachronistisch und digital ahnungslos durch die Gegend stolpern. Zum anderen möchte ich Herrn Flessing sagen, dass Petitionen i.d.R. natürlich das Anliegen verfolgen, etwas zu klären, was auf anderen Wegen offenbar nicht (mehr) möglich war. Sie bauen Handlungsdruck auf, sind aber nicht grundsätzlich unkonstruktiv. Das Gegenstück haben wir erlebt mit der 'Petition' für den Verbleib des Bischofs. Auf letztere passt die Formulierung von Prof. Rochus Leonhardt, die er in seinem Aufsatz (https://zeitzeichen.net/node/7884) kreierte: "Petitionspolemik", womit er komischerweise (immerhin ist er Wissenschaftler...) die Petition "Nächstenliebe verlangt Klarheit" bezeichnete, und nicht die andere. Diese andere richtete sich neben dem Ziel, Dr. Rentzing im Amt zu halten, auch gegen die "Intriganten" (im Oktober stand da auch noch "militante Minderheit" - das fehlt jetzt...), die eine "Schmutzkampagne" (https://www.citizengo.org/de/pt/174331-fuer-den-verbleib-von-sachsens-landesbischof-dr-carsten-rentzing-im-amt) gegen den Bischof gestartet hätten. Schon nach diesen Worten braucht man, lieber Herr Flessing, eigentlich nicht mehr weiterzulesen, denn es wird klar, dass es da nicht um eine Auseinandersetzung mit Sachfragen geht, sondern um das Durchsetzen einer Forderung, egal was die Gegenseite hervorzubringen hätte, die schon gleich komplett abgewertet wird. Polemik im reinsten Sinne. Die Frage, welche der Petitionen "Recht" hätte oder "siegt", wie es Herr Flessing fragte, kann so also gar nicht gestellt werden, weil sie einfach mal nicht zu vergleichen sind.
Juliane Keitel (Dienstag, 26 November 2019 02:21)
Und ein Letztes: Idea hat alle Fragmente-Texte veröffentlicht (https://www.idea.de/frei-kirchen/detail/idea-dokumentiert-die-fragmente-texte-von-ex-landesbischof-rentzing-111164.html), mit Zustimmung von Dr. Rentzing. Soviel zu "schäme mich" oder "distanziere mich" oder "haben keine Bedeutung mehr". Im Gegenteil. Nichts davon wird zurückgenommen, alles hat seine Gültigkeit. Ich mag mir gar nicht ausdenken, wie viele Christinnen und Christen demnächst sagen werden, dass die Texte doch so schlimm gar nicht seien... Als Landesbischof musste er gehen, aber die Neuinszenierung seiner rechten Ideen hat über diesen Weg dennoch geklappt. Gruslig.
Gert Flessing (Dienstag, 26 November 2019 10:24)
Liebe Frau Keitel,
es stimmt. Ohne wirklich klärenden Prozess ist es kaum möglich, über eine Bischofswahl nachzudenken.
Um nachdenken zu können, müssen Positionen benannt und erklärt werden.
Vermutlich wäre eine "Sondersynode" fällig, die sich allein damit befasst. Allerdings glaube ich nicht, das es eine solche geben wird.
Kirche kenne ich freilich auch nicht als eine Organisation, in der deutlich und klar geredet wird. Es ist schon oft ein sanfter Schleier über Gegensätze gelegt worden.
Grund ist die Angst vor einem Verlust eines Anscheines von Einheit.
Das ist auch ein Grund dafür, das es gegenüber den Medien und vor allem dem Internet, Vorurteile und Ängste gibt.
Ja. Eine Petition baut Handlungsdruck auf. Genau das, was man gar nicht mag.
Nun denke ich an die innerkirchliche Diskussion, die sich mit dem Internet und dem Umgang damit beschäftigt hat. Da wurde vor allem vor dem Schaden gewarnt, den es anrichten kann. Man hatte dann ein klares NJein parat, denn ohne Internet geht es halt auch nicht.
Wie wird es weiter gehen?
So, wie es bisher gelaufen ist, kann und sollte es nicht weiter gehen.
Auch jenseits einer erweiterten Diskussion über den Ex Bischof, sollten erst einmal die einzelnen Stellungen deutlich werden. Wenn wir eine Kirche bleiben wollen, muss auch das deutlich werden. Und zwar ohne Tünche.
Ich hoffe, wir bleiben im Gespräch.
Herzlich
Gert Flessing
Gert Flessing (Dienstag, 26 November 2019 14:02)
Noch einmal zur Frage der Erziehung.
Zweierlei verstehe ich nicht.
Zum Einen, was denn an Erziehung so schwierig ist, das es irgendwelcher Bucher bedarf, um es, als Eltern, zu erlernen. Ist es nicht eigentlich ein "angeborenes Talent"?
Zum Anderen, welches Buch denn nun "richtig" wäre, da sich ja die Konzepte, im Laufe der Zeit, verändert haben.
Ich selbst wurde sehr frei erzogen. Als Einzelkind, das quasi übrig geblieben war und dessen drei Schwestern dem Krieg und seinen Folgen zum Opfer gefallen waren, wohl auch mit viel Liebe und Rücksichtnahme überhäuft.
Dennoch habe ich, in der Familie, einige Grundregeln gelernt. Dazu gehörten Pünktlichkeit und der Wille, etwas zu erreichen. Außerdem Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme.
All das versuchte ich dann später, meinen Kindern auch weiter zu geben. Vor allem gab ich ihnen die Freiheit, sich zu entfalten, zu spielen, Dinge auszuprobieren und mit allem, aber auch absolut allem, zu uns zu kommen und zu reden.
Es war nicht immer einfach, denn während meine Mutter immer zuhause war, hat meine Frau immer gearbeitet und wer in der Pflege arbeitet, der hat einen etwas ungeregelten Tag.
Dennoch haben wir das getan, was sich durch kein Buch ausgleichen lässt: Wir haben immer am gleichen Strang gezogen.
Zwang und Druck hilft nicht, wenn ein Mensch sich entwickeln und seinen Weg finden soll.
Heißt es nicht, dass uns Christus zur Freiheit befreit hat?
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Dienstag, 26 November 2019 21:02)
Lieber Flessing,
das sind sehr interessante Gedanken, über die ich mit meiner Frau auch hin und wieder diskutiere. Meine Frau ist von Beruf Erzieherin und deshalb kann ich ein wenig mitreden, denke ich...
Sie haben den Finger drauf bei dieser Gretchenfrage. Ich bin genau wie Sie in einem sehr liebevollen Elternhaus aufgewachsen, soviel ich weiß, haben meine Eltern auch keine Bücher gebraucht, denn "es" lag im Wesen meiner Eltern, mich liebevoll zu erziehen. Dafür werde ich ihnen immer dankbar bleiben. "Zuerst bist Du Mutter und dann erst Erzieherin", sage ich manchmal zu meiner Frau, die von Beruf Erzieherin ist, sie liebt ihren Beruf und füllt ihn auch gut aus, das bekommt sie von Eltern und Kolleginnen gespiegelt... Ich denke, die Probleme beginnen dort, wo massive Störungen vorliegen und Eltern oder ein Elternteil- weil alleinerziehend- sich nicht mehr sicher sind, ob sie "richtig" erziehen bzw. wenn das Kind ein Verhalten zeigt, mit dem die Eltern schier überfordert sind. Es gibt so viele Kinder, die nicht das Glück haben, in stabilen Elternhäusern aufzuwachsen, da können Sie als langjähriger Gemeindepfarrer sicherlich die umfangreicheren Begebenheiten erzählen...
Gelassenheit und bedingungslose Liebe zum Kind, dafür plädiere ich, ganz allgemein formuliert. Ich kann an einem Grashalm zerren, wie ich will, er wächst deswegen nicht schneller...
Ich bin völlig bei Ihnen und Frau Keitel, was die kritische Betrachtung der mittlerweile inflationären "Erziehungsratgeber" betrifft. "Warum unsere Kinder Tyrannen werden" war das einzige Buch, für das ich Geld ausgegeben habe und ich bereue es, hätte ich doch meiner Frau lieber einen Strauß Blumen dafür gekauft. Eine kluge Freundin von mir hat vor Jahren mal zu mir gesagt: "Wenn wir Menschen irgendetwas wohl intuitiv können, dann ist es, Kinder groß zu ziehen, denn wir machen ja seit Millionen Jahren nichts anderes..."
Ich möchte Ihnen von meiner Verunsicherung erzählen. Als die DDR unterging, wurde alles intensiv zerpflückt und zum größten Teil in den Orcus der Geschichte gegeben, sicherlich zum größten Teil zu Recht. Sensiblere Naturen wie mich (kein Selbstmitleid) hat natürlich umgetrieben, wie denn die allermeisten Menschen über so viele Jahrzehnte soviel mitgemacht haben, ohne dagegen zu opponieren. Also Thema "Kindergarten", ganz großes Thema in der Umbruchzeit. Ich habe damals alle Bücher von Herrn Maaz gelesen, eine heftige Abrechnung mit allem, was ausgehalten und an vielen Stellen als falsch erkannt worden war (Stichwort: das "gemeinschaftliche "Topfen" usw.). Sprung in die heutige Zeit: wenn ich mitbekomme, wie Eltern ihre Kinder schon mit einem halben Jahr in die Krippe geben, dann kommt das alles wieder hoch. Wenn ich mir ein Lehrbuch für Erzieherinnen, die in der DDR ausgebildet worden sind, durcharbeite (und mir dabei schlecht wird), dann gleiche ich das innerlich mit der Kritik, die in der Umbruchzeit daran geäußert worden ist, ab und vergleiche das dann mit der momentanen Wirklichkeit. Die Kritik, die an Ausbildungsinhalten der DDR-Erzieherinnen steht, lautete im Tenor: der Alltag des Kindes war nahezu minutiös durchgetaktet, es gab kaum Freiräume für die individuelle Persönlichkeitsentwicklung im Kindergarten. Ich kann das zwar für mich persönlich in der Erinnerung so nicht bestätigen, aber von der Metaebene aus betrachtet, ist diese Kritik durchaus berechtigt. Immer muss was los sein, alles muss strukturiert sein, jede Minute durchgeplant, mit vorgegebenem Inhalt ausgefüllt, einfach mal "nur so spielen" wurde (wird???) nach hinten geschoben. Das deckt sich ja dann auch wieder mit Ihren Erfahrungen, lieber Herr Flessing.
Es gibt zu viele verletzte Menschen und Opfer aus den letzten Jahrzehnten, die nicht genügend gehört werden. Wir sind keine Hühner aus der Legebatterie, wir sind Menschen, sensible Geschöpfe, die unerhört komplex beschaffen sind, darauf wird gesellschaftlich (immer mehr ((?))) eingegangen, aber noch lange nicht genug. Es gibt soviel menschliche Kaputtheit, also beschädigte erwachsene Menschen, die Liebe bräuchten, die aber im Zweifelsfall einfach nur zu funktionieren haben und dies sich natürlich auf die Entwicklung der Kinder auswirkt, wenn welche da sind. Wenn es richtig massive Entwicklungsstörungen bei Kindern gibt (und die gibt es), dann ist es gut, dass wir in einer Zeit leben, in der es professionelle Unterstützung gibt . Was kein Mensch braucht, sind oberschlaue Bücher von Egoshootern, die auf Kosten der Allgemeinheit auf Universitäten einen Hochschulabschluss machen durften.
Herzlicher Gruß!
Sascha Wildenhain
Sascha Wildenhain (Dienstag, 26 November 2019 21:04)
Lieber Herr Flessing,
ich habe in # 53 in der Anrede das "Herr" vergessen, sorry!!
Herzlich
sw
Gert Flessing (Mittwoch, 27 November 2019 10:42)
Lieber Herr Wildenhain,
Menschen sind, im Grunde, wesentlich robuster und anpassungsfähiger, als es sich viele Leute heute vorstellen können. Die wirklichen Störungen beginne, so denke ich, da, wo man dieser Anpassungsfähigkeit keinen Raum gibt.
Natürlich kenne ich, aus meiner Praxis, genügend Elternhäuser, die problematisch waren. Erziehungsratgeber hätten da jedoch eher nicht geholfen, denn die meisten, der Betroffenen, hätten sie kaum verstanden.
Als die DDR unterging, war das ebenso zwangsläufig, wie es 45 der Untergang des dritten Reiches war. Freilich, zum Glück, nicht so spektakulär.
Auch die Folge, das geistige Zerpflücken, war zu erwarten.
Ich war, als Kind, zwei Tage im Kindergarten. Mutter hatte mich hingeschickt, weil sie dachte, das es schön wäre, mal ein Gemeinschaftserlebnis zu haben. Mir gefiel es nicht, also blieb ich zuhause.
Ich stand noch nie auf großartige Gemeinschaftserlebnisse.
Meine Kinder waren im Kindergarten und haben sich dort wohl gefühlt. Freilich waren sie "Mittagkind". Mein Jüngster war sogar in der Krippe. Es war ein Glücksfall, das ich gute Beziehungen zu jemandem in unserer Gemeinde hatte, der in einer LPG Krippe arbeitete.
Ich selbst habe mein diakonisches Praktikum in einer Wochenkrippe eines Krankenhauses gemacht. Da lernte ich das "gemeinschaftliche Topfen" auch kennen. Es ließ sich aber auch nicht anders handhaben. Außerdem lernte ich dort Kinder zu windeln, was mir später, als ich Vater war, sehr zugute kam.
Ich glaube auch nicht, das es den Kindern geschadet hat.
Wie gesagt, aus meiner Erfahrung ist der Mensch ziemlich robust.
Nun, aber vielleicht bin ich auch nicht so sensibel. Ich habe mein Fleisch gern blutig.
Die Menschen damals haben durchgehalten, weil sie mussten. Das Leben und Überleben war wichtig und den meisten klar, das zu starke Opposition beides durchaus gefährden konnte. Gorbi kam ja erst zum Schluss.
Oh, es wurde opponiert. Nach meinen Erfahrungen, bis ins Militär hinein. Aber keiner wagte etwas. In den Parteien brodelte es in den Achtzigern schon ganz schön. Selbst in der SED, wenngleich ich das nur am Rande, in einigen Gesprächen, mitbekam.
Soviel dazu, bevor es zu viel wird.
Einen schönen Tag und liebe Grüße
Gert Flessing
Gert Flessing (Mittwoch, 27 November 2019 14:12)
Aber wir sollten vielleicht damit beginnen, im Blick auf die Kirche, über unseren Standpunkt nachzudenken.
Ihn offen zu legen.
Für mich ist die Grundlage für alles andere, das Vertrauen in Gott. Dieser Gott hat sich uns Menschen, die wir seine geliebten Geschöpfe sind, zugewandt.
Das tat er letztlich in dem Menschen Jesus von Nazareth, mit dem er ganz eins wurde.
In ihm erlitt er unseren Tod und ihn ließ er am dritten Tag, gewandelt auferstehen, weil da, wo Gott ist, der Tod nicht das letzte Wort haben kann.
Gott begegnet mir in zweierlei Weise.
Zum einen in der Vernunft, mit der er uns begabt hat und die Johannes mit Logos bezeichnet, zum anderen in der Liebe, die er uns, in seiner Zuwendung erweist und die uns auch aneinander weist.
Das ist mein theologisches Fundament, wenn man es mal auf eine Kurzform bringen möchte.
Was bedeutet es im Alltag?
Für mich bedeutet es, Menschen zugewandt zu leben. Sie anzuhören und nicht zu werten. Gelassen zu bleiben, auch da, wo es manchmal schwer fällt.
Im Gespräch auf den anderen Menschen einzugehen und so lange dran zu bleiben, bis ich verstehe, um was es ihm geht.
Für mich bedeutet es, nicht recht haben zu müssen.
Es bedeutet zusätzlich, dort, wo ich es vermag, zu helfen und zwar ohne viel zu fragen. Menschen auch Nahrung zu geben, Kleidung, wenn nötig, einen Ort, um auszuruhen.
Als ich noch im Amt war, waren des Öfteren Wandergesellen bei uns zu Gast. Auch mal ein polnischer Jugendpfarrer, der mit seinem kleinen, überladenen Bus bei mir gestrandet war und sogar zwei buddhistische Nonnen, auf dem Weg, von Berlin, zu ihrem Kloster.
Es gehört aber auch die Fähigkeit dazu, Nein zu sagen. Zweimal tat ich das. Es hatte beide Male seine Gründe.
Gesellschaftlich gesehen, bin ich von der Verantwortung des Einzelnen für den Einzelnen, überzeugt. Gerechtigkeit kann ich nicht erzwingen, ich kann sie nur leben. Das es, hier, auf der Erde, eine völlig gerechte Gesellschaft gibt, halte ich für abwegig. Ich bin auch nicht von der absoluten Gleichheit aller Menschen überzeugt. Von der Gleichwertigkeit schon.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Mittwoch, 27 November 2019 20:47)
Sehr geehrter Herr Flessing,
Sie bringen es doch auf den Punkt. Das ist das Fundament. Fertig. Alles, was nachkommt, ist intellektuelle Auseinandersetzung und die muss auch sein, damit es friedlich bleibt.
Ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich froh darüber bin, mir ein Herz gefasst zu haben, mit Gert Flessing im Forum "Fromm und frei" in die Kommunikation eingetreten zu sein. Warum? Weil ich hier einen ganz anderen Gert Flessing kennen gelernt habe, als den, der sich im "Sonntag" mitteilt. Es gibt möglicherweise weniger Trennendes als Verbindendes innerhalb der Christenheit, deswegen auch meine Einlassung bezüglich der bevor stehenden Bischofswahl. Ich bleibe dabei: 1989 hat unsere Kirche unerhörte Impulse gesetzt, die so tief in die Gesellschaft hinein gewirkt haben, letztlich auch meine bewusste Entscheidung zur Taufe mit 30 Jahren bewirkten. Davon ist momentan wenig zu spüren, leider. Frau Keitel hat es doch auf den Punkt gebracht: die vielbeschworene Einheit unserer Kirche gibt es praktisch nicht! Wir sind an dieser Stelle einfach nicht wahrhaftig, tragen aber den Anspruch vor uns her, Wahrhaftigkeit leben/ vorleben zu sollen.
Ein Arbeitskollege von mir, der in einem völlig atheistischen Elternhaus aufgewachsen ist, hat vorige Woche zu mir gesagt, dass er den Wunsch verspürt, mal hier in die Kirche in einen Gottesdienst zu gehen.
Herzlicher Gruß
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Mittwoch, 27 November 2019 21:21)
Lieber Herr Wildenhain,
das Problem unserer Kirche ist doch, das es eine wirkliche Einheit nie gab. Sie ist eine Illusion. Ich hoffe, dass auch andere hier das Fundament haben, auf das wir uns augenscheinlich einigen können.
Aber das, was Jesus erbeten hat, nämlich das jene, die ihm nachfolgen, eins werden, damit die Welt glauben kann (!), das habe ich nicht erleben können. Oder doch nur in begrenztem Maße.
Aber ich spüre hier eine Möglichkeit, in einen Gesprächsprozess zu kommen, der vielleicht erst einmal deutlich macht, wo das gesehen wird, was uns Christen uneins sein lässt.
Und das, ohne Polemik und in der Gelassenheit von Menschen, die sich das gemeinsame Fundament nicht streitig machen.
Einen angenehmen Abend
Gert Flessing
Gerhard Lindemann (Donnerstag, 28 November 2019 22:38)
Nochmals zur "Erklärung" der Landessynode: Der von Juliane Keitel mit Recht als zu unentschieden kritisierte Passus des Textes zur unterschiedlichen Einschätzung der letzten Wochen unter den Synodalen und die daraus gezogene Schlussfolgerung erinnern mich sehr an ein Interview, das Dr. Rentzing vor einiger Zeit der "Leipziger Volkszeitung" gab. Dort entgegnete er auf die Frage nach seiner Haltung zu Pegida mit einer Erzählung aus seiner Zeit als Gemeindepfarrer. Es gab Gemeindeglieder, die wollten an einer Pegida-Demonstration teilnehmen, und andere, die vorhatten, sich an der Gegenkundgebung zu beteiligen. Dr. Rentzing versammelte beide Gruppen zu einer Bibelarbeit, deren Ergebnis war, dass beide Seiten ihr Vorhaben aufgaben und niemand nach Dresden fuhr. Damit konnte er "gut leben", erklärte der spätere Landesbischof im Rückblick. Das Problem bei einem solchen Vorgehen ist, dass so beide Optionen als gleichwertig hingestellt werden und die Kirchengemeinde (die als solche auch Kirche ist) als ein zivilgesellschaftlicher Faktor ausfällt.
https://www.lvz.de/Region/Mitteldeutschland/Ich-weiche-nicht-aus-aber-bin-vorsichtig-wenn-es-um-Ausgrenzung-geht
Auffällig ist übrigens auch, dass die Synodalerklärung leider noch nicht einmal im Ansatz den Satz aus der von LKA-Präsident Dr. Vollbach unterzeichneten Erklärung vom 13.10.2019 enthält, der zu Motivationen der Unterzeichner*innen des Offenen Briefes "Nächstenliebe verlangt Klarheit" festhält: "Sie haben damit einer Sorge Ausdruck verliehen, die in unserer Landeskirche existiert und die gehört werden muss: nämlich der Sorge, dass sich die Kirche nicht genug von rechtsextremen, menschen- und demokratiefeindlichen Tendenzen abgrenzt." Das kommt in der Synodalerklärung nicht vor.
Gut ist, dass sie eine bessere Kommunikationskultur in der Landeskirche einfordert. Dazu sollte auch für die Synode ein größeres Maß an Transparenz gehören. Es fehlt bis heute (mit Ausnahme des "Sonntag", der da etwas weiterführend war) eine ausführlichere Wiedergabe der sehr kontroversen Plenardebatten, die zu dem Text führten. Auf der EVLKS-Seite steht zu der Debatte vom Samstag lediglich: "In der folgenden langen Aussprache wurden Form und Inhalt dieses Textes intensiv diskutiert." Zu den Verhandlungen am Montag heißt es: "Da sich im Plenum für beide Texte Fürsprecher fanden, gab es eine kurze Beratung des Ältestenrates. Nach der Kaffeepause wurde die Aussprache fortgesetzt. Der Synodale Marko Kahle brachte einen Abänderungsantrag ein, dem zugestimmt wurde. Danach zog der Synodale Martin Rolle seinen Antrag zurück, um der Landessynode zu ermöglichen, sich mit großer Mehrheit hinter eine Erklärung zu stellen. Diese Erklärung wurde daraufhin mit großer Mehrheit verabschiedet." Andere Landeskirchen bieten Livestreams zu öffentlichen Synodalverhandlungen, hier gibt es noch nicht einmal einen Bericht, der eingehender über die vorgebrachten Argumente informiert. Auch die drei Entwürfe für die "Erklärung" werden nicht dokumentiert.
Sascha Wildenhain (Donnerstag, 28 November 2019 23:10)
Sehr geehrter Herr Lindemann,
vielen Dank für Ihre reflektierten, differenzierenden und substantiell hinterlegten Gedanken. Ich kann nur meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass dies auch mal von Menschen gelesen und überdacht wird, die entscheiden müssen...
Das Problem, das wir nachdenklichen Menschen haben- und das wissen wir auch-,ist, dass wir in einer Zeit angekommen sind, in der die Fronten extrem verhärtet sind, oder habe ich eine falsche Wahrnehmung? Momentan stellt sich mir die Situation so dar: "Mit denen rede ich nicht mehr" sagen die einen über die anderen und die anderen über die einen. Jeder ist momentan in seiner Blase gefangen. Verrückt, oder? Ich spiele seit 20 Jahren Kabarett gemeinsam mit meinem guten Bühnenfreund, der mir wie ein Bruder ist. Die Menschen, die zu uns kommen lieben uns dafür, dass wir das Leben auf der Kleinkunstbühne 1:1 abbilden, leicht überspitzt, aber nicht mehr und das wird verstanden, angenommen und die Menschen lachen. Was sollen wir denn noch machen? Gert Flessing hat hier Humor bewiesen, wenn er sich selbst frei nach Luther als "alten Madensack" bezeichnet, eine Hommage an unsere Hinfälligkeit...Wenn wir es fertig brächten, uns weniger wichtig zu nehmen, dann fiele uns auch das liebevollere Miteinander weniger schwer. So. Und nun mein Schmerz: Genau dies können die Damen und Herren aus der neurechten Ecke eben gar nicht, so meine Behauptung! Strammes Auftreten, immer schön alles nach außen hin geschlossen, stringent wirkend, uniform, eindeutig ansagend....
So ist das Leben aber nicht. Das Leben ist ein einziges Abenteuer, das sich in keine Uniformität hinein zwängen lässt, wenn, dann nur für kurze Zeit und das durfte Herr Rentzing ja nun jetzt für sich selbst hautnah erleben. Möglicherweise steht die sächsische Landeskirche vor einem Umbruch, dessen Dimension die wenigsten erahnen.
Herzlicher Gruss!
Sascha Wildenhain
Sascha Wildenhain (Freitag, 29 November 2019 00:03)
Liebe Forumsteilnehmer,
noch ein Satz zu Herrn Rentzings Erklärungsrede: Ich habe sie mir jetzt mehrmals angesehen/angehört. Das stärkste Stück und die grösste Frechheit ist, dass Herr Rentzing allen Ernstes einfordert, dass sein nationalistisches Geschreibsel von vor 30 Jahren von uns heute lebenden Christenmenschen historisch- kritisch betrachtet werden soll. Wir reden hier von minimalen Zeiträumen, die den Abstand bilden. Meint er das wirklich ernst? Also er, als das scheidende geistliche Oberhaupt der sächsischen Landeskirche fordert ein, das sein krudes Geschreibsel nach diesen wissenschaftlich etablierten Methoden eingeordnet werden soll? Und gleich hinterher die Drohung der selbstverschuldeten Exkommunikation mangels vorhandener Loyalität? Armer Tropf.
Gute Nacht.
Sascha Wildenahion
Einen schönen Aben!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Freitag, 29 November 2019 14:09)
Lieber Herr Lindemann,
ich greife mal Ihre Erzählung über Herrn Dr. Rentzing auf, der seine Pro- und Kontra Pegida Gemeindeglieder in einer Bibelarbeit zusammengenommen hat, worauf das Thema neutralisiert war.
Nun, ich hätte es wohl ähnlich gehalten. Beide Gruppen sind Glieder meiner Gemeinde und damit sind sie tatsächlich, vor Gott, gleichwertig.
Was in der Bibelarbeit genau geschah, was besprochen wurde und wie die Teilnehmer auseinander gingen, wissen wir wohl nicht.
Auch ich hätte mit solch einem Ergebnis gut leben können, weil es geholfen hätte, den Frieden in der Gemeinde, die ja auch Kirche ist, zu bewahren.
Sie denken, das sich die Landeskirche "nicht genug von rechtsextremen... und demokratiefeindlichen Tendenzen abgrenzt".
Was wäre, Ihrer Meinung nach "genug"?
Als wir, in Lunzenau, eine große Aussprache zur Unterbringung von Flüchtlingen hatten, stellte die Kirchgemeinde unsere Sankt Jakobus Kirche dafür zur Verfügung.
Da habe ich zuvor die entsprechenden Truppenteile darüber informiert, das ich, als Hausherr, gegen jeglichen Extremismus und Rassismus, vorgehen würde.
Zweimal musste ich mahnend die Stimme erheben und auf mein Hausrecht aufmerksam machen.
Mir ist es egal, woher der Extremismus kommt. Als Kirche können wir uns nur entschieden davon distanzieren.
Ich verabscheue jegliche Form von öffentlichem Geschrei, das sich in Schlagworten und nicht in Argumenten ergeht. Ich hätte auch jedem Gemeindeglied abgeraten, sich an solchen Veranstaltungen zu beteiligen.
Stattdessen würde ich die Kirche öffnen, für Besinnung und Friedensgebet.
Was nun des Bischof i.R. Aufforderung zur Exegese uralter Texte von ihm anbelangt, halte ich das nicht für eine Frechheit, sondern für Dummfug. Er hatte es ja selbst als überholt bezeichnet.
Zumal sich wohl kaum jemand die Mühe machen wird, den unausgegorenen Mist eines Studenten irgendwo hervor zu kramen.
Wenn die Landeskirche den Gedanken mit der Loyalität, nicht aufgreift und irgendwo fest schreibt, dürfen wir ihn auch als Teil eines bitteren Abgesanges einordnen, denke ich und uns wesentlicheren Fragen zuwenden. Genau, weil wir eben keine Ewigkeit Zeit haben, sondern vergänglich sind, sollten wir es wagen, nach vorn zu schauen und nach Möglichkeiten eines Miteinanders zu suchen.
Es klang ja schon einmal an. Vielleicht sollten diejenigen, die an einem wirklichen Gespräch interessiert sind, sich mal treffen und sich, beim Reden ins Gesicht schauen können.
Herzlich
Gert Flessing
Frank Martin (Freitag, 29 November 2019 16:18)
Lieber Herr Flessing,
Ihre Haltung können Die sich leisten, weil Sie Hausrecht haben und Teil der privilegierten Mehrheitsgesellschaft.
Wir als Gemeinde haben uns Legida, der AfD und anderen Nazis auch auf der Straße entgegengestellt - für die Menschen, die nicht so privilegiert sind, dafür aber real bedroht werden.
Jesus hat auch keinen Stuhlkreis gemacht, als die Frau gesteinigt werden sollte. Er hat sich dazwischen gestellt.
Wer Menschen davon abhält, sich Nazis in den Weg zu stellen, unterstützt Nazis. Und lässt deren Opfer allein.
Viele Grüße
Frank Martin
Gert Flessing (Freitag, 29 November 2019 16:36)
Lieber Bruder Martin,
überlegen Sie bitte mal, wie das so aussieht.
Sie sind Pfarrer in einer Großstadtgemeinde. Da sind die Gemeindegrenzen schwimmend.
Sowohl Dr Rentzing, als auch meine Wenigkeit waren Pfarrer im s.g. "ländlichen Raum", mit recht überschaubaren Strukturen.
Da gibt es gewiss Unterschiede.
Natürlich habe ich in der Kirche, als Pfarrer Hausrecht. Das hat nichts mit Privilegien zu tun.
Das ich die Mehrheitsgesellschaft vertrete, die vor allem Frieden im Ort möchte, versteht sich von selbst. Nur, wenn wir, im Ort, diesen Frieden bewahren, können wir auch, wie es bei uns geschehen ist, als die Flüchtlinge dann kamen, für jene da sein, die weniger privilegiert sind. Insofern haben wir uns schon jenen in den Weg gestellt, die gegen die Flüchtlinge waren.
Jesus und die Ehebrecherin erzählt von einer akuten Notsituation. Insofern halte ich den Vergleich, den sie hier ziehen, für ein wenig gewagt.
Ihr letzter Satz ist einfach nur bemerkenswert.
Aber um es mal deutlich zu sagen - ich spreche auch mit Nazis. Das ist mühsam, aber es gelingt, auch solche verbohrten Menschen, durch Geduld, durch Argumente und dadurch, das man ihnen mitmenschlich begegnet, auf einen anderen, guten Weg, ja selbst in den Schoß der Kirche zurück zu bringen.
Ach ja, Jesus hat die Männer, die jene Frau steinigen wollten, mit einem Argument dazu gebracht, zu gehen, nicht mit Geschrei, nicht mit Parolen, nicht mit Steinen und nicht einmal damit, das er jemanden aus der Meute persönlich angegriffen hätte.
Herzlich
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Freitag, 29 November 2019 17:30)
In meiner Heimatstadt gibt es ein AfD-Büro, das wird immer mal wieder von der Antifa mit Farbe attackiert. Ich war vor 3 Jahren einmal beim Betreiber des Büros, -er ist ja auch in der Kirchgemeinde und sehr engagiert- um das Gespräch mit ihm zu suchen, Gebracht hat es freilich nichts. Als ich ihn seinerzeit mit den Aussagen Höckes konfrontierte und ihn danach frage, wie er das mit seinem Christsein zusammen bringen könne, sagte er, dass der Höcke ein Spinner sei, der nicht die AfD ausmache. Ansonsten auch ganz viel verwirrtes Geschwurbel. Vor kurzem habe ich erfahren, dass er keine Probleme mehr mit den Positionen Höckes hat. Bei Facebook &Co bin ich nicht, komme ich auch nicht hin. Sie radikalisieren sich. Sprüche wie "Wenn wir kommen, wird ausgemistet" oder Herrn Höckes schrecklicher Rassismus und seine offen zelebrierte Nazi-Ideologie können Angst machen, aber ich versuche, mit der Angst klar zu kommen. Es macht mir Mut, dass ich nicht alleine bin! Ich meide seither die Menschen, die offen mit der AfD sympathisieren, außer auf Arbeit, da geht es nicht anders, da muss ich mich mit ihnen direkt auseinander setzen und das tue ich auch. Ich habe riesengroße innere Probleme, in den Gottesdienst zu gehen, wenn ich weiß, dass Gemeindeglieder die AfD wählen und in diesem Dunst groben Unfug schwadronieren, der sich fast immer argumentativ widerlegen lässt.. Komme mir vor, wie im falschen Film. Dann singen sie im Gottesdienst Lieder von Jochen Klepper, der sich mit seiner Familie in der Küche umgebracht hat. Neinein, manchmal muss man eben auch fern bleiben und sich dagegen stellen. Bitte bleiben Sie alle im Gespräch miteinander, auch wenn es anstrengend ist. Dieses Forum hier ist momentan meine kleine Rettungsinsel.
Einen schönen Abend Ihnen allen
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Freitag, 29 November 2019 21:13)
Lieber Herr Wildenhain,
als ich meinen ersten Heilig Abend Gottesdienst in der Uckermark hielt, es war auch meine erste Gemeinde und wir schrieben das Jahr 1977, da erblickte ich, in der ersten Reihe der vollen Kirche, unseren Bürgermeister.
Der Mann war ein überzeugter Genosse, der die Linie der Partei für richtig hielt. Wir hatten uns, eine gute Woche zuvor, recht miteinander angelegt, weil er sich gegen den Bau einer Feierhalle stemmte.
Wie gesagt, es war Heilig Abend und die Kirche voll und er saß in der ersten Reihe und sang die Weihnachtslieder mit und hörte meine Predigt (Krippenspiel gab es damals dort nicht) und empfing am Ende den Segen.
Für einen Moment dachte ich auch, ich sei "im falschen Film". Aber dann sagte ich mir, das es nicht meine Aufgabe ist, zu rechten oder gar zu richten. Meine Aufgabe ist es, das Wort von der Geburt des Erlösers zu sagen. Allen Menschen, nicht nur denen, die ich mag.
Am Ausgang, als auch er mir die Hand gab (es war mir immer unangenehm, so unendlich viele Hände schütteln zu müssen, aber auch das gehörte dazu), wünschte er mir und meiner Familie eine frohe Weihnacht.
Wir sind keine Freunde geworden, aber wir haben einen Weg gefunden, uns nicht an die Kehle zu gehen, sondern auszukommen.
Verstehen Sie, warum mir das reine "Schwarz-Weiß - Denken" abhanden gekommen ist?
Ein Herr Höcke ist ein Rassist und auch ein Nazi. Obwohl letzteres vielleicht schon etwas viel der "Ehre" ist. Angst macht er mir nicht, denn er ist wohl selbst ein Mensch, der im Grunde seines Herzens Angst hat. angst, nicht wirklich etwas hin zu bekommen, wenn er nicht markig genug auftritt und denen, die davon nicht genug bekommen, Zucker gibt.
Er mag ein Populist sein. Ein wirklicher Demagoge ist er nicht, denn das, was ich von ihm gehört habe, ist dümmlich und nicht mitreißend.
Lassen Sie sich nicht ängstigen. Sie sind, im Vertrauen auf Gott, geborgen genug, um die Ruhe zu bewahren und mutig gegen solche Menschen zu argumentieren.
Das ist, wie ich sagte, mühsam. Es gelingt auch am ehesten im persönlichen Gespräch und nicht in einem "Stuhlkreis".
Einen angenehmen Abend
Gert Flessing
Juliane Keitel (Freitag, 29 November 2019 22:32)
Lieber Gerhard Lindemann, ich hatte damals einen ganz ähnlichen Eindruck von dem Interview mit Dr. Rentzing, das Sie angesprochen haben. Ich möchte mich ganz ausdrücklich Ihren Worten anschließen und auch denen von Frank Martin. Wie kann man sich - als Repräsentant der Kirche! - damit zufriedengeben, dass Leute, die sich dem Hass einer verrohten Menge wie Pegida entgegenstellen wollten, dieses nicht tun? Haben Sie, lieber Herr Flessing, schon einmal gehört, was die Pegida- und AfD-Anhänger*innen dort jeden Montag auf den Straßen schreien? Wie kann man dazu schweigen, wenn man weiß, dass Leute aus der eigenen Gemeinde dort hingehen? Mit welchen theologischen oder biblischen Worten/Bezügen kann man denn sowas bitte rechtfertigen? Müsste nicht eine Bibelarbeit mit dem Ziel geführt werden, Pegida-affine Gemeindemitglieder zur Umkehr zu bewegen, anstatt so zu tun, als wäre das eine (Pegida) genauso gut wie das andere (Gegendemo)? Was ist denn da das Maß für diesen unsäglichen Vergleich?
Ich finde es unerträglich, dass es in christlichen Gemeinden diesen Geist gibt. Es ist derselbe, der auch die Aufarbeitung und das klare Benennen von Positionen verhindert. Die Passagen auf der Webseite der Synode, die ich mir auch schon durchgelesen hatte und zum gleichen Schluss wie Herr Lindemann gekommen war, passen auch dazu. Nebulöses, harmoniesüchtiges Zeugs, das nichts erklärt, nichts klarstellt. Wir können uns das jetzt noch zig Mal gegenseitig sagen - die Analyse ist und bleibt ernüchternd, und sogar bedrohlich. Denn ja, Herr Flessing, die Kirche in Sachsen grenzt sich NICHT eindeutig von rechtsextremen Positionen ab! Das liegt doch nun empirisch auf der Hand! Das haben wir allesamt hier mit vielen Argumenten, Beobachtungen, Analysen erörtert, immer wieder kommen wir an diesen Punkt! Und die Kirche bzw. ihre Pfarrer*innen müssten solchen Beispielen, wie sie Sascha Wildenhain erzählt, doch entschieden entgegentreten! Diese Möglichkeit haben sie doch, gerade im ländlichen Raum, in dem die Kontakte vielleicht weniger anonym und über die Woche vielleicht auch dichter möglich sind. Warum gibt es keine klaren Positionen im Gottesdienst oder anderen Zusammenkünften, die AfD-Mitglieder oder -Wähler*innen zum Nachdenken bringen? Was ist da los, warum passiert das nicht? Etwa weil die AfD gegen Abtreibungen ist? Weil Pegida gegen den Islam ist? Oder WARUM sympathisieren Pfarrer*innen und Christinnen und Christen mit der AfD? Welche vernünftige Erklärung sollte es dafür denn nur geben?
Zum Schluss drei Gedanken zur Bibelstelle (Joh 8) bzw. zur unterschiedlichen Lesart von Frank Martin und Gert Flessing: 1) Selbstverständlich ist die Äußerung von Frank Martin "Wer Menschen davon abhält, sich Nazis in den Weg zu stellen, unterstützt Nazis. Und lässt deren Opfer allein." ein klassisches Argument (oder sogar zwei), Herr Flessing! 2. Natürlich hinkt der Vergleich zwischen der Situation der Frau und der Situation in Sachsen, wie jeder Vergleich. Aber eine Notsituation besteht auch hier. Frank Martin betont zu Recht, für wen wir unsere Stimme erheben müssen, nämlich für diejenigen, die - wie die Frau in der biblischen Erzählung - ohne Rechte und Privilegien (und ja, Herr Flessing, natürlich haben Sie als Hausherr Privilegien! Es hat schließlich nicht jede*r ein Haus...) sind, die aber in Gefahr durch diejenigen sind, die Pegida und AfD hinterherlaufen, und die haben schon allein das Privileg, zufällig einen deutschen Pass besitzen zu dürfen. 3) Gert Flessing hat Recht, dass Jesus unglaublich klug argumentiert und damit die Situation entschärft. Aber wo bleibt die Übertragung? Wo sind die Argumente, die Pegida und AfD erreichen könnten? Wo sind die christlichen Repräsentanten in den Gemeinden, in denen AfD-Mitglieder neben Leuten wie Sascha Wildenhain im Gottesdienst sitzen, und denen sich offenbar niemand –Argumentativ! Biblisch! Eindeutig und klar! - in den Weg stellt und sie fragt, ob sie eigentlich wissen, was sie tun?
Juliane Keitel (Freitag, 29 November 2019 23:04)
Oje, Herr Flessing. Herr Höcke ist nichts anderes als ein Nazi und ein Rassist, da braucht man doch nicht drum herumzureden. Schon gar nicht mit sowas wie "Ehre". Aber vielleicht liege ich auch falsch und dieses antiquierte Wort passt genau auf so jemanden wie Höcke. Ich dachte bisher immer, sie gebührt allein Gott. Warum Nazi-Sein irgendetwas mit Ehre zu tun haben sollte entzieht sich mir vollends.
Ihr Beispiel mit dem Bürgermeister ist sehr schön und hatte zu DDR-Zeiten einen hohen symbolischen Wert. Aber er passt einfach mal nicht auf die hier besprochenen Situationen. Hier geht es gerade um ein innerkirchliches Problem, um die sächsische Kirche, die ihre Mitte, ihren Konsens in der Beurteilung gesellschaftlicher Entwicklungen verloren hat und nicht mehr weiß, welches die richtige Seite ist.
Im Übrigen verstehe ich Ihre Differenzierung zwischen Gesprächen und Stuhlkreis nicht. Ich denke, dass Frank Martin darauf anspielte, dass die Zeit des Diskutierens bereits verpasst wurde und es nun klare Zeichen braucht. Pegida und die Landtagswahlen haben Tatsachen geschaffen, denen sich eine Zivilgesellschaft entschiedenen entgegenstellen muss. Für mich muss parallel aber hart gearbeitet werden, und zwar in den Gemeinden, u.a. gern in Gesprächen und Stuhlkreisen...
Gert Flessing (Samstag, 30 November 2019 09:32)
Liebe Frau Keitel,
danke für Ihre ausführlichen Ausführungen.
Ich versuche es mal ein wenig systematisch.
Das Herr Höcke ein Rassist und Nazi ist, habe ich eigentlich recht deutlich geschrieben. Ehre habe ich nicht umsonst in Anführungszeichen gesetzt. Ich tat das, weil ich echte Nazis kennen gelernt habe. Habe mit einem sehr alten Herrn, über das Internet, eine Weile korrespondiert, der "dem Führer" persönlich ins Blauäuglein geschaut hat und noch immer davon schwärmte, ebenso, wie er, für sein Alter, sehr eloquent, die absolute Schuld der Juden an allem postulierte. Im Vergleich mit solchen Leuten ist Höcke ein Nichts.
Sie wissen bestimmt auch, dass der begriff "Ehre" recht unterschiedlich Verwendung findet. Er begegnet uns doch auch in dem Wort "ehrlich".
Gott allein gebührt die Ehre, also die Verehrung. Da haben Sie recht.
Aber auch Menschen können Ehrgefühl besitzen.
Ein Gespräch ist, für mich, zunächst einmal etwas, was sich zwischen vier Augen abspielt. Es ist eine persönlichere Geschichte. Ein "Stuhlkreis" ist ein Gruppengespräch und hat völlig andere Regeln, wie ich einst, in Gesprächsführung, lernen durfte.
Das, was ich, im Blick auf meine Erfahrungen in der DDR angeführt habe, passt schon. Auch damals haben wir, als Kirche, um einen Konsens, in der Beurteilung der gesellschaftlichen Entwicklung, gerungen.
Einig war man sich nicht und die Formulierung einer "Kirche im Sozialismus" blieb immer auch umstritten.
Woher wissen Sie eigentlich, das es, in den Gottesdiensten, landauf, landab, keine Aussagen gibt, die dazu gedacht sind, Menschen, die der AfD nahe stehen, zum Nachdenken zu bringen?
Ich würde mir solch ein Urteil nicht anmaßen wollen, wenn ich nicht die entsprechenden Predigten gehört hätte.
Warum Menschen, vielleicht auch Pfarrer, mit der AfD sympathisieren, weiß ich nicht. Ich jedenfalls sympathisiere mit keiner Partei, seit ich die CDU verlassen habe.
Ich habe einst KALEB mit begründet. Ich habe mich seit den siebziger Jahren mit dem Islam befasst. Das macht mir aber die AfD nicht sympathisch, weil es mehr gibt, als die Kritik an einige Punkten, die man halt unterschiedlich werten kann.
Natürlich haben Sie auch Recht, was Privilegien anbelangt. Ich bin Deutscher. Damit bin ich gewiss privilegiert. Ich gebe zu, dass ich auch ein wenig elitär bin. Dazu trägt nicht zuletzt die Tatsache bei, dass ich die Geschichte meiner Familie, bis in die Zeit Luthers zurück verfolgen kann. Vermutlich geht es mir da, wie der Kartoffel. Die besten Teile liegen unter der Erde.
Die Argumente, die gegen Pegida und Co vorgebracht werden können?
Das es keine gibt, denke ich nicht. Zur Nächstenliebe gehört eben auch, das man Fremde beherbergt, hungrigen Nahrung gibt...
Ich habe schon reingehört, was bei Kundgebungen von Pegida gebrüllt wird. Das ist Hass. Ich habe auch reingehört, was die Gegendemonstranten brüllen. Seltsamerweise sind mir da auch keine Argumente aufgefallen. "Wir sind mehr" ist oftmals auch nur ein frommer Wunsch.
Die zeit des Diskutierens ist vorbei? Klare Zeichen? Was soll das werden? Gewalt?
Das Gewaltmonopol liegt nicht auf der Straße, sondern bei der Regierung.
Einen angenehmen Sonnabend
Gert Flessing
Juliane Keitel (Samstag, 30 November 2019 10:42)
Herr Flessing, Sie haben mit diesem zweifelhaften Verweis auf 'Ehre' die Kennzeichnung Höckes mit "Nazi" relativiert, da nutzen Ihre Nachbesserungen nichts. Beides ist m.E. völlig unpassend: die Relativierung und die Verwendung von "Ehre". Lesen Sie sein Buch, dann dürfte klar sein, wohin Höcke strebt, und das ist kein "Nichts", das ist Horror. Absolut notwendig also, dass wir alle vereint so laut wie möglich BRÜLLEN: Wir sind mehr!! - und hoffen, dass es stimmt. Auch hier rechtfertigen Sie mit diesem unsäglichen Whataboutism letztlich wieder das Brüllen der Pegida-Demonstranten. Ich kann darüber einfach nur den Kopf schütteln. Sie können doch nicht den Hass von Pegida ablehnen, und im selben Satz (!!) wiederum sagen, dass die 'Gegenseite' ja auch keine Argumente hätte. Können Sie denn nicht verstehen, dass man das überhaupt nicht vergleichen kann? Können Sie bitte mal Ursache und Wirkung voneinander unterscheiden und die jeweiigen Ziele, wer warum und mit welchen Worten auf die Straße geht??? Sie wollen - aus irgendeinem Grund - Pegida immerzu verteidigen. Das kann ich nicht mehr ertragen.
Heute beginnt der AfD-Parteitag, auf dem es auch um eine Nachfolge-Person für Gauland geht. Ein ehemaliger Kirchemusker als Kandidat ist auch dabei, und natürlich ein Sachse, denn hier haben wir ja ein grandioses Nest, das zu vergrößern sich offenbar lohnt. (Entschuldigung für den Sarkasmus)
Gerhard Lindemann (Samstag, 30 November 2019 10:47)
Nein, lieber Herr Flessing, man kann nicht sagen, dass im Vergleich zu solchen Menschen wie dem "alten Herrn", mit dem Sie korrespondiert haben, Herr Höcke ein "Nichts" ist. Im Unterschied zu dem Mann geht er mit seinen Positionen an die Öffentlichkeit, mobilisiert gegen den demokratischen Verfassungsstaat und für eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" und stößt damit auf eine große Resonanz (was die letzten Landtagswahlen in Thüringen deutlich zeigten).
Und: Vergleiche der heutigen Situation der ev. Kirche mit derjenigen in der DDR sind hier nicht weiterführend. Damals ging es um das kirchliche Reden und Handeln unter den Bedingungen einer Diktatur. Die tatsächlich schillernde Formel "Kirche im Sozialismus" bot als Ortsbestimmung immerhin die Chance, kirchlichen Akteuren unterschiedliche Handlungswege und Positionierungen zu ermöglichen, so dass auch systemkritisches Verhalten noch unter kirchlichem Schutz stehen konnte.
In der Gegenwart leben wir nicht in einer Diktatur, sondern einer bedrohten Demokratie, in der weiterhin die Freiheit der Rede gilt, es folglich keinen Grund gibt, verklausuliert zu sprechen. Und da hat sich eine Landeskirche im Blick auf den Erhalt des demokratischen Verfassungsstaats klar zu positionieren, zumal sie Körperschaft des öffentlichen Rechts ist und damit auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Dass die sächsische Landessynode sich nicht in der Lage sah, die Texte von Dr. Rentzing eindeutig zu bewerten, wie es die von LKA-Präsident Vollbach unterzeichnete Erklärung tat, sondern lediglich bekundet, dass es unterschiedliche Meinungen und Bewertungen gibt und man diese als gleichwertig nebeneinander stehen lässt, ist (nicht nur) von daher hochproblematisch. Die einen haben offenbar Angst, Anhänger der AfD zu verprellen, andere finden demokratiefeindliche (und nationalistische) Positionen unproblematisch oder teilen sie sogar.
Ungeklärt bleibt daneben auch die Frage, wie man zu weiterhin bestehenden (also nicht früheren und nach der Ordination beendeten) Mitgliedschaften Geistlicher in pflichtschlagenden studentischen Verbindungen steht. Auch das ließ die Synode mit der gewählten Formulierung offen.
Gerhard Lindemann (Samstag, 30 November 2019 11:05)
Eine Ergänzung zu dem dankenswerten Hinweis von Juliane Keitel auf den AfD-Parteitag: Der Braunschweiger Landesbischof hält aus diesem Anlass heute eine Mittagsandacht im Dom der Stadt. Der letzte AfD-Bundesparteitag fand im Januar 2019 in Riesa statt. Gab es eine entsprechende Reaktion von Landesbischof Rentzing? Meines Wissens nein. Das, Herr Flessing, ist eben gemeint mit der in der Erklärung vom 13.10. genannten (und von der synode nicht aufgegriffenen Sorge, "die in unserer Landeskirche existiert und die gehört werden muss: nämlich der Sorge, dass sich die Kirche nicht genug von rechtsextremen, menschen- und demokratiefeindlichen Tendenzen abgrenzt."
Frank Martin (Samstag, 30 November 2019 11:25)
Lieber Herr Flessing,
was privilegiert meint, wissen Sie schon. Das habe ich auch mit meinem Toleranztext zu erklären versucht. Sie können sich frei bewegen. Sie haben Rechte und genießen im Zweifel den Schutz staatlicher Behörden.
Manche erleben den Staat und das Staatsvolk anders. Und da gilt meine Solidarität.
Nicht die Regierung hat das Gewaltmonopol, sondern der Staat. Das ist ein nicht unwesentlicher Unterschied - die Regierung missbraucht das Gewaltmonopol mitunter nämlich. Und die Organe des Gewaltmonopols auch - siehe Polizeigewalt.
Viele Grüße
Frank Martin
Sascha Wildenhain (Samstag, 30 November 2019 12:46)
Lieber Herr Flessing,
ich kann verstehen, was Sie ausdrücken möchten (Höcke ein Nichts usw.), aber an der Stelle möchte ich sagen, dass diese Leute wirklich gefährlich sind. Höcke hat durchblicken lassen, dass er Gustav Le Bons Werk "Psychologie der Massen" studiert hat und die relevanten Erkenntnisse daraus auch anwendet. Nun ja, das dürften andere Politiker wohl auch machen. Schwieriger wird`s dann schon mit seinen in die Welt gesetzten Äußerungen des "Denkmals der Schande" und der "dämlichen Bewältigungspolitik" und der "erinnerungspolitischen Wende um 180°". Und dann diese ganze Führersoße mit dramatischer Einzugsmusik, Gejubel und anschließenden Hetzreden. Wenn das Thema nicht so ernst wäre, könnte man eigentlich nur mit Walter Moers darüber lachen... Diese Herrschaften denken, dass ihr böses Spiel, so zu formulieren, dass es im Nachhinein immer wieder politisch korrekt interpretiert werden kann, nicht durchschaut wird. Irrtum. Ist längst durchschaut. Dann gibt es ja auch noch diese Texte von "Landolf Ladig", der mutige Journalist Herr Kemper hat da intensiv recherchiert und selbst der Verfassungsschutz stützt sich auf diese Recherchen. So und jetzt Butter bei die Fische: Ein Regierungspräsident ist erschossen worden. In Halle hat ein psychotischer Rechtsextremer Menschen erschossen und wenn es ihm gelungen wäre, in die Synagoge einzudringen, dann wollen wir uns alle nicht ausmalen, was dann geschehen wäre. Herr Höcke würde-wenn er die Macht dazu hätte- Böses anrichten, daran gibt es keinen Zweifel:https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-10/rechtsextremismus-bjoern-hoecke-afd-fluegel-rechte-gewalt-Faschismus.
Er macht daraus genauso wenig einen Hehl wie seinerzeit Herr Hitler keinen Hehl daraus gemacht hat, was er vorhat, hätten alle wissen können, die lesen konnten. Und es ist auch ganz offensichtlich, dass die Neurechten die gleiche Strategie fahren, wie ihre Vorbilder: Wenn ich die Demokratie schon nicht mit Gewalt beseitigen kann, dann muss ich ihre Spielregeln mitspielen und nach und nach alle Parlamente erobern. Hat schon einmal zum Erfolg geführt. Leider. Diese Herrschaften sind gefährlich, ich bleibe dabei. Es wird im Hintergrund an Umsturzplänen gearbeitet mit allen Konsequenzen und es existieren Todeslisten, das ist alles andere als nicht besorgniserregend. Sie würden sehr weit gehen, diese Leute, wenn sie Macht bekämen. Das müssen wir verhindern. Herr Guse sagte in der Pressekonferenz zur "Causa Rentzing" auch sinngemäß, dass die AfD eine demokratisch etablierte Partei sei und das man das mal zur Kenntnis nehmen müsse. Der Sache nach hat er natürlich recht, meine Frage an ihn wäre, was er denn damit eigentlich hat zum Ausdruck bringen wollen. Angesichts der Millionen Opfer, denen wir es schuldig sind, dass sich dieser Wahnsinn nicht wiederholt, halte ich es schon für eine Katastrophe, dass hier offensichtlich so viel Empathielosigkeit vorhanden ist. Sind denn keine Überlebendenberichte gelesen worden, z. B. von Jankiel Wiernik aus Treblinka?: https://einjahrintreblinka.wordpress.com/tag/wiernik/
Ich persönlich habe im Gegensatz zu nicht wenigen Deutschen keine Problem damit, den Holocaust als Teil unserer Geschichte zu akzeptieren. Auf die theologische Frage, wie Gott das hat zulassen können, habe ich in den vergangenen Jahren von keinem einzigen Geistlichen eine Antwort bekommen, von der ich das Gefühl hatte, dass man sich wenigstens bemüht hat, eine Antwort zu finden. Momentan gibt mir diese Antwort hier einen kleinen Halt:https://www.deutschlandfunk.de/christen-und-juden-warum-hat-gott-zugeschaut-in-auschwitz.886.de.html?dram:article_id=359462.
Gott hält sich raus, wir Menschen müssen das regeln, das ist meine Erkenntnis. Jetzt nochmal kurz zur Angst: Ich orientiere mich an dem Ausspruch von Wolf Biermann: "Ich habe immer darauf geachtet, dass ich die Angst habe und nicht die Angst mich." Damit ist alles gesagt.
Herzliche Grüße!
Sascha Wildenhain
Juliane Keitel (Samstag, 30 November 2019 13:22)
Ganz herzlichen Dank für den Hinweis auf die Andacht von Bischof Dr. Christoph Meyns am heutigen Tag, lieber Gerhard Lindemann. Das macht ein wenig Mut.
Gert Flessing (Samstag, 30 November 2019 16:17)
Bin ich eigentlich verpflichtet, eine bestimmte Begriffswahl zu benutzen?
Mit keinem Wort habe ich davon geschrieben, Pegida in irgend einer Weise zu rechtfertigen. Ich lehne das, wofür diese Menschen stehen, ab.
Ich fürchte, das es manche Leute nicht begreifen, das mir auch die Gegenseite, in der Wortwahl, die benutzt wird, suspekt ist. Aber ich lehne jeglichen Hass ab.
Mich erinnert das, in gewisser Weise, an Geschichten, die mir meine Mutter aus den Jahren 1930/31, aus Frankfurt/Oder erzählte. Nazis aus der einen Straße mit ihren Parolen, Kommunisten aus der anderen Straße und dann gab es "Straßenschlachten". Wenigstens wird es heute nicht blutig ausgefochten.
(Oder noch nicht?)
Herr Höcke ist ein Nazi. Es wäre nur gut, wenn dieser Mann aufgehalten werden könnte. Scheinbar ist aber nichts von dem, was er bisher sagte oder schrieb, strafrechtlich relevant. Ergo müssten ihm die Menschen abspenstig gemacht werden.
Natürlich könnte eine Erklärung der Kirchenleitung möglich sein, die darauf hinweist, das wir als Christen weder rechtsextreme, noch andere menschen- und demokratiefeindliche Tendenzen in Gesellschaft und Parteien unterstützen können.
Das ist aber auch etwas, worauf Pfarrer und Kirchvorsteher in den Gemeinden, selbst kommen können.
Ich bin dankbar, das wir in einer Demokratie leben, die uns viele Möglichkeiten einräumt. Auch als Kirche haben wir davon profitiert. Ich bin auch davon überzeugt, dass die Kirche völlig auf dem Boden des Grundgesetzes steht und das auch verteidigt.
Ich bin auch davon überzeugt, das es uns gelingen wird.
Dennoch leben wir in einer gespaltenen und vielleicht schwer geschädigten Gesellschaft, wie ich fürchte. Damit umzugehen und nach Hoffnung zu suchen, ist nicht einfach.
Dennoch wünsche ich mir, selbst wenn ich i.R. bin, das Reden und nachdenken nicht ganz sinnlos sind.
Jetzt geh ich aber erst mal auf den Weihnachtsmarkt.
Einen schönen Abend.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Sonntag, 01 Dezember 2019 00:23)
Advent.
Ankunft. Gott ist in die Welt gekommen in Jesus Christus. Liebe. Wer sich hier für die Schwächsten einsetzt, wird nicht selten angespien, das ist Fakt. Frank Martin kann das bestätigen. Meine Frau hat sich in der Flüchtlingshilfe hier im Ort engagiert. Dort waren bis auf wenige Ausnahmen keine Gemeindeglieder der Kirchgemeinde wahrnehmbar. Alles verlogen. In Christus ist Gott Mensch geworden und hat sich allen Menschen zugewandt. Hier in meiner Heimat werden jetzt die Schwibbögen in die Fenster gestellt und die Raacherkerzeln angezündet und am Heiligabend ist die Kirche voll. Ich gehe momentan nicht mehr hin. Mit dem Thema Flüchtlinge und Ausländer haben die Menschen hier tendenziell ein großes innerliches Problem. Erzgebirger sind unheimlich offen, hinter verschlossenen Türen. Angst vor unbekanntem, vor Fremden ist okay. Angst vor anderen Menschen, die einfach nur da sind und sich integrieren, ist unbegründet. Mit Alltagsparolen habe ich es nicht so. Ich möchte uns eine Episode erzählen: In unserem Unternehmen gibt es auch Subunternehmen. Ein Elektromeister führte über Wochen einen albanischen Menschen im Fach durch die Firma, verständnisvoll, technisch versiert und einfühlsam. Ich habe ihn daraufhin angesprochen und ihm meinen Respekt gezollt, dass er dies so engagiert leistet. So gehört sich das. Diesen ganzen bösen rechtsradikalen Geiferern sei dies ins Stammbuch geschrieben.
Herzlicher Gruß
Sascha Wildenhain
Juliane Keitel (Sonntag, 01 Dezember 2019 04:44)
Lieber Herr Flessing, Sie müssen sich für gar nichts rechtfertigen, und selbstverständlich können Sie jeden Begriff verwenden, den Sie wollen. Wir leben in einem freien Land. Aber man kann Sie natürlich auch kritisieren für Ihre Wortwahl und Ihre Beispiele - das müssen Sie schon aushalten. Schließlich führen wir hier ja eine Diskussion.
Sie relativieren - und dabei bleibe ich - auf sprachlicher/textlicher Ebene das Vorgehen von AfD und Pegida. Ihre vielen Beispiele, in denen Sie erzählen, wie Sie sich für Schwache einsetzen oder dafür gesorgt haben, dass es Hilfe für sie gibt, und die allesamt sehr lobenswert sind - keine Frage! - führen aber offenbar nicht dazu, dass Sie zwischen denjenigen zu unterscheiden vermögen, die ganz genau definieren wollen, wer zu den Schwachen gehört und wer nicht, und denjenigen, die sich gegen eine elitäre Aus- und Abgrenzung richten und eine unbedingte Nächstenliebe einfordern, wie sie uns bspw. im Neuen Testament begegnet. Beide sind kategorial voneinander zu unterscheiden. Ihr Argumentationsmuster ist es aber, immer und immer wieder, zu sagen, dass Sie zwar Pegida und Co. ablehnen würden, dass aber die 'Gegen'-Seite auch bloß keine Argumente hätte und auch bloß Parolen brüllen würde. Das erinnert mich leider an die Abschiedsrede und an andere Äußerungen von Dr. Rentzing, die wir hier im Forum mehrfach kritisch besprochen hatten. Pegida und die Gegendemos sind von ihren Zielen und Methoden her - ich sage es gerne auch immer und immer wieder - einfach mal nicht gleichzusetzen! Und es gibt auch keine gleichwertigen zwei Seiten, Herr Flessing! Ich möchte wirklich wissen, was Ihnen daran "suspekt" ist, wenn man sich Pegida, die Sie ja auch ablehnen, entgegenstellt. Das ist absurd und unlogisch.
Auch Ihr neu eingebrachter Vergleich ist ungeeiget, die Situation hier abzubilden, weil er ebenfalls eine unzulässige Gleichrangigkeit der Konfliktparteien vor Augen stellt: Auch bei den Kämpfen zwischen gewaltbereiten Nazis und Kommunisten in der Weimarer Republik muss man Ursachen und Wirkungen unterscheiden, man denke bspw. an die äußerst militante SA, die für viele brutale Polit-Morde damals verantwortlich war. Gewaltbereit - und zwar zunächst in Worten, die drastischer kaum sein können - ist hier nur 'eine Seite'. Schauen Sie sich einmal an, wie viele Bürgermeister*innen im ländlichen Bereich in den letzten Monaten ihren Job niedergelegt haben - bestimmt nicht wegen Druck von "links"!! Kann man da noch schweigen und lediglich sagen, dass die anderen ja auch Parolen brüllen? Muss man als Bischof da nicht mal seinen Hauptamtlichen empfehlen, die Gemeindemitglieder zur unbedingten Solidarität aufzurufen? Zur Stellungnahme im Ort? Das kann so oft von den Kanzeln nicht passiert sein, sonst hätten wir diese Misere jetzt nicht in Sachsen und in unserer Landeskirche. Ich gebe Ihnen gerne Recht, Herr Flessing, dass ich die Situation im Einzelnen da natürlich nicht genau kenne, aber ich wäre froh, von Gegenbeispielen außerhalb der Großstädte zu wissen. Durch die Schilderungen von Sascha Wildenhain (vielen Dank dafür!) bin ich allerdings sehr skeptisch und glaube nicht, dass es viele Kirchgemeinden waren, die sich aktiv gegen diesen Hass positioniert haben - zumal wenn der Landesbischof eine ganz andere Richtung propagierte.
Gestern ist ein Sachse zweiter Vorsitzender der AfD geworden. Ich hoffe, dass die Kirche auch für meine Sorge vor dem weiteren Erstarken des Rechtspopulismus und vor der Zukunft unserer Demokratie da ist und nicht die Gemeindemitglieder - durch mangelnde Klarheit! - weiterhin bestärkt werden, die Sorge und Angst mit Abgrenzung, Ausgrenzung und Neid verwechseln. Es tut mir leid, am 1. Advent keine versöhnlicheren Worte zu haben. Alles hat seine Zeit.
Gert Flessing (Sonntag, 01 Dezember 2019 10:43)
Guten Morgen,
und allen Mitdiskutanten einen gesegneten ersten Advent.
Es ist für mich schwierig, mich noch schärfer zu positionieren. Natürlich will ich hoffen, dass die Menschen, die gegen Pegida und auch jetzt, gegen den AfD Parteitag, auf die Straße gehen, anders sind. Ihre Ziele sind es, Menschen zu bewegen, sich auf die Seite der Menschlichkeit zu stellen. Das ist mir, wenn ich lese, wer sich beteiligt, schon deutlich. Ob es andere Methoden geben könnte, als Gegenparolen, weiß ich nicht.
Mein Problem liegt darin, das ich mir ansehe, was sich sonst noch da blicken lässt, vermummt, krawallig... Das stößt mich ab.
Wenn dann Gruppen auftreten, in deren Texten auch Menschenverachtung mitschwingt, dann habe ich ein Ekelgefühl.
Das ähnelt durchaus dem, was ich für die andere Seite empfinde.
Ich frage mich dann, ob das wirklich alles Verteidiger der Demokratie sind?
Ich habe mich, in Leipzig, mit Vertretern der Linken unterhalten und auch mit jungen Leuten, die noch weiter links waren. Einige waren Anarchisten. Einige schwärmten von der Diktatur der Massen. Sie alle dürften bei den Protesten gegen Legida dabei gewesen sein.
Ist der Feind meines Feindes mein Freund? Oder ist er ein Mittel zum Zweck?
Bruder Martin schreibt, das manche Staat und Staatsvolk anders erfahren, als ich und er meint damit wohl nicht nur Flüchtlinge. Ich habe die Aufrufe, gegen das Polizeigesetz zu demonstrieren, gelesen.
Die bürgerliche, privilegierte Seele in mir tut sich schwer, mit Sprayern, Vermummten und anarchischen Typen, die keine Autorität anerkennen, solidarisch zu sein.
Ein Teil aber wünscht sich, selbst etwas anarchischer sein zu können, vielleicht, weil ich da auch eine Freiheit sehe, die ich mir selbst verwehre.
Nein, ich möchte nicht, das wir rechte Strukturen stärken. Ich möchte die Demokratie stark sehen und die es schafft, für alle Menschen da zu sein, die bereit sind, sich in sie einzubringen.
Trotzdem weiß ich, das mein Weg wohl nie der sein wird, der zu Massenansammlungen führt. Höchstens, um zu den Menschen zu reden und sie zum Frieden zu mahnen.
Herzlich
Gert Flessing
Gerhard Lindemann (Sonntag, 01 Dezember 2019 14:20)
Vielen Dank, liebe Juliane Keitel, für die hilfreichen Klarstellungen.
Landesbischof Dr. Meyns war gestern, wie ich später sah, übrigens zusätzlich auf der Gegenkundgebung gegen den AfD-Parteitag mit einem eigenen Wortbeitrag präsent.
Anbei ein Link zu einer neuen sehr hilfreichen Analyse einiger Texte von Carsten Rentzing aus den "Fragmenten" mit plausiblen Linienziehungen bis in die Gegenwart. Besonders interessant finde ich den Gedanken eines "Marsches durch die Institutionen" von "rechts" her, indem man einiges von dem preisgibt, was man "früher" einmal gedacht hat, aber eben nicht alles.
Andreas Mertin, Von der Verantwortung des Schreibens. Notizen zum Fall „Carsten Rentzing“
https://www.theomag.de/122/am681.htm
Sascha Wildenhain (Sonntag, 01 Dezember 2019 20:01)
Lieber Gerhard Lindemann,
vielen Dank für diesen sehr interessanten Link!
Ich habe mich durchgelesen und ich bin einfach nur geschockt.
Es ist schon eine recht große Herausforderung, hier nicht zu verzweifeln. Durch in der DDR authentisch lebende Christenmenschen bin ich auf Jesus Christus und seine Botschaft aufmerksam gemacht worden. Im Staatsbürgerkundeunterricht hatte ich die große Klappe und mein Vater hat mich noch dazu ermutigt! Er schlug mir
zu Hause eine Buchseite in irgendeinem Machwerk von Lenin auf, da stand etwas vom "kommunistischen Hochmut" und er sagte zu mir: " Hier, nimm das Buch morgen mit in die Schule und frage doch Deine Staatsbürgerkundelehrerin mal, was es mit dem kommunistischen Hochmut auf sich hat!" Habe ich auch gemacht, kam nur Gestammel als Antwort. Was ist denn hier eigentlich los? Dieses verklemmte, verschwurbelte Geschreibsel von Herrn Rentzing, was sagt uns denn das? Hat alles überhaupt gar nichts mit dem Evangelium zu tun. Also momentan weiß ich nicht, wie das hier mal weiter gehen soll, ohne klare Differenzierungen. Ich habe schon das Gefühl, dass Herr Flessing hier authentisch ist und wir hier alle die Hand hinreichen.
Ich habe auch keine Patentrezepte, wie hart wir uns jetzt aufstellen sollen, angesichts der existierenden Gefahr von Rechts. Hier ein Gedicht von Tucholsky:
Rosen auf den Weg gestreut
Ihr müßt sie lieb und nett behandeln,
erschreckt sie nicht – sie sind so zart!
Ihr müßt mit Palmen sie umwandeln,
getreulich ihrer Eigenart!
Pfeift euerm Hunde, wenn er kläfft –:
Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!
Wenn sie in ihren Sälen hetzen,
sagt: »Ja und Amen – aber gern!
Hier habt ihr mich – schlagt mich in Fetzen!«
Und prügeln sie, so lobt den Herrn.
Denn Prügeln ist doch ihr Geschäft!
Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft.
Und schießen sie –: du lieber Himmel,
schätzt ihr das Leben so hoch ein?
Das ist ein Pazifisten-Fimmel!
Wer möchte nicht gern Opfer sein?
Nennt sie: die süßen Schnuckerchen,
gebt ihnen Bonbons und Zuckerchen ...
Und verspürt ihr auch
in euerm Bauch
den Hitler-Dolch, tief, bis zum Heft –:
Küßt die Faschisten, küßt die Faschisten,
küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft –!
Theobald Tiger
Die Weltbühne, 31.03.1931, Nr. 13, S. 452.
Es gibt ja diese hochmotivierten Zeltmissionare um den Herrn Scheufler, die den Menschen Angst machen mit der Hölle und dem Teufel. Ich habe zum Glauben gefunden durch liebevolle Christenmenschen und so trage ich das auch weiter. Die aktuellen Ereignisse sind da leider ein Bärendienst für mich.
Einen schönen Abend!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Sonntag, 01 Dezember 2019 20:21)
Es ist Advent. Wir hatten heute ein wunderbares Adventskonzert in Trebsen.
Vielleicht, jenseits aller weltlichen Probleme, ein paar Gedanken zu dem, was uns trägt:
Du, Herr, bist Kind, in deiner Mutter Schoß.
Du, Herr, bist dennoch Grund der ganzen Welt.
Du ließest, Herr, die ewge Macht ganz los.
So sind wir nicht mehr ganz auf uns gestellt.
Du, Herr, bist Mensch, du wurdest klein und arm.
Bist dennoch ewig, unvergleichlich groß.
Du ruhst im Bauch der Mutter, da ist`s warm.
Sie trug das Licht der kalten Welt in ihrem Schoß.
Du, Herr, bist Gott und nahmst die Schwachheit an.
Du ließest zu, das du verletzlich bist.
Bin ich verletzt, schau mich mit Liebe an.
Gib mir die Kraft, die zum Vertrauen nötig ist.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Sonntag, 01 Dezember 2019 21:01)
Lieber Gert Flessing,
Danke für Ihre Gedanken.
Vor vielen Jahren gab es hier bei uns mal einen Pfarrer, der hat etwas Wunderbares gemacht. Im Regionalfernsehen wurde das gesendet, ich sah das gemeinsam mit meinen lieben Eltern und wir haben dabei geweint, weil uns das so angerührt hat: Es ging um Thema "Geschenke" bzw. die ganze Schenkerei zu Weihnachten. Das hat ja mittlerweile exorbitant perverse Ausmaße angenommen. In dem kleinen Film konnte man Folgendes sehen: Der Pfarrer hatte ein kleines Paket vor sich auf dem Tisch liegen, er sagte, dass das das das eigentliche Geschenk sei, dass wir Menschen zu Weihnachten bekommen haben. Dann wickelte er es aus. Es kam ein kleines Kind zum Vorschein (es war natürlich nur eine Puppe, aber das ist ja auch selbstverständlich). Also aus dem ganzen Geschenkpapier kam ein kleiner Mensch hervor, das Kind Jesus Christus. Die Botschaft war wunderschön, sie berührt mich bis heute. In all dem Konsumwahn ist das für mich die Orientierung, worum es am heiligen Abend wirklich geht. Das ist meine sensible, verletzliche Seite. Jetzt kommt die harte Seite: Wir müssen aufpassen, dass die bösen Menschen keine Macht mehr bekommen, sonst gibt es wieder viele Opfer.
Einen gesegneten 1. Advent.
Sascha Wildenhain
Gerhard Lindemann (Montag, 02 Dezember 2019 08:12)
Lieber Herr Flessing,
zu Ihrem Beitrag 79. Es ging nicht um die Frage, ob SIE persönlich an einer Gegendemonstration teilnehmen würden, sondern ob es legitim ist, als Vertreter der Kirche Gemeindeglieder von der Teilnahme abzuhalten, indem man zur Neuitralität gegenüber Feinden von Demokratie, Rechtsstaat und offener Zivilgesellschaft aufruft. Da kann man auch nicht damit kommen, dass an dem zivilgesellschaftlichen Protest problematische Personen teilnehmen könnten. Je mehr Menschen dort hingehen, denen es nicht darum geht, Hass mit Hass zu beantworten oder Gewalt auszuüben, desto geringer ist die Chance, dass das passiert bzw. das Gesicht der Veranstaltung prägt. Wer sich hier als neutral ausgibt bzw. präsentiert, überlässt der rechten Gewaltsprache das Feld und lässt, wie Frank Martin deutlich machte, diejenigen, die diskriminiert werden, allein.
Gert Flessing (Montag, 02 Dezember 2019 10:21)
Lieber Herr Lindemann,
zunächst einmal herzlichen Dank für den Link. Er ist so interessant, dass ich ihn mir gespeichert habe und gewiss noch einige Male darin lesen werde.
Ich denke, dass Sie Recht haben, wenn Sie meinen, es wäre gut, wenn viele Menschen, die nicht Hass mit Hass vergelten wollen, an den Veranstaltungen teilnehmen würden, die sich rechten Demos entgegen stellen.
Gleichzeitig würde ich es als gut empfinden, wenn sich Veranstalter von dem, was Sie "problematische Personen" nennen, distanzieren würden. Wo bei ich "problematische Personen" als einen gewissen Euphemismus empfinde, denn es sind halt nicht Einzelpersonen, die sich da hervor tun.
Aber gut. Nehmen wir einmal an, ich würde mich persönlich überwinden und die Gemeinde aufrufen, an einer Demo gegen rechte Demokratiefeinde, an dem und dem, teilzunehmen. Dann würde ich, selbstverständlich, die Gemeinde begleiten. Dann würde ich auch dafür Sorge tragen, das wir dort ein geschlossener Block sind und Störer nicht in unseren Reihen sind.
Dann würde der Schutz der Demokratie vor den Feinden der Demokratie auch auf den Plakaten gefordert werden. Und ich halte das, was Sie "problematische Personen" nennen auch für Feinde der Demokratie.
Freilich weiß ich, dass wir, die wir wirklich Demokratie und inneren Frieden gestalten wollen, auch mehr sind, als diese Gruppen.
An der Stelle sehe ich ein Problem, das wohl durchaus etwas mit "der Psychologie der Massen" zu tun hat. Das ist die Frage, wie es gelingt, Menschen zu motivieren, für etwas, was sie im Herzen eigentlich für gut befinden, und das ist unsere freie und demokratische Gesellschaft, in Bewegung zu setzen, wenn diese Menschen gleichzeitig das Gefühl haben, irgendwo nicht gehört zu werden. Bei vielen ist das ein sehr diffuses Gefühl und es gipfelt in dem Satz: "Da kann man ja doch nichts machen."
Ich möchte so wenig, wie Herr Wildenhain, das "böse Menschen die Macht bekommen". Vielleicht würde, neben Demos, auch helfen, jene Parteien zu stärken, die uns helfen können, unsere Demokratie vor der Aggressivität der Radikalen zu bewahren.
Das wäre jedenfalls für mich eine Hoffnung.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Montag, 02 Dezember 2019 17:46)
Guten Abend,
der neue Co-Vorsitzende der AfD konnte im Fernsehinterview nicht bestätigen, dass die verurteilten Kriegsverbrecher in Nürnberg von einem seiner Wähler "unsere Jungs" genannt wurden. Hat jetzt wieder jeder hören und sehen können: https://www.youtube.com/watch?v=krVSXzEc0Ac
Die Bundesregierung sollte einen Bildungsfond auflegen: Allen Schulen, also wirklich allen Schulen in Deutschland wird die notwendige Anzahl von Exemplaren von Victor Klemperers "LTI" kostenfrei zur Verfügung gestellt. Aber um sich ein wenig zu erden, hier ein sehr interessanter Link zu einem Beitrag auf die Frage, ob das, was wir hier leider erleben müssen, eigentlich "neu" ist:
https://idw-online.de/de/news701040
Einen schönen Abend!
Sascha Wildenhain
Sascha Wildenhain (Montag, 02 Dezember 2019 18:26)
Ein kleiner Nachtrag,
"Umvolkung"," Systemparteien", "Altparteienkartell", "Das Abendland ist in Gefahr" usw. usf.
Ich möchte hier dafür werben, dass man es gar nicht oft genug betonen und zur Sprache bringen kann, dass alles offen zutage liegt, was wir müssen wissen, um erkennen zu können, wie wichtig es ist, wie Sprache gebraucht wird, wer Sprache wie benutzt und was das alles für Folgen haben kann:
https://www.tagesspiegel.de/kultur/literatur/lingua-tertii-imperiii-gleichgeschaltet/24875958.html
Sascha Wildenhain (Montag, 02 Dezember 2019 20:35)
Guten Abend,
es ist offensichtlich, das Herr Chrupalla, der neue Co- Vorsitzende der AfD
den ZDF- Interviewer Herrn Koll von vorne bis hinten verschaukelt hat. Wer Mimik und Gestik lesen kann, dem wird das klar. Alles ein böses Spiel, das durchschaut werden kann. Genauso wie das Spiel von Herrn Rentzing durchschaut worden ist. Herr Rentzing hat sich im Abgang als Opfer dargestellt und unzählige Vertreter der neurechten Szene fahren diese Strategie ebenfalls seit geraumer Zeit. Wenn der Herr Chrupalla oder der Herr Rentzing Nachholebedarf in Sachen Aneignung von Bildung in Bezug auf unsere
kontaminierte Sprache haben sollten, dann empfehle ich sämtliche Literatur von Victor Klemperer, zuvörderst die "LTI".
Einen schönen Abend!
Sascha Wildenhain
Gerhard Lindemann (Dienstag, 03 Dezember 2019 15:32)
Zzm Interview von Theo Koll: Das Ganze ist im Kontext der Intention des AfD-Parteitags zu sehen, sich als eine "bürgerliche", regierunghsfähige Partei dazustellen, die in Braunschweig nach außen gesehen nicht weiter nach rechts gerückt sei. Dazu passt die Einführung von Chrupalla als freundlicher, biederer, an "Sachfragen" interessierter Handwerker. Auf diese Lesart sind schon einige angesprungen, z. B. der Kommentar von Herden im MDR oder zum Teil auch die "Sächs. Zeitung".
Da war es gut, dass Koll Chrupalla ganz konkret darauf ansprach, dass er den Begriff "Umvolkung" verwendet hat und der verbalen Solidarisierung seiner Parteifreunde mit den Nürnberger Kriegsverbrechern nicht widersprach. Damit verhinderte er, dass Chrupalla sich in dem Interview als seriöser Sachpolitiker präsentieren konnte. Das mag zwar dazu führen, dass er sich als Opfer darstellen kann. Wichtiger ist jedoch, dass diejenigen, die noch nicht AfD wählen bzw. überlegen, ob man mit der Partei nicht doch politisch kooperieren sollte, auf der Seite von Demokratie und Rechtsstaat bleiben und nicht der Selbstverharmlosungsstrategie der AfD auf den Leim gehen.
Aus der Perspektive hat Koll das wirklich gut gemacht, nämlich Chrupalla mit eigenen Grenzüberschreitungen konfrontiert. Auch dessen Unterstützung durch den "Flügel" sprach Koll an.
Gerhard Lindemann (Dienstag, 03 Dezember 2019 15:35)
Bitte die ersten Zeilen austauschen:
Zum Interview von Theo Koll: Das Ganze ist im Kontext der Intention des AfD-Parteitags zu sehen, sich als eine "bürgerliche", regierungsfähige Partei zu präsentieren, die in Braunschweig nach außen gesehen nicht weiter nach rechts gerückt sei.
Sascha Wildenhain (Dienstag, 03 Dezember 2019 17:04)
Lieber Herr Lindemann,
ja, ich sehe das genauso wie Sie, dass das Theo Koll sehr gut gemacht hat und ich wünsche mir mehr Interviewende wie ihn. Was ich zum Ausdruck bringen wollte, ist, dass die Damen und Herren denken, dass sie uns verschaukeln können, leider verfängt das bei nicht wenigen Menschen.
Herzlicher Gruß!
Sascha Wildenhain
Sascha Wildenhain (Dienstag, 03 Dezember 2019 19:00)
Guten Abend ,
ich bin sehr gespannt darauf, wann denn die Diskussion innerhalb der Landeskirche, wie wir uns denn nun von menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Positionen abgrenzen wollen/sollen/müssen, beginnt.
Ich mache mal einen Anfang und teile hier den 1:1 von seiner Homepage kopierten Andachtstext des Herrn Scheufler aus dem Evangelisationsteam mit. Vollkommen wertfrei. Kann sich jeder durchlesen und selber seine Meinung bilden:
Mit dem nicht!
nach Lutz Scheufler|Veröffentlicht 5. November 2019
Wie Jesus sich verhält, finden viele unerträglich. Vor allem, mit wem er sich abgibt! Am liebsten hätten es viele Kirchenprediger, wenn Jesus nur an Kranken, Armen, Flüchtlingen oder der Klimarettung interessiert wäre. Sein Programm war und ist jedoch „Gott will alle“. Deshalb lud Jesus sich auch gleich mal bei einem – der von allen gemieden wurde – in sein Haus ein: Zachäus. Sein Lebenswandel stank zum Himmel. Sein Geschäftsgebaren fanden die Leute zum Kotzen. Seine politischen Ansichten waren nicht korrekt. Mit solchen Leuten spricht und isst ein guter Mensch nicht! Doch Jesus geht zum Giftzwerg in seine ergaunerte Villa am Stadtrand und die Saubermänner kriegen das nicht geregelt. Im Haus wird mit Jesus gefeiert. Drinnen spielt die Band auf. Draußen spielen die Humanisten verrückt: Da sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt (Lk 19,7). Sie wissen es ganz genau: Jesus verhält sich falsch. Die Leute stehen mit Trillerpfeifen auf der Straße. Die Sprechchöre werden lauter. Die Vermummten suchen Steine. Viel zu viele Kirchenfunktionäre reihen sich draußen am Gartenzaun mit ein. Manche stehen sogar Banner haltend in der ersten Reihe. Mit kirchlich süßlichem Lächeln sabbern sie ihre auswendig gelernten Slogans in die Mikrofone: „Wir müssen uns abgrenzen. Mit denen kann und darf man nicht reden.“
Je länger ich für Jesus unterwegs bin, werden mir derartige Moral-Prediger immer mehr zuwider. Es ist doch klar: Evangelisten, Bischöfe und Pfarrer dürfen politisch, aber niemals parteipolitisch sein. Wer über die Zehn Gebote predigt, ist politisch. Wer im Auftrag von Jesus predigt, will auch so handeln wie er. Denn unter dem Kreuz finden alle, die ernsthaft zu Jesus kommen, Platz – sogar Menschen mit gegensätzlichen politischen Ansichten. Gott will alle!
Lutz Scheufler
Einen schönen Abend!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Dienstag, 03 Dezember 2019 20:58)
Ja, so ist er, der Herr Scheufler. Sooo fromm.
"Gott will alle!" Hm, dem kann ich zustimmen. Aber ob alle Gott wollen?
Kann ja sein, das Jesus auch zu einem Pegida - Bachmann ins Haus möchte oder zu einem Nazi - Höcke. Zachäus nahm ihn auf, mit Freuden und vor allem, er änderte sich, änderte seine Lebenshaltung.
Mal abgesehen davon, das ich bezweifle, dass von mir genannte Männer Jesus, einen jüdischen Wanderprediger, mit Freuden aufnehmen würden, bezweifle ich noch stärker, dass diese Begegnung zu einer Änderung ihrer Lebensansichten führen würde.
Wie gesagt, ich bezweifle es, ich schließe es nicht völlig aus, denn bei Gott ist ja kein Ding unmöglich.
Herrn Scheufler hätte ich nie zu mir eingeladen. Nicht nur, weil er sehr merkwürdige Ansichten hat, was das Liebesleben von Menschen anbelangt, sondern vor allem, weil seine Theologie ziemlich schludrig ist. Er ist auch ein wenig ein Extremist.
Wir müssen uns abgrenzen. Das bedeutet nicht, das man nicht mehr mit Menschen redet. Es bedeutet aber, das man, in der eigenen Kommunikation, erkennbar Menschenliebe sprechen lässt und das konkret gegen Menschenverachtung setzt.
Scheufler predigt, nach dem, was ich gehört habe, Gericht, Hölle und Verdammnis für den, der nicht so glaubt, wie er und sein Team.
Das muss man nicht haben. Er ist, zu Recht, nicht mehr bei der Kirche angestellt.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Mittwoch, 04 Dezember 2019 23:09)
Lieber Herr Flessing,
vielen Dank für Ihr Statement.
Wenn Sie das alles auch so sehen (außer die Sicht auf die Frage der Apokatastasis), dann bin ich für mein Teil befriedet in der Diskussion, was die Positionierung zu diesen Äußerungen betrifft. Die Tatsache, dass diese Hardliner wie Scheufler & Co so laut sind (ich habe hier den Text einer "Andacht" gepostet. Die Zeiten, in denen ich Andachten beiwohnte, hatten eine friedliche, beruhigende, also eine Atmosphäre, in der man zu sich selbst kommen konnte zum Ausdruck. Was hier zur Zeit von einer lauten Minderheit als "andächtig" proklamiert wird, als anstrebenswert, um Gottes Nähe zu fühlen, was soll das denn eigentlich darstellen?) Ist im Zweifelsfall Eigentherapie angesagt?
Einen schönen Abend!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Donnerstag, 05 Dezember 2019 12:05)
Ich denke, es ist an der Zeit, einmal weiter nachzudenken.
Ich möchte da bei einem Satz anknüpfen, den Bruder Frank Martin schrieb: "Sie haben Rechte und genießen im Zweifel den Schutz staatlicher Behörden.
Manche erleben den Staat und das Staatsvolk anders."#73
Frank Martin (Samstag, 30 November 2019 11:25)
Wie können wir, in unserer Zeit, Staat und Staatsvolk erleben?
Vor vielen Jahren schon meinte meine Frau, wir würden uns als Gesellschaft zurück entwickeln, würden verblöden.
Sie war keine Soziologin oder Philosophin, sondern Krankenschwester. Ihrer Herkunft nach DDR Mittelstand. Nun, sie ist auch heute nicht von dieser Meinung abzubringen.
Da ich zehn Jahre Religion unterrichtet habe, denke ich, dass sie nicht Unrecht hat. Das Niveau der Allgemeinbildung ist nicht eben gestiegen. Dafür aber die Aggressivität, mit der nicht nur geredet wird, sondern auch agiert. Wir hatten, ich glaube, in den neunziger Jahren, den Fall, das ein Jugendlicher der Neunten, andere mit einem Messer bedroht hat. Ich habe damals die Eltern besucht. Es waren Russlanddeutsche, und die hatten in Kasachstan, woher sie gekommen waren, einiges erlebt.
Sie wurden ihres Sohnes nicht mehr Herr.
Das ist nur ein Beispiel. Ich habe deutsche Eltern erlebt, die es nicht begriffen, das ihre Kinder schlechte Noten erhielten und sehr aggressiv gegenüber den Lehrern auftraten, aber weder willens noch fähig waren, den Kindern zuhause die Unterstützung zu geben, die sie gebraucht hätten.
Auch das ist unser "Staatsvolk".
Dem gegenüber stehen die Menschen, die versuchen, ihren Kindern bessere Bildungsmöglichkeiten zu geben, weil sie selbst von der empfangenen Bildung, in ihrem Leben profitiert haben.
Der Staat versucht dafür Sorge zu tragen, das alle die gleichen Chancen haben. Aber gelingt es ihm?
Kann es sein, das ich falsch liege, wenn ich das Empfinden habe, dass der Versuch, die Chancengleichheit zu erhöhen, mit einem Schwund beim Bildungsniveau insgesamt einher geht?
Und wie wirkt sich das auf uns, als Kirche aus?
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Donnerstag, 05 Dezember 2019 20:29)
Sehr geehrter Herr Flessing,
sehr gerne wird weiter nachgedacht. Frank Martin wird es gerade rücken, wenn ich es jetzt hier falsch beschreibe, aber ich habe den Satz aus #73 ganz anders interpretiert als Sie: "Manche erleben den Staat und das Staatsvolk anders. Und da gilt meine Solidarität." Ich denke, damit hat Frank Martin die Schwächsten der Schwachen gemeint, die hier bei uns angekommen sind.
Ansonsten stimme ich Ihnen aus ganzer Seele zu: Hurra, wir verblöden! Wir scheitern nicht an dem Versuch, den Bildungsschwund durch Chancengleichheit zu erhöhen. Wir scheitern an unserem gnadenlosen Egoismus, wir scheitern daran, dass es viel zu wenige selbstlos handelnde, engagierte und couragierte Menschen gibt, die den Mut aufbringen auf der Grundlage hervorragender Gesetzgebung gegen exorbitante Missstände anzukämpfen! Ich kann nur für mich und meine wenigen Mitstreiter sprechen: Wir sind hier im Osten, in der ehemaligen DDR zu einem großen Teil die verlängerte Werkbank des Westens, leider, immer noch, nach 30 Jahren. Es ist eine Katastrophe, wie wenig ausgebildet das Selbstbewusstsein vieler Menschen hier ist, die sich ihr halbes Leben lang rumschubsen lassen. Ich behaupte, dass momentan die Arbeitswelt die Menschen hier tendenziell extrem fordert und im Zweifelsfall kaputt macht. War es je anders? Ist es schon jemals anders gewesen, als das die "Starken" auf den Schwachen herumgetrampelt sind? Die äußeren Rahmenbedingungen, um das zu verändern, waren in Deutschland noch nie so gut wie heute. Nur braucht es halt engagierte Menschen, die die gesetzlichen Grundlagen verstehen, sich ein Herz fassen und sie mit gesellschaftlichem Leben füllen.
Einen schönen Abend!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Donnerstag, 05 Dezember 2019 20:57)
Gerade wenn Bruder Martin auf jene Menschen abzielt, die, von den Winden der Weltpolitik, hier angeweht werden, ist es nötig, über das nachzudenken, was sie hier vorfinden. Die Solidarität eines Frank Martin mit diesen Menschen will ich nicht in Zweifel ziehen.
Wir haben uns, in unserer Gesellschaft eine Theorie geschaffen, wie Zusammenleben funktionieren sollte. Hier begegnet uns durchaus Paulus mit dem Wort, das alle eins sind in Christus und die Grenzen zwischen Menschen, deren Ursprung im jüdischen Leben lag und Menschen, deren Ursprung im griechischen Leben lag, nicht mehr existieren. Aber eben auch, und ich glaube, es wäre ohne Paulus so nicht denkbar, der Slogan von "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" der französischen Revolution.
Die Praxis sieht aber anders aus. Wir mögen die Freiheit haben. Wir mögen die Gleichheit postulieren. Die Brüderlichkeit, die es letztlich ermöglicht, Gleichheit zu leben, ist nicht so stark ausgeprägt.
Lieber Herr Wildenhain, sie sprechen das Dilemma an, das die ehemalige DDR verlängerte Werkbank des Westens sei. Das mag z.T. immer noch stimmen. Die Unterschiede, auch die finanziellen, sind da.
Die Arbeitswelt fordert die Menschen sehr. Ich sehe es an unseren Kindern täglich. War es je anders, fragen Sie.
Ich weiß es nicht. In der DDR war Arbeit auch fordernd. Als Schlosser in Eisenhüttenstadt hatten wir zwei Mal in der Woche eine Schicht von zehn Stunden. Auf dem Betrieb, den mein Vater leitete, gab es, in der Erntezeit, kaum Ruhe.
Das die Starken die Schwachen mobben, ist auch nicht neu. Nur kannten wir früher den Begriff nicht. Als Lehrling im ersten Lehrjahr erlebte ich auch, wie wir von denen, die im dritten waren, bedrängt und, wenn es klappte, auch mal "abgezogen" wurden. Man musste sich wehren. Da half sonst nichts.
Natürlich haben wir gute Rahmenbedingungen. Aber helfen die wirklich?
Ein Rahmen muss ausgefüllt werden. Engagierte Menschen - gut und schön. Aber was sollen sie bewirken? Ein Mensch, der bei sich selbst Defizite sieht, wird, wenn er nicht Selbstdisziplin genug hat, nach Opfern Ausschau halten. Gesetze mögen ihm einen Zaum anlegen, doch reicht das aus?
Er müsste lernen, sich selbst anzunehmen. Dann könnte er auch beginnen, Wege zu suchen, seine Defizite auszugleichen.
Kirchliche Arbeit kann da helfen. Sie haben Recht. Wir brauchen dafür engagierte Menschen.
Herzliche
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Donnerstag, 05 Dezember 2019 22:24)
Liebe Forumsteilnehmer,
heute habe ich gelesen, dass der MDR Herrn Steimle vor die Türe gesetzt hat. Richtig so. Auch er reagiert genauso wie Her Rentzing: ICH BIN DAS OPFER!
Herrn Steimles Eltern waren beide beim MfS als inoffizielle Mitarbeiter eingebunden, Quelle hier:https://de.wikipedia.org/wiki/Uwe_Steimle.
Weshalb teile ich das hier mit? Weil das alles, was wir alle hier momentan erleben, miteinander verflochten ist. Auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Ich für meinen Teil habe mich durch diesen ganzen politischen und ideologischen Dreck hindurch gearbeitet und ich habe es nicht nötig, mich als Opfer zu generieren, ich spiele seit 20 Jahren Kabarett, aber vielleicht etwas anders als zum Beispiel ein Herr Steimle. Volksnah, dem Volk aufs Maul schauen...was soll denn das heißen? Hassparolen gutheißen? Unreflektierte Meinungsäußerungen als des Volkes Wille propagieren? Alles vollkommener Stuss! Selbstkorrektur ist angesagt bei Herrn Rentzing und bei Herrn Höcke und bei Herrn Steimle und bei wem auch noch immer...
Herzlicher Gruss!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Freitag, 06 Dezember 2019 10:29)
Lieber Herr Wildenhain,
warum ereifern Sie sich? Ich sehe selten Kabarett. Früher, in meiner Kindheit, hörte ich die Wühlmäuse im Radio. Die kamen, denk ich, auf dem Rias. Auch Dieter Hildebrand sah ich manchmal im Fernsehen.
Herr Steimle ist mir nur bekannt durch die Schlagzeilen, die um ihn gemacht wurden. Dabei ist mir nur der Hophei um sein t-shirt mit "Kraft durch Freunde" in Erinnerung geblieben. Ist Ihnen eigentlich klar, dass dieser Aufdruck seinen Witz erst durch die empörten Reaktionen erhalten hat? Ja, Witz. Denn da wurde deutlich, wie ein winziger Verstoß gegen das, was vorgegeben wird, geahndet wird. Da werden, mit einem schönen Automatismus, Querverbindungen gezogen.
Gut, ich denke, Herr Steimle hat es provoziert.
Ich bin selbst kein Freund von einer streng exekutierten politischen Korrektheit.
Gewiss überlege ich, was ich, wie formuliere. Aber ich bin dennoch immer Herr meiner Gedanken. Kann einem angekreidet werden. Ich habe mal, in irgend einem Gespräch, im Netz, die bekannte Floskel "suum quique" verwendet. Nun weiß jeder einigermaßen gebildete Mensch, dass es dabei darum geht, und das seit Aristoteles, das in der Verteilungsgerechtigkeit jedem das zusteht, was er verdient hat. so hat es auch Justinian in seinem Zivilrecht festgeschrieben.
So ziert es den Schwarzen Adler Orden und dieser das Barett unserer Feldjäger.
Ich wurde beschimpft, weil die Nazis diese Floskel zynisch verwendet haben.
Aber ich gebe die Deutungshoheit nicht Nazis in die Hand. Genau das tut derjenige, der solch ein Wort nur noch in einem Kontext sehen will.
Na gut, mich wird niemand wirklich für volksnah halten, selbst wenn ich den Menschen gegenüber offen bin und sie anhöre.
Was Herr Steimle tut, passt wohl nicht in die Landschaft. Selbstkorrektur? Bedeutet das, sich verbiegen zu müssen, weil bestimmte Aussagen und Gedanken, anderen Menschen nicht passen?
Nun, und dass Steimles Eltern beim MfS waren, ist ihm wohl kaum zum Vorwurf zu machen.
Einen angenehmen Tag.
Gert Flessing
Juliane Keitel (Freitag, 06 Dezember 2019 14:09)
Lieber Herr Flessing,
was wird denn "vorgegeben"? Und was genau ist "der Witz"?
Gerhard Lindemann (Freitag, 06 Dezember 2019 16:05)
Die Frage ist auch, ob es sich hier nur um einen "winzigen Verstoß" handelt oder nicht zumindest um eine Geschmacklosigkeit, nicht zuletzt angesichts dessen, dass an "Kraft durch Freude" nur als "arisch" geltende "Volksgenossen" partizipieren durften und alle anderen davon ausgeschlossen waren, obwohl sie ebenfalls Steuern zahlten (und Ziel der ganzen Aktion eine noch breitere Akzeptanz des Nationalsozialismus in der Bevölkerung war).
"Kraft durch Freunde" war übrigens nicht der einzige Fauxpas Steimles in dieser Kategorie, hinzu kam ein T-Shirt mit "Volk ohne Traum".
Gert Flessing (Freitag, 06 Dezember 2019 17:11)
Lieber Herr Lindemann,
ich weiß, was KdF war. Meine Mutter ist mit der Organisation, als junges Mädchen, an die Ostsee gefahren. Sie hat davon erzählt.
Aber auf dem t-shirt stand ja: Kraft durch Freunde. Also etwas ganz anderes.
Natürlich hat das, bei Menschen, die sich wohl als Wächter des "guten Geschmacks" sehen, etwas an getriggert. Genau, wie bei dem anderen, von Ihnen erwähnten t-shirt.
Es ist, und das zu Recht, vorgegeben, alles, was mit dem Nationalsozialismus zusammenhängt, in die verbrecherischen Absichten dieses Systems einzuordnen. Wer da, durch Verfremdung, scheinbar gegen verstößt, begibt sich auf eine Gratwanderung. Rechnet er mit Widerspruch? Sicher. sonst würde er es nicht machen. Der Witz ist nicht der Aufdruck auf dem t-shirt. Ohne die entsprechende Reaktion wäre das eine Luftnummer gewesen.
Erst durch die empörten Reaktionen funktioniert das doch.
Mir hätte das ansonsten kaum ein müdes Lächeln entlockt, ja ich hätte den Mann nicht einmal zur Kenntnis genommen.
Aber mir ist dadurch deutlich geworden, wie sensibel mancher reagiert.
Ich frage mich, ob das eine echte Sensibilität ist, oder eine geheuchelte, die eben den "guten Geschmack" bedient.
Hin und wieder höre ich auch was über ein gewisses "Zentrum für politische Schönheit". Was dort gemacht wird, ist, in meinen Augen, auch nicht wirklich witzig.
Mag es für Kunst halten, wer immer möchte. Wir leben ja in einem freien Land.
Möge das auch immer so bleiben.
Gert Flessing
Juliane Keitel (Freitag, 06 Dezember 2019 18:45)
Mir lässt die Sache mit dem Witz keine Ruhe, ebenso die Ansicht, etwas wäre "vorgegeben".
Dass wir in einem freien Land neben, gilt auch hier, und niemand muss Angst haben, wegen eines T-Shirt-Aufdrucks existenzielle Rechte entzogen zu bekommen; selbst wenn sie offen verfassungsfeindlich wären, würde "in dubio pro reo" gelten, und auch schwerstkriminellen Personen wird die Würde niemals abgesprochen und nicht verweigert, egal wer es ist (erinnert mich übrigens immer an die grandiose mythische Erzählung von Kain und Abel). Das heißt Rechststaat. Und es gibt nichts, was sakrosankt 'vorgegeben' wäre, im Gegenteil. Oder haben Sie Gegenbeispiele, Herr Flessing?
Ein demokratischer Rechstsaat bietet den Rahmen, in dem die freie Meinungsäußerung, jeglicher Seiten, uneingeschränkt gewährleistet ist, und überlässt es den verschiedenen Perspektiven und Kräften, konstruktiv darum zu streiten, welche Perspektive wann am sinnvollsten für möglichst alle oder viele ist. Daneben gibt es sehr wohl den ein oder anderen gesellschaftlichen Konsens (siehe GG), von denen zeitweise einige etwas stärker sind als andere (aber niemals unkritisierbar), und einer davon ist - auf den sich die gesellschaftlichen Kräfte der Nachkriegszeit geeinigt hatten: Nie wieder Faschismus. Das ist - wenn Sie so wollen - zumindest ein gewichtiges Maß, an dem sich anderes, auch Satire, wird wenigstens messen lassen müssen, ähnlich wie GG Artikel 1 ein solches Maß ist.
Natürlich darf Satire - wie es u.a. Tucholsky mal auf den Punkt brachte - ALLES. Aber auch hier gilt: Auch sie kann und darf wiederum kritisiert werden. Die Frage ist aber, ob "Kraft durch Freunde" überhaupt eine ernstzunehmende Satire darstellt oder ob sie das Feld des Kabaretts nicht eher mit Füßen tritt. Denn Satire, das professionelle Terrain von Kabarettistinnen und Kabarettisten, ist eine KUNSTFORM, "die durch Übertreibung, Ironie und [beißenden] Spott an Personen, Ereignissen Kritik übt, sie der Lächerlichkeit preisgibt, Zustände anprangert, mit scharfem Witz geißelt" (Zitat: https://de.wikipedia.org/wiki/Satire). Wo ist das in diesem unsäglichen Zitat passiert? Der Ausspruch "Kraft durch Freunde" ruft vielmehr ein historisch problematisches Ereignis auf und 'adelt' es durch die Re-Zitation, wertet es also auf, zumal durch die Verknüpfung mit einer positiven Begrifflichkeit ("Freunde"), d.h. es wird 'salonfähig' und leider eben gerade nicht seines furchtbaren Ursprungs entkleidet. Das kann durchaus auch witzig geschehen - hier aber ist es das definitiv NICHT. Man fragt sich, was das überhaupt sollte. Da möchte ich lieber nicht weiterdenken.
Es ist jedenfalls überhaupt kein Witz, sondern einfach nur dumm, unreflektiert und - ja, leider - eben auch gefährlich, weil es den ursprünglichen Kontext völlig verharmlost. Das ist geradezu das Gegenteil von Satire, sei sie auch noch so böse und 'unbarmherzig' mit Personen der Öffentlichkeit, denn normalerweise hat ihr auch ein aufklärerisches Moment innezuwohnen. Im Schlepptau solch plumper Übertretungen von Herrn Steimle aber verschieben sich die Grenzen der Sprache insgesamt, auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen, und verhelfen problematischen historischen Wortfeldern wieder zur Geltung, die ein zerstörerisches Potential in sich bergen.Insofern völlig konsequent, wenn ein öffentlich-rechtlicher Sender sagt, bei uns bitte nicht, zumal er ja auch den Journalismus an sich öffentlich pauschal und undifferenziert beurteilte. Er kann - weil wir ja in einem freien Land leben - schauen, wer seine Plattheiten gerne hören möchte. Es gibt sicher genügend andere Sender, Formate oder öffentliche Plattformen, auf denen er landen kann.
Gert Flessing (Freitag, 06 Dezember 2019 19:46)
Liebe Frau Keitel,
sie müssen nicht lachen.
Natürlich nicht. Auch da hat jeder seine Freiheit.
Was ist denn überhaupt noch "ernst zu nehmende Satire" und was ist Klamauk?
Aber über das, was Kunst ist kann man ja auch trefflich streiten.
Der Satz "Kraft durch Freunde" ruft, in meinen Augen, zunächst einmal gar nichts auf. Jedenfalls so lange nicht, solange sich niemand darauf einlässt, mehr zu sagen, als: "Aha." Aber man kann ja auch mit dem Bogen um die Ecke denken. Auch das gehört zu unserer Freiheit dazu.
Wie gesagt, KdF war mir sehr wohl ein Begriff, durch die Erzählungen meiner Mutter. Das damit nur Menschen reisen durften, die dem System genehm waren, war mir schon klar. Ich ziehe mal einen, der von ihnen so kritisierten Vergleiche: Einen FdGB Ferienplatz bekamen vornehmlich auch nur gute Genossen.
Das der MDR Herrn Steimle vor die Tür gesetzt hat, ist nichts, was mich bewegt. Es war doch zu erwarten.
Was meinen Sie, warum über fünfzig Prozent der jungen Menschen der Meinung sind, man müsse sehr vorsichtig sein, mit dem, was man sagt?
In der DDR hätte mich das nicht gewundert. Da wusste man, was passieren kann.
In unserem Land kann eigentlich nichts passieren, denn wir schätzen ja die Freiheit, auch der Meinungsäußerung, sehr hoch ein. Die Freiheit hat tatsächlich da ihre Grenze, wo die Würde eines Menschen tangiert wird.
Aber das sollte dann auch schon alles sein, denke ich.
Mit freundlichen Grüßen
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Freitag, 06 Dezember 2019 20:59)
Lieber Herr Flessing,
Uwe Steimle hat ein hervorragendes Sendeformat gehabt, er ist berühmt und möglicherweise geht es ihm ja auch materiell eher gut. Juliane Keitel (vielen Dank dafür!) hat es mitgeteilt, was die Grenzen der Satire betrifft. Wenn Herr Steimle ein T-Shirt, dass in den entsprechenden Farben gehalten ist und die Aufschrift "Kraft durch Freunde" trägt, anzieht und sich damit fotografieren und mitteilen lässt und dass in dieser politisch aufgeheizten Zeit, dann ist er wenigstens in diesem Moment einer intellektuell eher niederohmigeren Kaste zuzurechnen. Er weiß ganz genau, wie er provozieren muss, um Aufmerksamkeit "im Volk" zu erregen, alles keine große Kunst. Mit Aufarbeitung unserer Geschichte hat das nix zu tun, eher das Gegenteil, da wird zugekleistert. Dieser ganze hanebüchene Mist, wir lebten hier in einem besetzten Land und könnten nicht frei unsere Meinung äußern, das ist so vollkommen neben der Spur, dass es eigentlich verschenkte Zeit und Energie ist, darauf ernsthaft einzugehen. Wenn er ein einfach gestrickter Mensch wäre, der Herr Steimle, der dies von sich gibt, dann wäre ich doch ruhig und würde denken, dass dieser Mensch es eben nicht besser einzuordnen vermag. Der Herr Steimle ist aber intelligent und als Schauspieler, der er ja auch noch ist, erwarte ich persönlich eine deutlich höhere Reflektiertheit und Sensibilität, wenn wir im Thema Nationalsozialismus und aktuelle politische Entwicklung in Deutschland in der Auseinandersetzung sind. Auch ein Herr Steimle darf gerne dazu lernen, wie wir alle anderen jeden Tag auch.
Herzlicher Gruß!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Samstag, 07 Dezember 2019 10:49)
Lieber Herr Wildenhain,
Satire ist vieles, vom Klamauk angefangen, bis zur ernsthaften Gesellschaftskritik, die sich an bestimmten Figuren der Gesellschaft abarbeitet.
Über die intellektuellen Fähigkeiten eines Herrn Steimle können Sie, als Quasikollege, vermutlich mehr sagen, als ich, der ich Laie auf diesem Gebiet bin.
Aufarbeitung unserer Geschichte? Das ist auch so ein Begriff, mit dem man alles und nichts anfangen kann. Lässt sich Geschichte "aufarbeiten", wie ein alter Pullover, de aufgeräufelt und umgestrickt wird?
Das ist so, wie jenes Wort "unsäglich", das Frau Keitel dem Begriff "Zitat" voran stellt und damit ausdrückt: "Das kann man nicht sagen.". Zuvor schrieb sie: "Und es gibt nichts, was sakrosankt 'vorgegeben' wäre, im Gegenteil."
Freilich muss sich alles der Kritik stellen. Auch ein Herr Steimle. Er kann dazu lernen, wenn er das tut.
Natürlich leben wir in keinem besetzten Land. Die Russen sind weg.
In gewisser Weise haben wir ihnen die Freiheit zu verdanken, in der wir heute leben.
Diese Freiheit sollten wir bewahren.
Sind die Zeiten wirklich politisch aufgeheizt? Wir haben scharfe Gegensätze zwischen einzelnen Gruppen und wir haben eine große Masse an Menschen, die das absolut nicht interessiert.
Ich denke da an unsere Kinder. Mit zweien wohnen wir zusammen. Unser Mittelster und seine Frau. Beide arbeiten in Leipzig. Beide arbeiten in Schichten. Ihnen gehen solche Themen, wie wir sie hier behandeln, glatt am A... vorbei. Dem Großen und seiner Frau geht es nicht anders. Bei denen kommt dazu, das sie eine Tochter haben und die zur Schule geht. Die aktuelle politische Entwicklung? Ich fürchte, die wissen kaum, das es so etwas gibt.
Auch das ist eine Realität in unserem Land. Mein Jüngster hat gerade seinen Master gemacht und fängt mir seinem Doktor an und ist nur angeödet von der Studentenvertretung, die sich um ideologische und nicht um praktische dinge kümmert.
Aber genau diese und andere Menschen sind eventuell das Zünglein an der Wage.
Können wir ihnen das, was wir bewegen, überhaupt deutlich machen?
Gert Flessing, ein wenig ratlos, aber lernbereit.
Gerhard Lindemann (Samstag, 07 Dezember 2019 11:33)
Doch, Herr Flessing, es gibt Grenzen des öffentlich Sagbaren, wenn Menschen systematisch verletzt werden oder der Versuch unternommen wird, Ideologien und Systeme, die fundamental gegen die Menschenwürde verstoßen (haben), salonfähig zu machen. Diese Grenzen hat Steimle systematisch versucht zu erweitern - und es ist ihm auch gelungen, indem der MDR das lange Zeit aus Rücksicht auf die Einschaltquoten (das Potential der Pegidisten und AfD-Wählerschaft, das Steimle in besonderem Maße ansprach) akzeptiert hat und ihm trotz deutlicher Pegida-Nähe, Hetze gegen Flüchtlinge und gegen die freiheitliche Demokratie eine Plattform geboten hat. Auch die DDR wurde in Steimles Sendungen verharmlost. Dieses Treiben Steimles hat der MDR sehr lange geduldet - das ist der eigentliche Skandal, ebenso wie eine Moderatorin, die am Abend der Landtagswahlen in Sachsen eine CDU/AfD-Koalition als "bürgerlich" bezeichnete und dem AfD-Vorsitzenden Urban versicherte, man habe auch "Positives" über die AfD berichtet. Da muss man sich nicht wundern über die Wahlergebnisse der AfD, zu der der MDR das Seinige beigetragen hat, aber eben auch ein Landesbischof, der sich öffentlich nicht klar genug von der in Teilen rechtsextremen Partei abgegrenzt hat oder (im Blick auf künftige Wahlen) eine Synode, die sich nicht in der Lage sieht, eine klare Bewertung der "Fragmente"-Texte Rentzings vorzunehmen.
Gert Flessing (Samstag, 07 Dezember 2019 13:32)
Lieber Herr Lindemann,
es stimmt. Die Grenze dessen, was sagbar ist, liegt genau dort, wo Menschen durch eine Aussage, die ich treffe, verletzt werden. Wo ich, oder ein Medium, das ich bediene, religiöse Gefühle, oder die sonstige Menschenwürde, verletzt. Siehe Titanic mit ihrem einen Papstbild.
Der MDR hat Herrn Steimle lange Zeit eine Plattform geboten. Ich glaube dennoch nicht, dass der MDR ein Nazi Sender ist.
Freilich würde ich mir, wäre ich Herr Steimle, Gedanken machen, denn für ihn hat sich ein Herr Höcke stark gemacht. Das sollte ihn zum Überlegen bringen, welche Nähe er gesucht hat.
Da ich seine Sendung nicht kenne, also, im Grunde, wie der Blinde von der Farbe rede, kann ich nicht sagen, ob er die DDR verharmlost hat.
Ich bin in ihr groß geworden und habe lange in ihr gelebt. Ich könnte sie nicht verteufeln, obwohl ich um so ziemlich alles wusste, was sie von dem, was wir heute unter Rechtsstaat verstehen, unterschieden hat.
Jedenfalls habe ich mich, in der DDR nie bedroht gefühlt. So wenig, wie jetzt.
Es war halt anders und an die Tatsache, das es keine Schweinelenden zu kaufen gab, hat man sich gewöhnt.
Trotzdem kommt mir, im Rückblick, die DDR "deutscher" vor. Warum, kann ich nicht recht erklären. Selbst als, rein von der Ideologie her, von einer extra DDR - Staatsbürgerschaft ausgegangen wurde, blieben wir, in vielen Aussagen, "das bessere Deutschland".
Was ich jetzt erlebe, hat mit dem, was ich unter meinem Vaterland verstehe, nicht viel zu tun. Hetze gegen andere Menschen gehört zu meinem Verständnis nicht dazu.
Gert Flessing
Gert Flessing (Samstag, 07 Dezember 2019 17:21)
Noch ein Nachtrag.
Welche Bedeutung hat für uns das Land, in dem wir leben? Als wir die erste freie Wahl vorbereitet haben, entwarf ich ein Wahlplakat für die CDU Ortsgruppe, der ich damals angehörte. Darauf war- eine Folge meiner Beobachtungen, im Zuge der Ereignisse 1989/90 - folgende Parole: "Sachsen - unsere Heimat; Deutschland - unser Vaterland; Europa - unsere Zukunft." Das waren jene Gedanken, die damals nicht nur mich bewegt haben. Für uns, die wir damals in der CDU waren und oft als Blockflöten geschmäht wurden, war es wichtig, an demokratische Traditionen anzuknüpfen, die es Sachsen gab. Immerhin hatte die CDU bereits bei den ersten Landtagswahlen, nach 1945 dafür gesorgt, dass die SED keine absolute Mehrheit hatte.
Es gab auch andere Traditionen, deren Neubeginn ermöglicht wurde, so der Religionsunterricht an sächsischen Schulen. Wir hielten das für wichtig, nach den vierzig Jahren atheistischer Volksbildung.
Uns schwebte ein Heimatland vor, das sich in das demokratische System Deutschlands einfügte. Gleichzeitig aber, und das war der Grundgedanke des "Freistaates", ein Stück Selbständigkeit bewahren sollte.
Daneben wussten wir, das es gut für uns alle wäre, wenn Europa weiter zusammenwachsen würde. Gerade nachdem wir wieder ein Deutschland waren, konnte die Zukunft nicht in der Nationalstaaterei liegen, sondern in einem Bündeln der Kräfte. Oft spielte dabei der Gedanke an Karl den Großen eine Rolle.
Es kam, in mancher Hinsicht anders. Vielleicht ist der, in so manchen Ländern, aufbrechende Nationalismus auch ein Zeichen dafür, das etwas schief gelaufen ist. Es ist doch nicht nur die AfD bei uns. Ich war erschrocken, als gerade in Ungarn, das mal ein Vorreiter der Freiheit war, die Fide Partei Macht erlangte. Ich denke an Le Pen, an die polnischen Zwillinge damals, …
Ich verbringe meinen Urlaub recht gern in Polen. Mir ist schon vor Jahren aufgefallen, dass dort echte oder gefälschte Nazi Devotionalien offen feil geboten werden und das damit zusammenhängende Gedankengut auch lebendig ist. Trotz der Geschichte, die doch für die Polen ein Leidensweg war.
Hat da die Demokratie versagt? Oder was ist geschehen?
Ist das, was wir hier erleben, eventuell nur eine Fassette dessen, was Europa erschüttert?
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Samstag, 07 Dezember 2019 20:48)
Lieber Herr Flessing,
ich denke, die Menschen hier im Osten (und vielleicht nicht nur die?) sind auf der Suche nach ihren Wurzeln. Die Frage ist, ob es überhaupt welche gibt und falls ja, wie die denn aussehen?
Freundliche Grüsse!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Samstag, 07 Dezember 2019 21:39)
Lieber Herr Wildenhain,
ob es so einfach ist? Gewiss, wir begegnen heute einer Menge Menschen, die, als Entwurzelte, zu uns kommen. Da könnte man schon anfangen über die eigenen Hintergründe nachzudenken.
Auch darüber, wie schnell man das, was man als Heimat kennt, wo man vielleicht verwurzelt war, verlieren kann.
Persönlich weiß ich, das meine Wurzeln in Franken liegen. Erste Erwähnung des Namens gegen 1400. Schon ein Weilchen her. Einer der Geschwister wohl Kaufmann, der andere katholischer Pfarrer. Das "geistliche" liegt wohl irgendwie drin.
Es ist interessant, das, was da mal so war, zu verfolgen, auch die Irrungen und Wirrungen der Menschen.
Das ist mein Hintergrund, wenn ich Deutschland mein Vaterland nennen und es gern tue. Ja, ich betrachte es durchaus als Privileg, auch wenn es, in gewisser Weise, ein Zufall ist.
Die Wurzeln unserer Gesellschaft und da greife ich über alles persönliche und nationale hinaus, liegen in einer Mischung von jüdisch christlicher Kultur, griechischem Geist und römischem Rechtsverständnis. Jedenfalls kurz gesagt.
Aber ich denke auch, dass vielen Menschen derartige Gedanken recht fremd sind.
Wenn ich dickbäuchige jüngere Männer sehe, die T-Shirts tragen, auf denen steht "Odin statt Jesus", weiß ich, das mancher wohl merkwürdige Gedanken zu seinen Wurzeln hegt.
Ich weiß, dass zu unseren Wurzeln auch die bitteren und giftigen Triebe gehören. Die müssen beachtet und beschnitten werden. Das ist mal sicher.
Aber sich seiner Wurzeln schämen muss wohl niemand wirklich, denn am ende kommt es darauf an, was man aus dem eigenen Leben macht. Auch im Zusammenspiel mit den anderen Menschen, die uns begegnen.
Dazu kommt, das wir, wenn wir Gott vertrauen, auch darauf vertrauen, das wir von ihm her gewollt und geliebt sind, so, wie die Menschen, die uns begegnen. Verwurzelt im Glauben und in seinem Wort, haben wir immer eine Hoffnung und ein Ziel.
Einen schönen Abend.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Samstag, 07 Dezember 2019 22:58)
Lieber Herr Flessing,
als ich 1988 in der 8. Klasse der POS "Willy Mehlhorn war", da gab es dann die obligatorischen, nervigen Anfragen, wie lange man denn zur Armee wolle. Ich hatte als Berufswunsch Werkzeugmacher angegeben und durchblicken lassen, dass ich auch 3 Jahre zur NVA gehen würde. Kurz darauf, an einem Tag, den ich nicht im Kalender vermerkt habe, wurde ich ins Direktorzimmer unserer Schule bestellt. Ich trat ein, da saß unser Her Direktor und im Raum verteilt, auf Sessel und Sofa saßen zwei Herren. Ich gebe hier sinngemäß wieder, was ich damals erlebte. Sie stellten sich vor, dass sie vom Ministerium für Staatssicherheit sind. "Sascha, sagten sie, wir haben Deine Unterlagen durgesehen, Du willst Werkzeugmacher werden und dann für 3 Jahre zur NVA. Wir machen Dir einen anderen Vorschlag: Du machst Deine Berufsausbildung und danach kommst Du zu uns. Du musst Dich jetzt hier nicht entscheiden". Ich erzählte das am Abend dieses Tages meinen Eltern. Mein Vater sagte nur: "Das machst Du nicht." Ich fragte zurück: "Warum nicht?" Mein Vater antwortete nur: "Das erzähle ich Dir, wenn Du älter bist." 14 Tage später saß ich wieder bei unserem Schuldirektor und sagte ihm, dass ich nicht zum MfS gehen möchte. Da ging eine Schimpfkanonade auf mich hernieder, die ich bis dahin in der Schule so nicht erlebt hatte. Der Direktor frug auch nach konkreten Personen, die mich eventuell beeinflusst hatten, namentlich der eine Christenmensch, mit dem ich befreundet bin, bis heute. Ich verneinte dies. Dann war diese Episode vorüber. Nach dem Ende der DDR habe ich meine Stasiakte beantragt, es gab tatsächlich eine Akte, 47 Seiten, aus meiner Sicht banales Zeug. Interessant ist aber das System, die Struktur, wie erfasst und vorgegangen wurde. So, jetzt die Kurve kriegen: Ich habe nicht umsonst erwähnt, dass Uwe Steimles Eltern beim MfS waren. Hat er das aufgearbeitet? Steht das irgendwo? Teilt er sich diesbezüglich irgendwo irgendwie mit? Ich habe eine glückliche Kindheit und Jugend in der DDR verbracht inclusive Jung- und Thälmannpionierdasein und auch noch die FDJ. Tacheles: am 09.11.1989 hat Gott mir die Augen geöffnet, dass diese DDR ein Staat war, der die kritischen Geister brutal behandelt hat. Ich für meinen Teil habe dann meine eigen Lebensgeschichte kritisch auf den Prüfstand gestellt und dann auch in der Familie Stress gehabt. Ich liebe auch die alten Wartburgautos, habe selber einen Wartburg 312, den ich mir Anfang der 90iger Jahre aufgearbeitet habe. Dieses unreflektierte Gequatsche von Uwe Steimle, der seine Antennen mal schärfen sollte, das nervt einfach nur noch. Schieflage. Unzählige Menschen kümmern sich hier um die Menschen, die hier ankommen und das alles ehrenamtlich!
Einen schönen Abend!
Sascha Wildenhain
Sascha Wildenhain (Samstag, 07 Dezember 2019)
Nachtrag:
Es gab in der DDR ein unerhört kreatives und wunderbares Künstlerduo, "Wenzel & Mensching". Im Jahre 1992(!) veröffentlichten sie ein Album, auf dem ein Lied existiert, das heißt: "Sie werden kommen".
Das erleben wir jetzt. Für mich war und ist das Prophetie:
(Text: Steffen Mensching & Hans-Eckardt Wenzel/ Musik: Hans-Eckardt Wenzel
aus dem Album: \"Der Abschied Der Matrosen Vom Kommunismus\")
Sie werden kommen, der Tag ist nicht fern
Aus den verwahrlosten Städten
Und reißen uns nachts, in London und Bern
Aus den Schlaraffiabetten.
Wir werden erwachen, wie immer zu spät,
Wenn sie in der Türfüllung stehen,
Um erbleichend das schärfste Küchengerät
In ihren Händen zu sehen.
Oh hay Oh hay
Seemanns Braut ist die See
Oh hay Oh Lay
Sind wir erst einmal an Bord
Oh hay Oh Lay
Treibt uns die Sehnsucht fort
Sie weisen uns stumm, die Rechnungen vor
Für die Zeche, um die wir sie prellten
Und schlafen vor unserm Garagentor
In Deckenburgen und Zelten.
Den Stuhl für sie vor die Türe gestellt,
Den werden sie grinsend zerschlagen.
Sie holen sich endlich das Brot für die Welt
Ohne zu bitten, zu fragen.
Oh lay Oh hay
Seemanns Braut ist die See
Oh lay Oh hay
Sind wir erst einmal an Bord
Oh lay Oh hay
Treibt uns die Sehnsucht fort.
Sie werden mit langen Stangen aus Stahl
Die glänzenden Schränke zerhauen,
Um für den nächsten Cholerafall
Sich Kindersärge zu bauen.
Sie schleppen die toten Säuglinge mit
Und all ihre Infektionen
Und öffnen mit einem gewaltigen Tritt
Die Tür\'n der Fernsehstationen.
Oh lay Oh hay
Seemanns Braut ist die See
Oh lay Oh hay
Sind wir erst einmal an Bord
Oh lay Oh hay
Treibt uns die Sehnsucht fort.
Gebt uns, schrein sie, die Bilder her,
Die unsere Träume besetzten.
Die Augen sind voll, die Bäuche sind leer.
Wir waren die allerletzten.
Sie wurden im Radio, Barbaren genannt,
Verbrecher, Vertierte, Verführer,
Sie stecken die Galerien in Brand,
Mit Werken von Goya und Dürer.
Oh lay Oh hay
Seemanns Braut ist die See
Oh lay Oh hay
Sind wir erst einmal an Bord
Oh lay Oh hay
Treibt uns die Sehnsucht fort.
Schon leben sie unter den Städten versteckt,
In Tunneln und U-Bahnschächten.
Tagtäglich wird eine Erschießung vollstreckt,
Im Namen von Ausnahmerechten.
Europas Armee an der Küste hält stand,
Verteidigt die Reiche der Reichen,
Bis zu den Augen im Dünensand,
Bis zu den Bergen aus Leichen.
Oh lay Oh hay
Seemanns Braut ist die See
Oh lay Oh hay
Sind wir erst einmal an Bord
Oh lay Oh hay
Treibt uns die Sehnsucht fort.
Oh lay Oh hay
Sind wir erst einmal an Bord
Oh lay Oh hay
Treibt uns die Sehnsucht fort.
Oh lay Oh hay
Sind wir erst einmal an Bord
Oh lay Oh hay
Treibt uns die Sehnsucht fort.
Einen schönen 2. Advent!
Sascha Wildenhain
Sascha Wildenhain (Samstag, 07 Dezember 2019 23:34)
Ich bleibe bei meiner Kritik an Uwe Steimle.
Mit einer Einschränkung:
In diesem Beitrag hier:
https://www.youtube.com/watch?v=MjL6UIRLrGI
erfährt man etwas über ihn und sein Leben.
Sein Vater hat sich umgebracht. Das bewegt mich und ich denke, dass hat auch eine Bedeutung in Bezug auf Entwicklungen...
Einen schönen Abend.
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Sonntag, 08 Dezember 2019 10:58)
Lieber Herr Wildenhain,
seit ich in der achten Klasse war, muss sich doch einiges geändert haben. Mich fragte niemand, ob ich dienen möchte. Gemustert wurde mit 18.
Was mich geprägt hat, vor allem in meiner Beziehung zum System, war der 13. August 1961. Zwei Tage zuvor war ich von meinem Ferienaufenthalt bei den Verwandten in Westberlin zurück gekommen. Nach dem 13. wusste ich, dass es wohl das letzte Mal gewesen sein dürfte. Dazu kam, das wir ja, am Schuljahresbeginn, den obligatorischen Aufsatz zum schönsten Ferienerlebnis schreiben durften. Ich beschrieb meinen Besuch im Zoo. Dabei erwähnte ich auch, dass ich dort einen Seeelefanten gesehen hatte. Meine Lehrerin schrieb darunter: "Es gibt keine Seeelefanten." Sie gab in den oberen Klassen Bio.
Wesentliche Teile meines Allgemeinwissens habe ich mir jenseits der Schule, in Büchereien und in der umfangreichen Bibliothek unseres Pfarrers erarbeitet.
Das System lügt. Eine der Erfahrungen, die ich machte und verinnerlichte.
Das System lässt sich belügen. eine weitere Erfahrung, die nicht unwichtig wurde.
Das Lied von Wenzel&Mensching mag prophetisch sein. Es klingt entsetzlich und ich hoffe, wir schaffen es, das Problem, das darin liegt, das Menschen zu uns kommen, durch echte Integration, zu lösen.
Menschen kamen schon immer. Ich erwähnte irgendwo unten, glaube ich, die Hugenotten. Friedrich II hat, gleich neben Potsdam, den Ort Nowawes. für die Exilanten aus Böhmen gebaut. All diese Menschen wurden Teil der Bevölkerung. Das kann auch heute funktionieren. Ein Freud eines meiner Söhne, er ist bei der Bundespolizei und ich habe schon manchmal einiges gehört, was nicht in Medien steht, ist mit einer Ägypterin verheiratet. Sie haben ein Kind. Sie ist Diplomarchitektin. Die junge Frau ist nicht nur hübsch und klug, sie ist preußisch exakt. Für sie zählt, wenn man hier leben will, das Erlernen der Sprache und darüber hinaus, Fleiß, Disziplin, Pünktlichkeit und der Wille, sich einzufügen. Sie hat es geschafft und wird allgemein akzeptiert.
Wenn ich meinen Freund Jerry denke, der aus Mozambique ist und eine sehr schöne Bar in Leipzig betreibt, dann kann ich nur sagen, es geht. Ein Freund von ihm wiederum managt ein gutes Restaurant hier, wo ich jetzt lebe.
Ein anderer Mosambikaner ist Lehrer am freien Gymnasium in Waldenburg.
Natürlich gibt es auch jene Geschichten, die anders sind. Doch um die sollte sich unsere Justiz kümmern. Dazu haben wir ein Rechtssystem.
Das kann unser "Staatsvolk", so denke ich, erwarten.
Als Kirche, auch in meiner ehemaligen Kirchgemeinde, haben wir viel dafür getan, das die Menschen, die hier sind, sich integrieren können, das sie wissen, wo sie hin können, wenn es um Formulare und Bürokratie geht, wo sie hin können, damit ihre Kinder andere Kinder treffen …
Da stand auch nie jemand grinsend mit einem scharfen Küchengerät. Die Menschen waren für die Hilfe dankbar.
Es lohnt sich, Hoffnung zu haben.
Einen gesegneten 2. Advent.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Sonntag, 08 Dezember 2019 15:57)
Guten Abend allerseits,
ich möchte mal versuchen, in wenigen Sätzen klar werden zu lassen, worum es mir eigentlich geht. Die Überschrift über diesem Forumsteil hier lautet "Nächstenliebe verlangt Klarheit". Besser und treffender geht es eigentlich nicht. Seit Jahren schreien und geifern nun die Menschen bei Pegida in Dresden und den ganzen "-idas" jeden Montag ihren Hass heraus. Das ist kein normaler gesellschaftlicher Zustand mehr, lieber Herr Flessing. (Ja, ich weiß, es ist im Grunde unmöglich, das Wort "normal" zu definieren). Hier habe ich schon den Eindruck, dass wir von einer politischen Aufgeheiztheit sprechen dürfen. Damit einhergehend die Etablierung und die beachtlichen Wahlerfolge der AfD. Das kann einen politisch interessierten Menschen nicht ruhig bleiben lassen. Wenn die Masse dumpf bleibt, dann ist das bedauerlich, aber leider Realität. "Dumpf trabt die Masse, scheucht sie nicht!", dieses Zitat wird Gottfried Benn zugeschrieben. Hier werden von Rechtsextremisten Menschen ermordet. Muss ich noch mehr sagen? Und dann der exorbitante Hass im Volk, der sich die Bahn bricht. Herr Guse kann das von mir aus noch so oft wiederholen, wie er will und vielleicht wird es ja so kommen, dass diese "Partei" irgendwann mal wählbar wird. Für mich sind und bleiben es HASSVERBREITER. Für die anleitungsbedürftigen Gemeindeglieder empfehle ich immer wieder die Seite von Harald Lamprecht, dem Sektenbeauftragten unserer Landeskirche:https://www.confessio.de/
Die Botschaft ist eindeutig: die größte Gefahr für unsere fragile freiheitliche Demokratie kommt von rechts. Punkt.
Der Psychiater H.J. Maaz hat es zwar richtig benannt, daß die "Omegas" in der Gesellschaft, also die, die laut und unappetitlich penetrant sind und die Aufmerksamkeit der übrigen auf sich ziehen, gehört und verstanden werden müssen, leider hat er sich aber zum Teil von ihnen selber einfangen lassen.
Die Projektionsfläche des Hasses sind andere Menschen, Flüchtlinge, Ausländer, Andersfarbige, Andersliebende, Andersdenkende und und und.
Das eigentliche Problem sind die jeweils vorhandenen Schmerzen im einzelnen Menschen, der Hass geifert. Wer soll sie lindern? Das kann er nur selbst angehen, der jeweils einzelne Mensch. Er hat die freie Auswahl: Gehe ich heute wieder zur Pegida- "Demo" oder laufe ich 2 Stunden eher los zu meinem Hausarzt und rede mit ihm mal über Psychotherapie.
Einen gesegneten 2. Advent!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Montag, 09 Dezember 2019 10:21)
Lieber Herr Wildenhain,
wenn Nächstenliebe Klarheit verlangt, dann gehört dazu, das wir uns erst einmal Klarheit über uns selbst, unsere Haltung und Stellung in und zu der Gesellschaft, schaffen müssen.
Seit Jahren rede ich (virtuell) mit einem Menschen, der innerhalb der Kirche seien Dienst mit frommem Eifer getan hat, auch in der Jugendarbeit. Er hasst schwule Menschen, weil er meint, sie seien Gott ein Greul. Ich lasse es jetzt, die Texte zu bringen, aus denen er es, alttestamentlich, als auch bei Paulus, ableitet. Er kann/will nicht glauben, das Gott Menschen "so" geschaffen haben soll und das er sich auch in der Liebe dieser Menschen widerspiegelt.
Er richtet über diese Menschen und, so denke ich, damit auch über Gott.
Ich teile seine Ansicht nicht. Dennoch reden wir miteinander.
Dort draußen, z.B. in Dresden, gibt es Menschen, die zusammenkommen, um das, was sie unter "Abendland" verstehen, vor dem, was es , ihrer Meinung nach, gefährdet, zu schützen. Sie werden befeuert von Männern und Frauen, die Hass schüren. Nicht nur gegen "Andersliebende", auch gegen "den Islam", gegen farbige Menschen, gegen Politiker, die ihnen nicht genug gegen das tun, was sie ablehnen.
Jene, die sie aufstacheln und Hass befeuern, wärmen sich am Geschrei der Menge. Sie ziehen daraus ihre Existenzberechtigung.
Dennoch ist es eine Minderheit, die da zusammen kommt. Würden wir nicht das haben, was man so schön "soziales Netzwerk" nennt, würde von diesen Menschen keine Gefahr ausgehen. Es wären lokale Ereignisse, die wohl auch nur die lokalen Medien zur Kenntnis nehmen würden.
Mir der Menge kann man nicht reden, nur zu ihr. Nehme ich einzelne Individuen heraus, dann relativiert sich das, was sie eben noch hochgepeitscht hat, recht schnell. "Aber Herr Bachmann sagte doch..." "Hat er denn wirklich Recht?" "Ich weiß nicht."
Sie folgen jemandem, obwohl sie nicht wirklich wissen, ob das, was gesagt wurde, stimmt. Sie folgen, weil es die anderen auch tun.
Der Hass im "Volk" gilt im Grunde nicht den Ausländern oder anderen Kleingruppen. Er gilt wohl eher sich selbst und dem Unvermögen, sich so zu artikulieren, das es dort gehört wird, wo Entscheidungen getroffen werden.
Schon in der DDR habe ich immer wieder, in der CDU, darauf gedrungen, nicht nur das C nicht zu vergessen, sondern die Menschen zu hören, ihnen zuzuhören. Damals hieß es oft: "Wir haben ja nicht wirklich Einfluss."
Auch heute gibt es genügend ausreden, wenn ich mit Abgeordneten spreche.
Hören wir, als Kirche wirklich zu?
Eine schöne Woche.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Montag, 09 Dezember 2019 11:18)
Lieber Herr Flessing,
vielen Dank für ihre Gedanken. Es gibt nicht wirklich Dissens zwischen uns.
"Hören wir, als Kirche wirklich zu?"
Ja, ich denke schon. Warum legen leidgeplagte Mütter ihren Säugling, mit dem sie sich überfordert fühlen, auf den Treppenstufen eines Kirchgebäudes ab? Genau, weil sie Vertrauen haben. Weil sie ganz tief im inneren fühlen: Hier ist etwas Gutes, hier kümmert "man" sich. Und so ist es ja auch. Meine Kirche ist mir momentan zu ruhig. Wir befinden uns auf dem "Markt der Religionen".
Mein Gott, wir reden hier über die Liebe, die sich für uns alle hat ans Kreuz schlagen lassen. Ich freue mich darüber, dass sie z.B. der Homosexuellenfeindlichkeit entgegen treten. Wir haben aber noch sehr viel Potenzial nach oben hin! Es ist offensichtlich und liegt klar zutage, dass wir in die Irre rennen, indem wir ein gigantisches Volumen an Dingen produzieren, die kein Mensch braucht und damit einhergehend unseren Planeten ramponieren. Ja, ich weiß, über Greta wird sich mittlerweile lächerlich gemacht und sie wird benutzt und missbraucht, das war vorhersehbar. Aber ihr Grundanliegen ist richtig und ich teile die Meinung von Frau Göring- Eckardt, dass Greta Tunberg uns Ansage macht, dass wir verkehrt unterwegs sind.
Ich wurde in AT nachgeprüft, über den ältesten Propheten, Amos:
"Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen – es sei denn, ihr bringt mir rechte Brandopfer dar –, und an euren Speisopfern habe ich kein Gefallen, und euer fettes Schlachtopfer sehe ich nicht an. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach."
Die Theologen wissen, in welchem Kontext diese Worte festgehalten sind.
Gibt es Parallelen in unsere heutige Zeit? Ich denke schon.
Herzlicher Gruß!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Montag, 09 Dezember 2019 16:58)
Lieber Herr Wildenhain,
ich bin gerade dabei, einen Adventsfrauendienst vorzubereiten. Da viel mir ein Gedicht auf den Bildschirm, das ich vor sehr vielen Jahren geschrieben habe. Damals ging es, auch in unserer Gemeinde, um Jugendliche, die nicht konform waren. Ma war schnell dabei, zu urteilen. In gewisser Weise ist es, so denke ich, durchaus noch aktuell:
Heiliger Abend – heilige Nacht
Geboren in einem Abbruchhaus. Maria gerad fünfzehn Jahr. Vielleicht sieht heut so der Erlöser aus, ein Knabe im lockigen Haar.
Geboren in Armut, geboren in Not, geboren im Elendstal. War es nicht einstmals genau so gewesen, in Betlehem, im Stall?
Doch über dem Stall erstrahlte ein Stern inmitten der dunklen Nacht. Gott hat zu denen, die verloren und klein, seine ganze Liebe gebracht.
Als Kind in der Krippe am Rande der Welt hat er sich zu erkennen gegeben. Er wollte ganz einfach bei uns sein und hilft uns einfach zu leben.
Es zählen nicht Reichtum, nicht Macht und nicht Geld. Es zählt nur der Liebe Licht. Das sagt dieses Kind der Heiligen Nacht. Mensch, vergiss das ja nicht.
Geboren in einem Abbruchhaus. Ihr Lieben, was wissen wir schon! Wo immer sich Hoffnung mit Liebe vermählt, sieht der glaubende Mensch Gottes Sohn.
einen schönen Abend.
Gert Flessing
Gert Flessing (Montag, 09 Dezember 2019 19:58)
Dabei fiel - kommt von fallen, nicht von Menge. Sorry.
Gert Flessing
Gert Flessing (Samstag, 14 Dezember 2019 19:56)
"Bei einer Demonstration in Leipzig-Connewitz am Freitagabend sind fünf Polizisten verletzt worden. Wie die Polizei mitteilte, haben rund 550 Menschen an einer Veranstaltung der "Initiative gegen Polizeigewalt und Willkür" teilgenommen, die unter dem Motto "Gegen Gentrifizierung, Bullen & Faschismus" stattfand. Die Demoteilnehmer sollen Böller und Steine geworfen haben, wodurch zudem ein Polizeiauto beschädigt wurde. Insgesamt wurden vier Straftaten begangen: drei Körperverletzungsdelikte und eine Sachbeschädigung." (mdr Sachsen 14.12.2019)
Frank Martin #73: "Manche erleben den Staat und das Staatsvolk anders. Und da gilt meine Solidarität.
Nicht die Regierung hat das Gewaltmonopol, sondern der Staat. Das ist ein nicht unwesentlicher Unterschied - die Regierung missbraucht das Gewaltmonopol mitunter nämlich. Und die Organe des Gewaltmonopols auch - siehe Polizeigewalt."
Wem gilt denn nun unsere Solidarität? Wer Polizisten als Bullen bezeichnet und sie in einem Satz mit Nazis benennt, wird meine Solidarität NICHT haben. Wir sind hier nicht irgendwo in Lateinamerika, wo ein korruptes Regime, mit Polizeigewalt gegen friedliche Leute vorgeht.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Samstag, 14 Dezember 2019 22:47)
Sehr geehrter Herr Flessing,
ich verstehe Ihre Schmerzen. Ich möchte einen Link mitteilen, der auf einen Text von Kurt Tucholsky aus dem Jahr 1929 "Heimat" führt:
https://www.textlog.de/tucholsky-heimat.html
Einen gesegneten 3. Advent.
Sascha Wildenhain
Juliane Keitel (Sonntag, 15 Dezember 2019 03:07)
Ein sehr guter Tucholsky-Text, vielen Dank dafür, Sascha Wildenhain. Der tut gut.
Gewalt gegen Menschen ist nie zu rechtfertigen. Ich bin dankbar, dass wir in einem Rechststaat leben, in dem die Polizei dafür sorgt, dass i.d.R. friedlich demonstriert werden kann. Polizistinnen und Polizisten sollten stets diejenigen sein, die jeglichen Formen von Gewalt widerstehen und entgegenwirken können, selbst wenn sie selbst verbal beleidigt oder tätlich angegriffen werden. Das muss man von professionellen Beamtinnen und Beamten erwarten können. Ein verantwortungsvoller, schwerer Job, dem nicht immer alle gerecht werden, seien es einzelne Polizisten, seien es mehrere, seien es die Vorgesetzten.
Frank Martin wies zu Recht darauf hin, dass es Menschen in unserem Land gibt, die leider auch ganz andere Erfahrungen mit der Polizei machen, für die wir auch als Kirche da sein müssen. Ich weiß nicht, lieber Herr Flessing, ob Sie von solchen Geschichten nicht auch schon einmal gehört haben: Frauen, die sich bei der Anzeige nach einer Vergewaltigung auf einer Polizeiwache peinliche Fragen gefallen lassen oder Witze anhören müssen; Menschen mit dunkler Hautfarbe und schlechten Deutschkenntnissen, denen nicht geglaubt wird, dass sie bestohlen wurden; Verkehrskontrollen, bei denen Menschen hektisch/panisch werden und von der Polizei geschlagen werden; Obdachlose oder Flüchtlinge, die auf Polizeiwachen festgehalten werden und dort Gewalt erfahren... Und: sofern es zu Anklagen kommt, halten die Kolleginnen und Kollegen samt Vorgesetzten oft zusammen und versuchen, die Öffentlichkeit zu täuschen. Altbekannte Muster. Insofern ist es gut und richtig, dass es Demonstrationen wie die am 13.12. in Leipzig gibt.
Es ist so wichtig, Nein zu jeglicher Gewalt zu sagen. Und es ist genauso wichtig, differenziert hinzuschauen und zu urteilen. Diese Doku hier finde ich sehr erhellend: https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/videos/exclusiv-im-ersten-staatsgewalt-video-100.html
Juliane Keitel (Sonntag, 15 Dezember 2019 03:16)
Und noch zur Frage, wem unsere Solidarität gilt. Sie gilt ja wohl all jenen, die leiden und nicht privilegiert sind. Und denen, die sich für diese einsetzen.
Ich frage mich, Herr Flessing, warum Sie sich das überhaupt fragen und welche Antwort Sie sich erhofft haben.
Gert Flessing (Sonntag, 15 Dezember 2019 10:59)
Liebe Frau Keitel,
ich fürchte, es ist genau die Antwort, die ich erwartet habe.
Meine Solidarität gilt, jetzt, den Polizistinnen und Polizisten, die verletzt, beschimpft und als "Bullenschweine" bezeichnet wurden.
Nichts gegen eine Demonstration, die sich gegen Polizeigewalt richtet. Aber so eine Demo an einem Tag zu machen, das einschlägig als "ACAB Tag" bekannt ist, hat schon ein Geschmäckle. Auch der Slogan ist vielsagend.
Ich weiß, das Polizisten keine Heiligen sind.
Ich weiß, dass es auch bei ihnen Missgriffe und Grenzüberschreitungen gibt.
Ich würde mich aber hüten, die Polizei unter einen Generalverdacht stellen zu wollen. Also differenziert hinschauen.
Ist Ihnen schon mal der Gedanke gekommen, dass die Respektlosigkeit, mit der heute nicht nur Polizisten begegnet wird, auch eine Kehrseite hat, dass die Frauen und Männer, die diesen harten Job machen müssen, dadurch verhärtet werden?
Wir hatten mal einen Polizeiseelsorger in unserer Gemeinde, der einen Abend gehalten hat. Er konnte die Konfliktfelder nur andeuten, aber es war schon beschämend, was Menschen in Uniform zugemutet bekommen.
Vor allem aber verunsichert das nicht nur die Polizisten, sondern auch die normalen Bürgerinnen und Bürger, die sicher und gewaltfrei leben wollen. Ist Ihnen schon mal der Gedanke gekommen, dass die Steinewerfer und Polizistenbeleidiger Parteien, wie der AfD in die Hände spielen?
Natürlich müssen Polizisten, die sich im Amt ein Vergehen leisten, zur Rechenschaft gezogen werden. Dafür sind die Kontrollbehörden und die Justiz zuständig. Das ist in einer Demokratie so geregelt.
Das Zitat von Tucholsky hat mir auch sehr gut gefallen.
Einen gesegneten dritten Advent.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Sonntag, 15 Dezember 2019 11:10)
Wir haben alle dasselbe Problem: Es fehlt die Liebe. Das soll jetzt keine süßlich-verklärende Schwärmerei von mir sein, ich meine es schon ernst.
Sascha Wildenhain (Sonntag, 15 Dezember 2019 14:06)
Die Realität. Wo beginnt Gewalt?
Gestern bekam ich eine sms, die an mich weiter geleitet worden ist. In dieser sms wurde deutlich, dass ein Betriebsratsmitglied meines Betriebsrats bei Facebook ein Foto gepostet hat, auf dem Folgendes zu sehen und zu lesen ist:
Man sieht 4 rote Adventskerzen, sie sind jeweils einzeln nummeriert. An der Stelle des Dochts steckt in jeder Kerze ein Messer mit dem Griffteil im Paraffin und an der Messerschneide läuft Blut entlang. Unter dieser "Collage" steht der Satz "Advent, Advent...die Mutti pennt, erst 1, dann 2, dann 3, dann 4, dann gibt es keine Deutschen mehr hier." Ich werde mit diesem Dreck (Facebook & Co sind für mich asocial medias) zu meinem Geschäftsführer gehen und dann gibt es Konsequenzen. Und dann, wenn es Konsequenzen gegeben hat, rennen dieses Typen durch die Welt und posten in alle Welt, daß die Merkeldiktatur ihnen das freie Wort verbietet.
Herzlicher Gruß!
Sascha Wildenhain
Gerhard Lindemann (Sonntag, 15 Dezember 2019 14:57)
Lieber Herr Flessing,
in einer rechtsstaatlichen Demokratie gibt es nicht nur die Ebene der Judikative, sondern eben auch das im Grundgesetz verankerte Demonstrationsrecht sowie das Recht auf öffentliche Kritik - bisweilen führt letzteres dazu, dass die Justiz Strafdelikte verfolgt oder, wie in den letztjährigen Strafverfahren gegen Wach- und Verwaltungspersonal in Konzentrations- bzw. Vernichtungslagern, Urteilskriterien verändert.
Juliane Keitel weist mit Recht darauf hin, dass es nach polizeilichen Übergriffen häufig nicht zur Anklage kommt, weil Kolleg*innen zusammenhalten oder, das ließe sich ergänzen, die regelmäßig mit der Polizei zusammenarbeitende Staatsanwaltschaft zögert oder auch, weil Menschen mit einer vorläufigen Aufenthaltsgenehmigung persönliche Nachteile befürchten.
Dass Demonstrationen friedlich zu bleiben haben, sollte allerdings selbstverständlich sein; das gilt auch für jede/n, der/die sich daran beteiligt. Etwas anderes hat Frank Martin übrigens mit seinem von Ihnen zitierten Beitrag nicht gemeint.
Übrigens gelangt zu der Demonstration vom 13.12. in Leipzig die "Sächs. Zeitung" zu einer anderen Gesamteinschätzung als der von Ihnen zitierte MDR-Bericht.
https://www.saechsische.de/connewitzer-aufzug-bleibt-friedlich-5151389.html
Gert Flessing (Sonntag, 15 Dezember 2019 15:26)
Ja, Ihr Lieben,
wo beginnt Gewalt?
Ich zitiere mal den Polizeipräsidenten von Leipzig: "Polizeipräsident Torsten Schultze: „Den Autoren des im Internet veröffentlichten Aufrufs sei gesagt, dass Polizeibeamte berufsbedingt ein dickes Fell aufweisen. Wer sie aber permanent und in Anlehnung an RAF-Sprachweise als Schweine bezeichnet, als Bullen oder Bastarde verunglimpft und meint, dies sei allgemeiner Bestandteil der freien Meinungsäußerung, der irrt. Menschenverachtende Ausdrucksweisen bleiben auch im Schatten grundsätzlich anständiger Anliegen (z. B. „gegen Faschismus“) nur menschenverachtend.“ Nachzulesen unter Polizei Sachsen.
Das lässt sich getrost neben dieses Adventsmachwerk stellen, auf das Herr Wildenhain hingewiesen hat.
Für mich macht beides zusammen deutlich, wie groß die Kluft in unserer Gesellschaft geworden ist.
Ein Betriebsratsmitglied ist, in meinen Augen, eigentlich Mitte der Gesellschaft und trägt Verantwortung, nicht nur für die wirtschaftlichen Interessen der Mitarbeiter, sondern auch für die Moral der Belegschaft. Dem ist er nicht gerecht geworden.
Was nun die Polizei anbelangt, so weiß ich nicht, ob da der "Korpsgeist" wirklich so entwickelt ist, das man Straftäter schützt. So etwas hört man und sieht man in manchen amerikanischen Krimis. Dort befasst sich dann die Innenrevision mit solchen Dingen.
Ja, die Sächsische Zeitung hat es ein wenig anders eingeschätzt, was da am Freitag geschah. Für mich zeigt das, dass Journalismus immer noch funktioniert.
Was Bruder Martin meinte, weiß ich nicht. Ich sitze nicht in seinem Kopf und denke, er würde mich da auch nicht wirklich haben wollen.
Allerdings bin ich vermutlich bürgerlicher, als er und damit wohl auch konservativer in meinen Ansichten.
Am Rande geht mir durch den Kopf, das es zwar einen Unterschied gibt, zwischen denen, die da, am Freitag demonstrierten und jenen, die uns als rechte Demo begegnen, wenn es um den Intellekt geht. Ich kenne linke Jugendliche, die zu solchen Demos gehen. Sie sind klug, studieren, sind denkfähig und manchmal auch willig. Ich kenne auch einige der anderen Seite. Manche sind Schulabbrecher, viele sind gern bereit, das Denken mit dem Saufen zu tauschen. Aber wenn sie agieren, ist der Unterschied, abgesehen von ihrer Blickrichtung, nicht erheblich.
Was läuft da schief?
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Sonntag, 15 Dezember 2019 15:41)
Ich denke, kein einziger Mensch möchte sich massiv beleidigen, erniedrigen oder verletzen lassen.
Jeder Mensch möchte so angenommen werden, wie er ist, wie jede andere Kreatur auch.
Gert Flessing (Sonntag, 15 Dezember 2019 17:55)
Lieber Herr Wildenhain,
Sie haben völlig Recht. Kein Mensch möchte respektlos behandelt werden. Sie wissen das, ich weiß das. Jeder andere, im Grunde, auch.
Grundsätzlich bin ich erst einmal offen für jeden Menschen, der mir begegnet. Nur dadurch kann ja ein Gespräch zustande kommen.
Nun wissen wir auch, das Mensch sich merkwürdig ändern kann, wenn er einem nicht als Person, sondern als mehrere, gegenüber tritt. Dann kann der Einzelne plötzlich Dinge sagen und tun, die er, allein, nie gesagt oder getan hätte.
Das ist ein Phänomen, das mir, vor allem in meiner Zeit an der Schule, als Religionslehrer, aufgefallen ist.
Das ist für mich ein Grund, vorsichtig mit Gruppen zu sein, denn sie können einen sog ausüben.
Ich erinnere mich daran, wie wir, als Lehrlinge, nach einer s.g. vormilitärischen Ausbildung, auf dem Flur unseres Internates saßen, Karten spielten und Rotwein tranken. Es war ziemlich laut. Eine junge Erzieherin kam und verlangte, dass wir aufhören. Wir lachten sie aus und bedrohten sie. Ich habe mich später dafür geschämt, das ich mitgemacht hatte. Derartige Raubeinigkeit ist nicht meine Art.
Ich ging regelmäßig zur Jungen Gemeinde, Martin Luther King war uns ein Vorbild. Dem war ich damals nicht gerecht geworden.
Aber ich habe, in der bösen Gemeinschaft, mit den anderen, plötzlich eine lustvolle Kraft und Freude an der Destruktion gespürt, die mir Sorge gemacht hat, als ich dann zum Nachdenken kam.
Gert Flessing
Juliane Keitel (Sonntag, 15 Dezember 2019 18:57)
Abgesehen davon, lieber Herr Flessing, dass ich Ihre Einordnungen von Jugendlichen nicht gutheiße und sie auch für falsch halte (natürlich gibt es auch unter Jugendlichen, die sich rechtsnationalem Gedankengut anschließen solche, die 'denken' können, ebenso wie es auf linker Seite Jugendliche gibt, die 'saufen'), möchte ich nochmal auf die Äußerungen von Angehörigen der Polizei eingehen. Das schließt ein, dass ich Ihre vorgenommenen Gleichsetzungen von 'rechten' und 'linken' Demonstrationen nicht teile. Ich hoffe, das haben Sie nicht auch wiederum schon 'befürchtet'.
Zum einen: Die Polizei hat im Rechtsstaat einen klaren Auftrag. Ich erwarte einerseits von einer professionell agierenden Polizei, dass sie sich nicht provozieren lässt von gegen sie gerichteten Sprüchen auf einer Demo. Sie machen da teilweise einen schweren Job, das achte ich sehr und zolle dafür meinen Respekt, aber genau dafür sind sie auch da. Sie schützen die Versammlungs- und Meinungsfreiheit im staatlichen Auftrag und sind dafür ausgestattet mit symbolischem und materiellem Gewaltmonopol. In dieser Funktion, mit diesem Status und mit dieser Ausstattung müssen sie - leider - auch einstecken können, weil Menschen in emotional angespannten Situationen auch gewaltvoll reagieren können. Das erleben sie ja nicht nur auf Demonstrationen. Ich rechtfertige damit keinesfalls eine wie auch immer geartete Gewalt gegen sie und kann verletzte Polizist*innen selbstverständlich nicht akzeptieren, sondern sehe das als einen Teil ihres professionellen Auftrags an, den sie in unserer Gesellschaft haben. Dieses 'Einstecken' oder 'Puffern' - oder auch positiver formuliert: Ausgleichen - muss bitte ohne Rachegedanken und ohne implizite Drohungen eines Polizeipräsidenten vonstatten gehen. Herr Schultze geht m.E. zu weit, wenn er aus der Perspektive der Staatsgewalt heraus mal eben so festlegt, was zur Meinungsäußerung (noch) gehört und was nicht. Das kann er als Privatperson für sich so formulieren, dass da seine Grenze erreicht ist, aber als Polizeipräsident finde ich das problematisch, weil es den nächsten Schritt nahelegt, nämlich zu rechtfertigen, wenn es Ausschreitungen seitens der staatlichen Polizei gegenüber solchen Demonstrant*innen geben sollte, die die Polizei in dieser oder anderer Form beleidigen. Das aber darf, und ich hoffe, da sind wir uns einig, nicht geschehen, da muss sie als staatliche Institution drüberstehen. Auch Herr Schultze muss den rechtsstaatlichen Weg gehen und gegen Leute, die die Parole "Bullenschweine" verwenden, Strafanzeige stellen, wenn er eine gesellschaftlich relevante oder persönliche Grenze für überschritten hält. Sicher kann das auch die Polizei als Institution tun.
Zum anderen: Natürlich kann sich die Polizei darüber öffentlich ärgerlich zeigen, dass sie solche Worte zu hören bekommt. Ich erwarte aber von einer staatlichen Institutionen, dass dies eingedenk der Erfahrungen geschieht, die andere Menschen in unserem Rechtsstaat eben auch mit der Polizeigewalt machen, und eingedenk dessen, dass wir als Gesellschaft ein öffentliches, gesellschaftlich-ziviles Korrektiv brauchen, gerade weil wir in den Reihen der Polizei genau von diesem Korpsgeist, den Sie, Herr Flessing, nicht wahrhaben wollen, strukturell leider ausgehen müssen, der sogar bis zur Vertuschung von Straftaten geht. Und da muss ich sagen, dass sich Herr Schultze hier mit seinem emotionalisierenden Statement zumindest für mich nicht als ausreichend reflektiert und als unprofessionell erwiesen hat. Im Gegenteil - diese Worte haben leider das Potential dazu, eher die gespaltenen Lager weiter zu polarisieren und künftige mögliche Übergriffe von Polizist*innen schon vorab moralisch und emotional zu legitimieren. Wie schön wäre es, wenn sich hierzu auch meine Kirche positionieren würde.
Übrigens: "Bullenschweine" gilt seit den 1960er Jahren zwar als Schimpfwort. Aber ein Blick in seine Herkunft kann sowohl relativieren als auch nachdenklich machen. Relativierend kann es sein, weil "Bulle" eigentlich einmal sowas wie "kluger Kopf" bedeutete. Zum Nachdenken bringt es mich, weil die Studierenden der Revolten in den 68er, die das Wort gehäuft benutzten, gerade in den Reihen von Staatsorganen wie u.a. der Polizei zu Recht viele ehemalige Nazis vermuteten und enttarnten. Und die Gefahr, dass wir es gerade hier in Sachsen mit dem Einfluss rechter Strukturen in diesen Organen zu tun haben, ist ja wohl nicht von der Hand zu weisen.
Frank Martin (Sonntag, 15 Dezember 2019 19:07)
Lieber Herr Flessing,
ich lese nicht ganz regelmäßig. Deshalb nur kurz: Ich stelle die Polizei unter Generalverdacht und lehne Gewalt gegen Menschen ab.
Das zweite aus Prinzip, das erste aus Erfahrungen und aus der Überzeugung, dass alles andere obrigkeitsstaatliches Denken wäre.
Immerhin soll Sachsen ja jetzt eine Kennzeichnungspflicht bekommen.
Ich empfehle Ihnen, den Film “Hambuger Gitter“ auf youtube.
Viele Grüße
Frank Martin
Sascha Wildenhain (Sonntag, 15 Dezember 2019 20:16)
Hamburger Gitter.
Ich habe mir das jetzt angesehen. Bin geschockt. War im November 1989 in der DDR nicht besser oder schlimmer, wenigstens genauso katastrophal. Was tun? Wir leben in einer völlig kaputten Welt, machen aber alle mehr oder weniger mit, oder? Ich persönlich brauche den beknackten Kapitalismus nicht.
Die Frage ist, ob es eine Alternative gibt, die funktioniert,
Schönen Abend!
Sascha Wildenhain
Sascha Wildenhain (Sonntag, 15 Dezember 2019 20:56)
Wir produzieren jeden Tag wenigstens 1000 Dinge, die kein Mensch braucht, aber wir alle machen mit. Ich kann mich nicht rausnehmen, muss und möchte eine Familie ernähren, 3 Söhne, Kurt, Bruno und Gustav. Es gibt ein alternatives Wirtschaftskonzept: https://marktschwaermer.de/de.
Einen schönen Abend!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Montag, 16 Dezember 2019 10:56)
Guten Morgen.
Liebe Frau Keitel, dass Sie meinen, ich würde linke und rechte Demos gleich setzen, habe ich nicht befürchtet, sondern gewusst. Wir hatten das ja weiter unten schon. Ich mache das, lediglich im Blick auf die Art und Weise, in der Demos ablaufen, nicht jedoch im Blick auf die Zielrichtung, die sie haben.
Sie kritisieren den Polizeipräsidenten? Gut. Aber was ist mit dem Aufruf im Netz, auf den er reagiert hat? Ich gebe dem Mann Recht: "Menschenverachtende Ausdrucksweisen bleiben auch im Schatten grundsätzlich anständiger Anliegen (z. B. „gegen Faschismus“) nur menschenverachtend.“
Ich hoffe doch, das wir uns wenigstens darin einig sein können.
Den Gedanken, das Polizisten als Puffer dienen, dass Sie "einstecken" müssen, also dazu da sind, sich "puffern lassen zu müssen", da "Menschen in emotional angespannten Situationen auch gewaltvoll reagieren", können." halte ich schon für ein wenig zynisch. Die, die "gewaltvoll reagieren" gehen doch schon mit dem Gedanken hin, nicht friedlich zu bleiben. Wer friedlich bleiben möchte, wird solchen Leuten, wie dem schwarzen Block, tunlichst aus dem Wege gehen.
Lieber Bruder Martin, auch ich lehne Gewalt gegen Menschen ab. Auch wenn diese Menschen Polizisten sind. Zum zweiten habe ich keine schlechten Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Ich habe mich oft mit den Beamtinnen und Beamten unterhalten, die Schutzaufgaben bei unserem Heim für Asylbewerber hatten. Es waren ruhige und besonnene Frauen und Männer, die durchaus ein positives Verhältnis zu den Menschen hatten, die in dem Heim lebten. Sie waren aber auch älter und wären bei solchen Demos kaum zum Einsatz gekommen.
Ich habe mir "Hamburger Gitter" angesehen. Das hat Erinnerungen wach werden lassen. Ich war auf der Insel Pag in Kroatien, als Hamburg explodierte. Ich hatte kaum Internet und sah, auf meinen Handy Bilder, die mich erschreckt haben. Mehr noch, sie haben Angst erzeugt. Es erinnerte an Bilder, wie man sie einst aus Beirut sehen konnte und es roch nach Bürgerkrieg. Später hörte ich von Polizeiversagen, davon, das man mit diesem und mit jenem nicht gerechnet hätte. Olaf Scholz zierte sich und wand sich. Aber ich sah auch einen Bericht über spanische junge Anarchisten, die von einem Team gefilmt wurden, wie sie sich auf den Gipfel vorbereiteten und die Gewalt betont wollten.
Ja, ich gebe zu, das ich von der "Obrigkeit" erwarte, dass sie für Ruhe und Ordnung sorgt. Auch dafür, das es zu solchen Szenen nicht kommen kann, die einem die Angst vor dem Bürgerkrieg in die Knochen treiben.
Lieber Herr Wildenhain, ich habe die Alternative zum Kapitalismus erlebt, habe in ihr auch, als Schlosser, gearbeitet. Ich brauche den beknackten Sozialismus nicht. Ich bin dem System, das wir momentan haben, nicht undankbar. Ich weiß, das es Menschen gibt, die darin schlecht da stehen. Die kannte ich in der DDR auch. Ich habe Enkel und wünschte, sie könnten in einem System leben, das "besser" und friedlicher ist. Zwei von ihnen leben in Hamburg. Das bewegt einen dann schon.
Eine schöne Woche.
Gert Flessing
Gert Flessing (Montag, 16 Dezember 2019 13:46)
Lieber Herr Wildenhain,
ich habe über die Frage nachgedacht, wie ein alternatives Wirtschaftskonzept aussehen könnte. Dabei habe ich auch Ihren Link verfolgt. Das kann Potential haben. Es erinnert mich an Südfrankreich, wo sich Produzenten zusammen geschlossen haben und die Vermarktung ihrer Produkte als Kooperative machten. Ich habe in dem kleinen Laden gern eingekauft, zumal die beiden jungen Frauen ausgesprochen munter und nett waren.
Die "Schwärmerei Penig" kenne ich. Aber das muss noch wachsen. Einer meiner damaligen Landpächter hat auch Eigenvermarktung versucht, ist aber von der Bürokratie kaputt gemacht worden.
Der Staat müsste also, wenn er diesen Teil der Eigenverantwortung der Konsumenten stärken wollte, entsprechende Rahmenbedingungen schaffen.
Insgesamt denke ich, dass eine Stärkung des Genossenschaftsgedankens, auch zu einer alternativen Wirtschaft führen könnte.
Gleichzeitig bin ich der Meinung, das grundlegende Wirtschaftsbereiche, wie Strom, Gas, Wasser, Bahn, in die Hand des Staates gehören.
All das dient jedem Menschen und das gibt man nicht ungestraft in Privathand.
Das nur als einige Gedanken eines wirtschaftlichen Laien, die ihm, beim Lesen Ihrer Zeilen und dem Nachdenken darüber, kamen.
Gert Flessing
Juliane Keitel (Dienstag, 17 Dezember 2019 00:00)
Lieber Herr Flessing, wir diskutieren auf verschiedenen Ebenen. Es ist doch nicht unrelevant, zu welcher Demonstration und mit welcher Parteiergreifung sich eine Staatsgewalt wie die Polizei öffentlich äußert und positioniert. Warum springt sie auf linke Gewaltphantasien dermaßen an, auf rechte aber nicht? Weil sie selbst beleidigt wurde, mit einem symbolisch aufgeladenen Schimpfwort? Das ist doch lächerlich. Und es ist deswegen eine Schieflage, weil sie sich dann aber auch zig-fach zu mitgeschleppten Galgen oder ähnlichen menschenverachtenden Transparenten ebenso zu Wort hätte melden müssen. So entsteht in der Öffentlichkeit das Bild, dass sich die Polizei nur dann moralisierend und öffentlich positioniert, wenn Linke sie beschimpfen und ihr drohen. Ist das professionell? Das ist es leider überhaupt nicht!! Zeigt sich da nicht wiederum ein eher strukturelles Problem? DAS ist meine Frage und meine Angst!!!
Meiner Meinung nach muss die Polizei JEDE Person vor Gewalt schützen, auch die, die ihr selbst Gewalt androht. Und sie darf ihre Machtposition (die sie als Staatsgewalt einfach mal hat, egal ob sie beschimpft wird oder nicht) doch nicht zur Polarisierung ausnutzen!! Ist das denn so schwer zu verstehen? Das ist ein verdammt schwerer, unglaublich verantwortungsvoller Job!! Und es ist überhaupt nicht zynisch, zu verlangen, dass sie angesichts von Beschimpfungen und Drohungen einfach mal professionell bleibt, was im besten Falle auch bedeutet, ausgleichend zu agieren. Das macht sie sicher auch in vielen Fällen, aber es gibt eben leider auch die Gegenbeispiele, siehe die Doku vom G20-Gipfel, und die Äußerung vom Leipziger Polizeipräsidenten ist ebenfalls eines dieser Beispiele.
Gerhard Lindemann (Dienstag, 17 Dezember 2019 00:56)
Liebe Juliane Keitel,
hier ein ganz aktuelles Beispiel zu den von Ihnen genannten Bagatellisierungen rechter Hetze durch die Polizei:
In Dresden gab es heute den Vorfall, dass ein Linienbusfahrer an die Eingangstür des Fahrzeugs einen Zettel klebte mit der Aufschrift "Diesen Bus steuert ein Deutscher Fahrer", alles in derjenigen Frakturschrift, die in der NS-Zeit gebräuchlich war. Ein wacher Fahrgast hat das aufgenommen (er war meines Wissens der Einzige, der den Vorfall öffentlich machte) und an die Verkehrsbetriebe geschickt, die schnell reagierten und den Fahrer nicht mehr auf einen Bus lassen werden.
Die Polizei erklärte gleich, ein Strafverfahren werde es gegen den Mann nicht geben. Der Text sei "unschön" und "moralisch bedenklich", aber kein Straftatbestand. Der Polizeisprecher fügte laut "Sächsische Zeitung" noch hinzu: "Die Zielrichtung ist klar, aber das ist sie bei vielen Reden bei Pegida auch." Ein "Straftatbestand" ist das alles nach seiner Auffassung nicht.
Angesichts solcher Einschätzungen sind Ängste, wie von Ihnen geäußert, schon berechtigt, denn ähnlich fallen Reaktionen auf Bedrohungen aus, die gegen Einzelne von rechts ausgehen, siehe zuletzt das Beispiel der zurückgetretenen Oberbürgermeisterin von Arnsdorf, die aufgab, weil sie keine ausreichende Unterstützung erhielt.
Gert Flessing (Dienstag, 17 Dezember 2019 11:22)
Liebe Frau Keitel,
gewiss haben wir unterschiedliche Gesichtspunkte. Ich stehe, als Bürger unseres Landes, fest an der Seite des Staates, dessen Aufgabe es ist, meine Interessen, auch, was Sicherheit, nicht nur meiner Person, sondern auch meines Eigentumes, anbelangt, zu schützen. Ich denke, dass ich damit durchaus für eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, in Deutschland, sprechen kann, denn ich kenne viele Menschen, die das genau so sehen.
Ich brauche weder fliegende Steine, noch fliegende Böller, noch brennende Mülltonnen oder gar brennende Autos.
Ich benötige, auch für meine Kritik am System, dort, wo ich Mängel sehe, keine "Menschen, die in emotional angespannten Situationen, gewaltvoll reagieren". Könnte es nicht sein, dass sie zu der emotionalen Spannung selbst beigetragen haben?
Natürlich kann man die Drohung, die in der Botschaft des Polizeipräsidenten, drin steckt, mit der er seinerseits auf eine Drohung reagiert hat, als kindisch betrachten. Aber ich fürchte, was wir hier haben, ist die Frucht einer Zeit, in der alles mögliche, über die (a)sozialen Medien ausgetragen wird.
Die Polizei soll Personen schützen, die der Polizei Gewalt androhen? Vor wem oder was? Ich halte das für ein wenig widersinnig. Wer die Polizei bedroht, sollte aus dem Verkehr gezogen werden, bis er oder sie sich beruhigt hat und zu normalen Formen des Dialogs zurück gefunden hat.
Lieber Herr Lindemann,
ich habe den Zettel, im netz, gesehen. Wäre ich in dem Bus gewesen, hätte ich ihn abgemacht und einige Worte mit dem Busfahrer gewechselt. Ja, das ist durchaus als rassistisch zu bewerten. Ebenso deutlich ist, das es wohl kein Straftatbestand ist.
Natürlich kann man nach strengeren Gesetzen rufen. Auch auf dieser Ebene. Andere tun das ja auch.
Das Unternehmen hat gut reagiert. Gleichzeitig ist es für den Verkehrsbetrieb ein Problem, denn nun ist wieder eine Stelle offen. Aber wie könnte ein Unternehmen auch ausländische Fahrer anwerben können, wenn es so etwas durchgehen ließe. Und Fahrer im Personennahverkehr werden dringend gesucht.
Es liegt doch an uns allen, durch beharrliches Einwirken auf die Menschen, die wir erreichen, den Extremisten die Basis zu entziehen. Dazu gehört auch die Unterstützung derer, die sich in Kommunen für ein friedliches Miteinander einsetzen. Das habe ich in meinem Dienst immer als notwendig angesehen und wusste den Kirchenvorstand dabei an meiner Seite und damit auch die wesentlichen Teile der Gemeinde.
Gert Flessing
Gerhard Lindemann (Dienstag, 17 Dezember 2019)
Lieber Herr Flessing,
das fällt, ebenso wie eine Reihe von Reden bei Pegida, unter den Straftatbestand der "Volksverhetzung" - ein Linienbus ist Teil des öffentlichen Raums. Gerade eingedenk dessen hat der junge Mann richtig gehandelt (und mutig, indem er mit vollem Namen postete - alle anderen Fahrgäste haben über diesen Tabubruch hinweggesehen; das ist eben das Problem, dass sich in dieser Gesellschaft die Grenzen des Sagbaren immer weiter verschieben und eine Mehrheit das akzeptiert oder darüber hinwegsieht). Zudem hat der Fahrer das Blatt angebracht, ohne zuvor die Zustimmung seines Arbeitgebers eingeholt zu haben.
Gert Flessing (Dienstag, 17 Dezember 2019 16:40)
Lieber Herr Lindemann,
ich bin kein Jurist. Von daher kann ich nicht wissen, ob der Zettel den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Das er rassistisch ist, steht nicht zur Debatte. Ich finde es auch gut, das sich wenigstens ein Mensch gefunden hat, der nicht über diese Geschichte hinweg zur Tagesordnung übergegangen ist.
Ich glaube nicht, dass der Arbeitgeber dem Fahrer die Zustimmung gegeben hätte, wenn der gefragt hätte, ob er den Zettel anmachen soll.
Da Sie ja offensichtlich auf juristischem Gebiet bewandert sind, würde mich mal das Strafmaß für solch eine Grenzüberschreitung interessieren.
Zudem stellt sich mir die Frage, ob nicht solch ein Straftatbestand, wie Volksverhetzung, die Gefahr beinhaltet, als eine Art Gummiparagraph, für bestimmte Interessengruppen missbraucht zu werden. Wer entscheidet, was nun unter diesen Paragraphen fällt und was nicht? Könnte es, wenn z.B. sich eine eher rechte Regierung bilden sollte, nicht dazu kommen, ihn, in genau die entgegengesetzte Richtung anzuwenden? Ich halte es für nicht ganz ungefährlich, geäußerte Gedanken unter das Strafrecht zu stellen, weil es, wie gesagt, immer von den Machtverhältnissen abhängt, wie das anschließend exekutiert wird. Bis dahin, dass, wie im Nationalsozialismus, das exekutieren eine sehr harte Bedeutung bekommen kann. Ich denke an das "Reichstagsbrandgesetz", das ja dazu führte, das auch private Meinungsäußerungen schon als Hochverrat gewertet werden konnten.
Gert Flessing
Juliane Keitel (Mittwoch, 18 Dezember 2019 02:07)
Ihre Gedankenspiele sind mehr als abenteuerlich, Herr Flessing. Und sie offenbaren, dass Sie sich der Gefahr, die von rechts kommt, nicht bewusst sind. Immer dieses Abwiegeln, immer das Vergleichen! Immer Whataboutism, wie beim Polizeipräsidenten. Während ich ein sinnvolles Prinzip versuche geltend zu machen, das von einer mit Macht und Stärke ausgrüsteten Institution einzuhalten ist und sogar an Teile der Bergpredigt erinnert (Stichwort Feindesliebe), verweisen Sie darauf, dass die Polizei ja nur so reagiert hätte, weil sie ja zuerst bedroht wurde. Also ganz nach dem Schema "wie du mir, so ich dir" - peinlich. Ihre Fragen und Äußerungen zielen für mich immer in die gleiche Richtung: Linke Demos sind genauso schlecht wie rechte, die Polizei hat Recht, wenn sie Gewalt gegen sich selbst höher bewertet als Gewalt gegen andere/Schwächere und als gruppenbezogene Diskriminierung. Da kann ich mehrmals versuchen zu verdeutlichen, dass es etwas grundsätzlich anderes ist, wenn eine überschaubare Gruppe gewaltbereiter linksorientierter Personen einen ihr in jedem Falle materiell und physisch überlegenen, viel stärkeren Gegener attackiert (dass ich die Art und Weise generell nicht gutheiße betone ich jetzt zum letzten Mal!), als wenn rechtsnationale Kräfte mit rassistischen Parolen durch die Straßen laufen und mit einer leider juristisch zumeist ungeahndeten Hasssprache dazu beitragen, dass sich gewaltbereite Rechte zu Taten angestachelt fühlen, und zwar gegen Schwächere! Hier müsste der besagte Paragraph zur Volksverhetzung durchaus angewandt werden, mit wesentlich mehr moralischem Recht als bei "Bullenschweinen". Sie aber fragen nun zu allem Überfluss sogar, ob der Straftatbestand der Volksverhetzung von Rechten etwa missbraucht werden könnte - ja natürlich würde er das, wenn sie an die Macht kämen, was denken Sie denn?! Die sind ja keine Freunde der Gewaltenteilung! Und auch nicht des differenzerten Diskurses über Sprache, des Austauschs von Meinungen und des Ausgleichs. Und dann meinen Sie allen Ernstes noch, dass der Paragraph zu gefährlich sei (und deswegen nicht lieber weg sollte?), weil die 'falschen Leute' ihn anwenden könnten? Tut mir leid, das ist mir echt zu hoch. Erinnert mich leider fatal an Jens Maier von der AfD (Sachsen), der ihn auch gerne abschaffen möchte. Ich finde, es müsste viel öfter Anklagen geben, damit endlich darüber eine breite Diskussion zustande kommt und sich mehr Menschen bspw. in dem Dresdner Bus zu Wort melden würden und wüssten was gut und böse ist. Es bedeutet ja noch lange nicht, dass Leute dann verurteilt würden, weil - und das ist so gut und so richtig!! - in unserem Land die Meinungsfreiheit ein sehr, sehr hohes Gut ist und Jurist*innen sehr genau prüfen müssen, ob die Vorwürfe tatsächlich für eine Verurteilung ausreichen. Davon profitieren alle in unserer Gesellschaft! Niemand muss um sein Leben fürchten, wenn er/sie drastische Schimpfwörter ruft oder schreibt. Ein Glück. Aber dass es diesen Paragraphen gibt kann man doch nicht kritisieren! Sie verlassen damit wiederum ein ganz wichtiges Maß, Herr Flessing, das wir für die gesellschaftliche Auseinandersetzung und den Zusammenhalt doch brauchen!
Ein Letztes noch, das mich im Zusammenhang mit dem Rücktritt der ehemaligen Bürgermeisterin von Arnsdorf (Herr Lindemann schrieb von ihr) brennend interessiert: Wo war unsere Kirche, als sie bedroht wurde? Gab es Soldaritätsbekundungen, irgendwelche Aktionen, Hilfestellungen, Positionierungen? Wie haben die Gemeinden in Arnsdorf, Fischbach, Wallroda darauf reagiert? Kann sich bitte von den Hauptamtlichen hier im Forum dazu mal jemand äußern? Im Internet kann ich dazu nichts finden.
Gerhard Lindemann (Mittwoch, 18 Dezember 2019 10:23)
Zu den letzten Sätzen in Frau Keitels Beitrag: Anfang Oktober gab es in der ARD eine Dokumentation, in der auch auf die Hetze gegen Frau Angermann (die Oberbürgermeisterin von Arnsdorf) hingewiesen wurde. In dem Zusammenhang wurde darüber berichtet, dass Bundespräsident Steinmeier sie auf Schloss Bellevue empfangen hatte (denn die "Vorgänge" waren schon länger bekannt). Da hatte ich gedacht, es wäre gut gewesen, wenn sie auch der Landesbischof empfangen und er das zugleich öffentlich gemacht hätte. Die Landeskirche müsste sehr viel stärker als bisher solidarische Kirche sein mit den Menschen, die unter rechter (physischer und verbaler) Gewalt leiden (und zwar nach Bonhoeffer unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit). Ebenso gab es, im Unterschied zum Ministerpräsidenten, keinen Besuch in dem jüdischen Restaurant in Chemnitz, das 2018 überfallen wurde. Auch schwiegen der Landesbischof und die Kirchenleitung zu den Angriffen auf die Historikerin Annalena Schmidt (und auf das Grundgesetz) in einer Bautzener Kirche. Ich bin mir sicher, Jochen Bohl hätte sich da aktiv eingeschaltet, wenn er noch im Bischofsamt gewesen wäre.
Gert Flessing (Mittwoch, 18 Dezember 2019 10:34)
Liebe Frau Keitel,
warum echauffieren Sie sich? Ich sehe schon recht gut, das es eine Gefahr von rechts gibt.
Das bedeutet für mich aber nicht, dass die Polizei gezwungen sein muss, die linke Wange hin zu halten. Sie "fühlt" sich ja nicht nur bedroht. Sie ist es doch auch. Aber Sie reden diese Bedrohung klein, wenn Sie von einer "überschaubare Gruppe gewaltbereiter linksorientierter Personen einen ihr in jedem Falle materiell und physisch überlegenen, viel stärkeren Gegener attackiert" sprechen. In Klammern heißen Sie das nicht gut. Das möchte ich auch gern glauben. Aber sie scheinen doch zumindest Verständnis für diese Gruppe zu haben. Wenn ich entsprechende Videos sehe, dann spüre ich nichts von einer fühlbaren, sondern nur eine ausgeübte Gewalt. Dazu kommt der Eindruck, dass diese Gruppen durchaus ein Verständnis für die Taktik des Straßenkampfes haben. Im Gegensatz zur Polizei, die teilweise, nicht immer, wenig optimal reagiert und oft auf neue Anweisungen wartet.
Ich bin der Meinung, das rechte Demos, wenn zu Hass aufgerufen wird, eventuell im Ansatz unterbunden werden sollten.
Ich bin nicht der Meinung, das man den Paragraphen der Volksverhetzung kippen sollte. Er hat seine Berechtigung. Die Frage ist, wie er angewandt wird. Ich glaube nicht, das meine Gedanken unlogisch waren. Ich gehe auch davon aus, das wir eine Justiz haben, die sehr genau prüft, bevor sie be- oder verurteilt.
Wenn Sie genau und mal frei von Emotionen hinschauen, habe ich die Existenz des Paragraphen keinesfalls kritisiert.
Innerhalb der Kirche ist, um auf Ihren letzten Punkt zu kommen, das Thema Arnsdorf nicht aufgetaucht. Ich hatte es, am Rande, schon einmal gehört und mich auch gefragt, wie wohl das Zusammenwirken von Kommune und Kirchgemeinde gewesen sein muss, das die Frau zu dem Schluss kommen musste, keine Unterstützung zu haben.
Gert Flessing
Gert Flessing (Mittwoch, 18 Dezember 2019 14:36)
Lieber Herr Lindemann,
auch ich habe mich noch einmal mit dem Fall von Frau Angermann befasst und nachgeschaut, was da so lief und wie es dazu kommen konnte. Der Ausgangspunkt war ja das ein Asylbewerber an einen Baum gefesselt wurde, wobei sich auch ein CDU Mann und ehemaliger Konkurrent um das Bürgermeisteramt hervor getan hat.
Die Reaktion von Frau Angermann war gerechtfertigt. Selbstjustiz und Bürgerwehr hat in unserer Gesellschaft nichts zu suchen.
Was dann folgte, wirft kein gutes Licht auf den Ort und damit auch auf die Kirchgemeinde.
Natürlich wäre es ein Weckruf gewesen, wenn der Bischof die Frau empfangen hätte, oder, wenn er in den Ort gefahren wäre. Aber augenscheinlich war auch das Verhältnis Kommune - Kirchgemeinde nicht in Ordnung. Schade.
Ob Herr Bohl sich anders verhalten hätte? Nun, ich habe meine eigenen Erfahrungen mit ihm gemacht, als ich Kritik an der Verwaltungsstrukturreform geäußert hatte. Von daher bin ich vorsichtig.
Aber selbst wenn der zuständige Superintendent sich der Sache angenommen hätte, wäre das ein Zeichen gewesen. Nur, da müssen die Verbindungen sofort funktionieren.
Frau Schmidt ist in Bautzen als Bloggerin angegriffen worden. Die Bautzener, denen sie, wie ich las, ein Einstiegsreferat zu einer Diskussion gehalten hat, waren wohl über ihre Darstellung Bautzens in der Öffentlichkeit, erbost.
Auch da frage ich mich, wer hat, in der Kirche, diese Veranstaltung moderiert und wie hat er auf die Frau, die Frau Schmidt angegriffen hat, reagiert. Wie ich las, sitzt Frau Schmidt jetzt, für die Grünen in der Stadtverordnetenversamlung. Das sie gewählt wurde, weist doch auch darauf hin, das ihre Akzeptanz bei den Menschen nicht so gering ist.
Ob die Kirchenleitung von dem, was da passiert ist, überhaupt Notiz genommen hat? Ich möchte es fast bezweifeln.
Gert Flessing
Juliane Keitel (Mittwoch, 18 Dezember 2019 22:11)
Angesichts dessen, lieber Herr Flessing, dass wir im Schreibgespräch hier nicht weiterkommen und uns permanent im Kreis drehen leiste ich mir gern ein wenig Emotionalität. Vor allem aber auch deswegen, weil mir Ihre Argumentationsmuster inhaltlich teilweise widerstreben. Ich weise die Unterstellung zurück, Verständnis für Gewalt auf linken Demonstrationen zu haben. Mein Anliegen ist es, und ich bitte um Verzeihung für die Wiederholungen, darauf aufmerksam zu machen, dass der Vergleich zwischen linken und rechten Demonstrationen aus vielerlei Gründen logisch betrachtet Unsinn, ein Kategorienfehler ist. Er wird in der Regel von rechter und rechtsextremer Seite zur 'Argumentation' und zur Emotionalisierung im politischen Feld benutzt. Und ich finde es irritierend, dass auch Sie so oft aus dieser Perspektive heraus argumentieren.
Ich werde jetzt aufhören, immer wieder dasselbe zu schreiben, und schließe mich stattdessen nochmal den Worten Frank Martins an, die er in #133 formulierte. Kurz und knapp ist da auf den Punkt gebracht, was auch meine Haltung ist. Gut passt dazu auch eine Äußerung Gertrude Steins, als sie nach dem Ende des 2. Weltkrieges gefragt wurde, wie Erziehung nach dem Nationalsozialismus aussehen könne: "...da gibt es nur eins und das ist ihnen Ungehorsam beizubringen, so lange sie gehorsam sind, so lange werden sie früher oder später von einem Schurken herumkommandiert und es wird Unheil geben. Lehren Sie sie Ungehorsam, sagte ich, lassen Sie jedes deutsche Kind wissen, dass es seine Pflicht ist, wenigstens einmal am Tag seine gute Tat zu tun und nicht zu glauben, was sein Vater oder Lehrer ihm sagt...".
Abschließend möchte ich nur noch einmal daran erinnern, weshalb diese Diskussion hier überhaupt begonnen hatte: wir versuchten alle zusammen den Rücktritt eines Landesbischofs zu verarbeiten, der Kontakte zur Neuen Rechten unterhält, und zwar bis jetzt, und nicht zur linksextremen Szene. Insofern ist es schon verwunderlich, dass wir uns überhaupt so ewig hier mit dem Thema Linksextremismus auseinandersetzten. Eingebracht haben Sie es, Herr Flessing, und zwar mehrfach, immer wieder über Ihre Vergleiche. Ich weiß nicht, ob und ggf. wie uns das weitergebracht hat, die Frage zu bearbeiten, wie wir nun als Kirchgemeinden mit der Nähe etlicher Teile der Landeskirche zu rechtsnationalen bis -extremen Haltungen und 'Wert'vorstellungen umgehen, die für mich nach diesen ganze Geschehnissen nun wirklich außer Frage steht, und wofür man keine Diskussion um wertekonservativ und rechtsextrem braucht. Schon zu überlegen, was 'noch' wertekonservativ und was 'schon' rechtsextrem sei (so ähnlich äußerte sich Herr Guse) ist einfach mal nur perfide. Damit geht es doch von vornherein nur ums Rechtfertigen und ums harmoniesüchtige Drumherum-Reden. Die Frage für mich ist vielmehr, was wir alle zusammen tun können, um Kirchgemeinden zu bestärken, sich aktiv für die Zivilgesellschaft einzusetzen und ihnen die Angst zu nehmen, damit etwas 'Falsches' zu tun. Ich sehe dieses Passive, dieses Schweigen obwohl ein Aufschreien, ja fast ein Revoltieren nötig wäre, als Erbe unter anderem auch des zurückgetretenen Landesbischofs, aber auch der jahrzehntelangen CDU-Regierung an, die auf dem rechten Auge blind war/ist. Wir aber - davon bin ich überzeugt - machen uns als Kirche schuldig, wenn wir uns nicht laut und eindeutig positionieren. Dieses Beispiel der Bürgermeisterin ist für mich ein absolutes, dramatisches Warnsignal, ebenso wie es AfD, Pegida und Co. seit Jahren sind.
Sascha Wildenhain (Mittwoch, 18 Dezember 2019 23:52)
Lieber Herr Flessing,
als ich schrieb, dass ich persönlich den beknackten Kapitalismus nicht brauche, habe ich damit nicht zum Ausdruck bringen wollen, den Sozialismus gut zu heißen, den der war, schon mal überhaupt nicht, die ersten Bücher, die ich nach 1989 gelesen habe, waren von Alexander Solschenizyn. Wenn es nach Herrn Höcke gehen würde, dann soll ja hier so eine Art Sozialismus im nationalen Rahmen etabliert werden, also quasi nationaler Sozialismus. Wir können gerne damit aufhören, uns im Kreis zu drehen, ich stimme Juliane Keitel völlig zu. Hier sind seit Wochen sensible, intelligente und vor allem von Sorgen über die politische und kirchenpolitische Entwicklung in unserem Land bedrängte Menschen in der Diskussion. In weiten Teilen gibt es keinen Dissens, Herr Flessing, dazu stehe ich. Aber eben nicht zur Gänze. In den vergangenen 2 Stunden habe ich mir die aktuellen Statements der AfD angesehen/ angehört, der Tenor, die Botschaft ist immer wieder: es werden die Menschen, die zu uns ins Land kommen, für die Missstände verantwortlich gemacht, die hier schon seit Jahren/ Jahrzehnten gewachsen sind. Das ist so ein billiges, trauriges politisches Spiel, dass ich immer gar nicht weiß, ob ich darüber lachen oder weinen soll. Einer Frau von Storch glaube ich kein einziges Wort, den anderen Protagonisten dieses Hassverbreitervereins auch nicht. Egoshooter. Kein einziger Mensch, der von "Hartz 4" (wie erkläre ich unseren Kindern "Hartz 4"???, die Historie kenne ich, aber was ist mit der Philosophie?) leben muss, hat einen einzigen Cent weniger im Monat aufgrund der Tatsache, dass wir in einer Zeit leben, in der wir der Tatsache ins Auge blicken dürfen, dass wir auf Kosten von anderen gelebt haben und jetzt die Rechnung dafür präsentiert bekommen. Wer erklärt den Menschen hier eigentlich sinnstiftend, was es mit der sogenannten "Digitalisierung" oder "Industrialisierung 4.0" wirklich auf sich hat? Was soll mit den ganzen Menschen werden, die durch diese Entwicklung in der sogenannten Arbeitswelt "überflüssig" werden? Wo bleibt denn eine sinnstiftende Debatte darüber, wo dieses große Schiff "Gesellschaft" eigentlich hinfahren soll und warum gerade so und nicht "so" oder "so"?
Einen schönen Abend!
Sascha Wildenhain
Sascha Wildenhain (Donnerstag, 19 Dezember 2019 00:23)
Nachtrag:
Der von mir sehr geschätzte Frank Richter hat dieses kleine Büchlein veröffentlicht:
https://www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/hoert-endlich-zu-9783550050572.html.
Herzlicher Gruss!
Sascha Wildenhain
Gerhard Lindemann (Donnerstag, 19 Dezember 2019 01:09)
Lieber Herr Wildenhain,
wichtiger als Rechten zuzuhören ist klar zu widersprechen und (im Sinne von Juliane Keitels Beitrag) vor allem diejenigen zu stärken, die die rechtsstaatliche Demokratie und die Zivilgesellschaft erhalten und erweitern wollen, und sich mit denjenigen zu solidarisieren, die ausgegrenzt werden und von verbaler und physischer Gewalt betroffen sind.
Zudem arbeitet Frank Richter in seinem Buch auch mit populistischen Begriffen, wenn er von "Staatsversagen" spricht, die demokratischen Parteien als "Kartell der politischen Meinungs- und Willensbildung" bezeichnet und auch an einer Stelle Rechte "besorgte Bürger" nennt. Auch erwartet er von Merkel eine Entschuldigung für „offensichtliche Fehler“ bei der Aufnahme von Flüchtlingen 2015.
Der "Tagesspiegel" schreibt dazu: "Sein neues Buch wertet Wutbürger zu Gesprächspartnern auf Augenhöhe auf." (was er auch in den ersten der Kreuzkirchen-Dialoge in Dresden 2016 tat, wo die Moderation [F. Richter] rechten Parolen und Fehlinformationen nicht entschieden genug widersprach). So etwas kann man in Einzelgesprächen machen, aber nicht im offenen Raum in einer Region, in der es der "Mitte" der Gesellschaft teils an klarer Orientierung mangelt (vgl. auch die Unentschiedenheit der Synode in der Frage der Bewertung der "Fragmente"-Texte von Carsten Rentzing).
https://www.tagesspiegel.de/politik/buch-ueber-pegida-afd-und-co-vom-vermittler-zum-stichwortgeber-der-rechten/21059272.html
In der "Süddeutschen" gab es eine ähnlich kritische Besprechung.
Sascha Wildenhain (Donnerstag, 19 Dezember 2019 01:41)
Lieber Gerhard Lindemann,
Frank Richter mischt sich persönlich sehr aktiv in die Politik ein und Dank seiner Couragiertheit und der, die 1989 mit ihm und auf der Straße um ihn herum waren, wurde (so sehe ich das) blutige Gewalt verhindert. So ein mutiges Verhalten!
Populismus ist kein Privileg der AfD, da muss ich Ihnen leider widersprechen. Populismus findet in der tagesaktuellen öffentlichen Kommunikation aller politischen Parteien statt, leider. Ich habe einen unerhört engagierten Arbeitskollegen, der beim DHW ehrenamtlich seit Jahren tätig ist. 2015 sind hier solche Menschen punktuell an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gekommen, das wollte Frank Richter wohl ausdrücken. Zwischenmenschliche Kommunikation ist wohl wahrscheinlich eins der schwierigsten Dinge, die es gibt. Ich denke, dass die Intention, die Frank Richter hatte, nämlich die Schmerzen der Pegida-Schreier irgendwie aufzufangen und zu kanalisieren prinzipiell richtig gewesen ist.
Je mehr die Fronten verhärten, umso schwieriger wird es, konstruktiv und sinnvoll weiter zu leben, das ist meine ganz persönliche Wahrnehmung aus der tagtäglichen Betriebsratsarbeit und ich versuche das immer wieder jeden Tag zu leben. Aus dem Lukasevangelium der Satz "Sag mir, was ich Dir tun soll" ist mir dabei die Orientierung im rauhen Alltag.
Herzlicher Gruss!
Sascha Wildenhain
Sascha Wildenhain (Donnerstag, 19 Dezember 2019 01:44)
Korrektur,
Mein Arbeitskollege ist nicht beim DHW , sondern beim THW engagiert,.
Gruss
sw
Gerhard Lindemann (Donnerstag, 19 Dezember 2019 01:55)
Lieber Sascha Wildenhain,
Frank Richter hat natürlich seine Verdienste, das ist unbestritten. Trotzdem lassen sich die Problewme, die das von Ihnen empfohlene Buch aufwirft, nicht wegreden. Und bei den ersten Kreuzkirchen-Dialogen, aber auch in seinen Kommentaren bei den Anfängen der Pegida-Demonstrationen, hat er sich zu stark an den "Schmerzen" der "besorgten Bürger" orientiert, aber weniger an den Schmerzen, die die Pegidisten von Beginn an anderen Menschen bereiteten, angesichts der verbalen und körperlichen Gewalt, die von Anfang an von diesen Demonstrationen ausging. Da hat man zuviel laufen lassen, ohne sich klar abtzgrenzen und verfassungswidriges beim Namen zu nennen.
Gerhard Lindemann (Donnerstag, 19 Dezember 2019 02:06)
Eigentlich wollte ich eben noch auf einen Bericht über die Predigt von Altbischof Bohl zur Frühjahrssynode 2015 hinweisen, was ich jetzt auch tue.
Laut DNN heißt es: "Bohl verwies auf die Übergriffe und Gehässigkeiten auf Fremde und Zugereiste sowie die Anfeindungen von Bürgermeistern und Landräten in inzwischen unerträglichem Ausmaß." Von daher, lieber Herr Flessing, könnte ich mir vorstellen, dass er Frau Angermann empfangen hätte.
Überdies sagte er: „Es hat sich eine gefährliche Mischung aus geschürten Ängsten, persönlichem Scheitern und des Verdrusses an demokratischen Prozeduren zusammengebraut, die uns nicht ruhig lassen darf“. Bohl sprach übrigens von demokratischen Parteien, und nicht von einem "Kartell der politischen Meinungs- und Willensbildung", wie es F. Richter in seinem Buch tat (mittlerweile ist er da auch sensibler geworden).
https://www.dnn.de/Dresden/Stadtpolitik/Bischof-Bohl-kritisiert-Pegida-und-beklagt-Verwilderung-der-Sitten
Auf der EVLKS-Seite findet sich die Predigt nicht mehr - die Texte Bohls wurden bald nach dem Amtsantritt Rentzings gelöscht.
Gert Flessing (Donnerstag, 19 Dezember 2019 10:27)
Liebe Frau Keitel,
den Gedanken, dass wir nicht weiter kommen, teile ich nicht. Oh, es ist schon ein weiterführendes Gespräch, auch wenn ich wohl der einzige Teilnehmer bin, der eher konservativ ist. Vielleicht, in Ihren Augen, sogar ein wenig rechts.
Aber ich habe manches erfahren und mein eigenes Denken hat sich durchaus weiter entwickelt.
Denn ich leiste mir den Luxus einer eigenen Meinung und gehe auch nicht davon aus, das die jeder teilt.
Nun widerhole ich mich: Nicht die Stoßrichtung einer Demo ist für mich das Problem. Für mich gilt, das Gewalt jede gut gemeinte Sache diskreditiert.
Ansonsten gebe ich Ihnen Recht. Wir müssen denjenigen, die unsere freiheitlich demokratische Ordnung in Frage stellen, entschieden entgegen treten. Auch als Kirche.
Menschen, junge Menschen, direkt zum Ungehorsam zu erziehen, halte ich für baren Unsinn. Es gibt Situationen, die ein gewisses Maß von Gehorsam, um des eigenen Überlebens willen, erfordern.
Erziehung sollte dazu führen, das Menschen zu differenzieren lernen, was vernünftig und was unvernünftig, was notwendig und was überflüssig ist. Selbst denken ist angesagt.
Das habe ich gelernt und daher das, was mir der Stabü Lehrer sagte, nicht geglaubt, so wenig, wie das, was uns in Geschichte gesagt wurde.
Ich habe entschieden, nach reiflicher Überlegung, was glaubwürdig war. So handhabe ich es auch heute noch. Glauben sie mir, es hilft zu verstehen.
Für mich ist unser ehemaliger Bischof abgegessen. Er hat versagt. Das Versagen mag psychologische Gründe haben.
Aber wir müssen, als Kirche, nach vorn blicken. Noch sind wir eine gesellschaftliche Kraft, die durchaus ernst genommen wird. Noch.
Ja, wir sollten die Kirchgemeinden stärken. Ihnen helfen, sich für die Menschen, die in Not sind, einzusetzen. (Was ist übrigens die so oft zitierte "Zivilgesellschaft"? Auch so ein Soziologenbegriff? Wäre das Gegenstück dazu eine "Militärgesellschaft"?)
Herr Bohl hat Recht. „Es hat sich eine gefährliche Mischung aus geschürten Ängsten, persönlichem Scheitern und des Verdrusses an demokratischen Prozeduren zusammengebraut, die uns nicht ruhig lassen darf“.
Da haben wir eine Aufgabe, die wir jenseits der Straßenschlachten, in den Gemeinden, angehen können. Heute habe ich Frauendienst. Ich freue mich schon auf die Gespräche.
Gert Flessing
Gert Flessing (Donnerstag, 19 Dezember 2019 11:47)
Als Nachtrag:
Populismus ist nicht das Privileg irgend einer Gruppe. Er begegnet uns immer da, wo es sich Menschen, mit Antworten, einfach machen, vielleicht, weil sie es satt haben, tiefer nachzudenken, oder weil sie denken, das es gut beim Gegenüber ankommt.
Populismus ist meist schwammig und undifferenziert.
Ich möchte gern die "Mitte der Gesellschaft" stärken und den Menschen, die sich dazu zählen, Mut machen, gegen jene anzugehen, die unsere Demokratie und Freiheit, in Frage stellen. Dem diente mein politisches Engagement und denen, die das möchten, leihe ich auch heute meine Stimme.
Ich bin ein Gegner von jedem, der andere Menschen ausgrenzt und verteufelt, sei es aus ideologischen, rassistischen oder religiösen Gründen. Jeder Mensch hat das Recht, gleich behandelt zu werden. So steht es im Grundgesetz und so sollten wir alle es versuchen, zu leben.
Wer Menschen beleidigt, wer Menschen verächtlich macht, bedroht oder gar angreift, gehört zurechtgewiesen und, in letzteren Fällen, juristisch belangt. Ich finde es schlimm, was jenem jungen Mann jetzt passiert, der den Busfahrer und seinen rassistischen Zettel, an die Öffentlichkeit gebracht hat. Er hat genau die Geradlinigkeit bewiesen, die vielen Menschen fehlt.
Menschen dazu Mut zu machen und sie zu stärken, im täglichen Leben, Nächstenliebe und Verständnis für andere, schwächere Menschen walten zu lassen, ist eine gute Aufgabe.
Dazu gehört auch, das wir ihnen deutlich machen, dass Gewalt generell keine Option ist, wenn man einem Anliegen Nachdruck verleihen will, sondern eher abstößt.
Demokratie, und auch dieser Kampf gegen alle, die sie bedrohen, ist ein Teil dessen, was Demokratie ist, verlangt Geduld, Zähigkeit in der verbalen Auseinandersetzung und die Gelassenheit dessen, der darum weiß, das es sich lohnt, für diese Demokratie immer wieder einzutreten.
Gert Flessing
Oh Menno (Montag, 23 Dezember 2019 07:32)
Wie die NSDAPler nach Kriegsende fast vollständig zur CDU einmarschiert sind ...
Die alten Nazi Kader sind zurück, siehe das rasante Wachstum des 3. Weges (.org)
https://www.belltower.news/jahresrueckblick-2019-sachsen-starke-afd-hooligans-und-rechtsextreme-reste-94041/
Think Tank AfD ... von wegen Populisten würden nicht tiefer nachdenken.
Ich habe ein sicher-zuverlässiges Gefühl dass ein Grossteil der Polizei auf AfD Seite steht.
Das scheinheilige und schmarotzerische Getue der Kirche tut sein übriges.
Wir werden überrannt von Sozial/Lohndumpern aus dem ehem. Ostblock, die denken übrigens auch wie die AfD.
Die "wenigen" Flüchtlinge aus Syrien sind dagegen vernachlässigbar ...
Es herrscht Krieg an allen Fronten.
"Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen."
Sagt das mal den Bischöfen in Ihren Palästen.
Die werden euch in eisernen Käfigen an Ihrem Glockenturm verrotten lassen.
Oh Menno (Montag, 23 Dezember 2019 09:21)
Wenn eine Frau die Kopftuch und die Werte der Keuschheit trägt von einer gewissen
Mehrheit bei der es zum sozialen Gruppenritual gehört sich regelmäßig komatös zu besaufen
regelrecht verfolgt wird dann muss man dies überdenken.
Wenn ein normaler Arbeiter mit 1600€ netto sich von Typen deren Studieninhalt
zur Hälfte aus Psychologie besteht und deren Monatsgehalt beim Doppelten anfängt
bedrängt fühlt dann sollte man das auch dies mal überdenken.
"Und ihnen werden die bösen Taten klar, die sie begangen haben,
und es umschließt sie das, worüber sie sich lustig zu machen pflegten."
Sascha Wildenhain (Montag, 23 Dezember 2019 11:48)
Nun lesen wir die Schmerzen von "0h Menno", wer auch immer das ist. Seht ihr das Elend? Ich habe # 12 nicht grundlos gepostet.
Ich hoffe, es gibt einen Admin, der das regelt.
Allen eine gesegnete Weihnacht.
Oh Menno (Montag, 23 Dezember 2019 18:12)
"Halt du sie dumm, ich halt sie arm."
Sie müssen mal von Ihrem Thron herabsteigen
und die Sache von ganz unten betrachten.
Ich hatte da letztens eine ganz tolle Lektüre für Laienpriester
die einer richtigen Arbeit nachgehen.
Oh Menno (Montag, 23 Dezember 2019 18:46)
81,4 Mio Menschen in Deutschland
47 Mio "Christen" in Deutschland
Wer lebt hier unter einem Diktat der Schmarotzerkirche schlimmer als bei Adolf ?
Wie wärs mit Tempelreinigung ?
Sascha Wildenhain (Montag, 23 Dezember 2019 21:19)
Hallo lieber "Oh Menno",
Kein Mensch auf der ganzen Welt heisst "Oh Menno".
Dies hier ist ein Forum, in dem sich nachdenkliche Menschen gedanklich austauschen. Menschen, die schon mal so gereift sind, dass sie den Mut haben, sich mit ihrem wirklichen Namen mitzuteilen, wie zum Beispiel Juliane Keitel, Gert Flessing, Gerhard Lindemann oder Sascha Wildenhain. Das ist die Grundlage für eine ernsthafte Auseinandersetzung. Wir sind hier nicht bei Facebook oder anderen asozialen Medien. Wir können gerne weiter ins Schreibgespräch kommen, wenn diese Basics hergestellt sind.
Herzlicher Gruss
Sascha Wildenhain.
Oh Menno (Montag, 23 Dezember 2019 22:01)
Einfach mal die Gesellschaft von unten betrachten.
"Aus dem Mund der Unmündigen und Säuglingen hast du Lob zugerichtet."
Ich wünsche allen "Asozialen" (auch jenen die im Stall übernachten müssen)
Frohe Weihnachten.
Sascha Wildenhain (Montag, 23 Dezember 2019 22:26)
Hallo lieber feiger "Oh Menno",
Deinen Post "Einfach mal die Gesellschaft von unten betrachten" richtest Du hier an die Falschen. Ich schreibe Dir jetzt noch 2 Sätze und dann ist der Austausch hier beendet, wenn die Windeln noch dran sind:
DU musst mir gar nichts erzählen, in Bezug auf das Thema, die Gesellschaft von unten zu betrachten. Für hunderte Menschen haben meine Kolleginnen und ich einen Haustarifvertrag erkämpft, der unzähligen Familien hier in Sachsen ein besseres Einkommen beschert hat. Was tust Du konkret, um Deine eigene Lebenssituation und die Deiner Mitmenschen zu verbessern?
Herzlicher Gruss!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Dienstag, 24 Dezember 2019 16:10)
Es ist soweit. Wir denken an den Tag, da Gott zu uns kam, aus der Ewigkeit.
Er macht sich klein, nimmt auf sich Not und Plag, um ganz bei uns, um gänzlich Mensch zu sein.
Er kam einst an, nicht an dem hellen Ort, wo Lichter strahlen und die Mächte sind.
Von alle dem ging er mit Absicht fort, wurde ein Kind, ganz arm und ganz gering.
Wir werden ihn nicht finden, wenn wir mächtig tun, wenn wir uns aufblähn und die Sau raus lassen.
Da, wo wir schweigen lernen, wird er ruhn. Wo wir uns recht besinnen, bei der Hand uns fassen.
Wenn wir ihn spüren, wenn es uns gelingt, uns vor der Krippe Strahlen tief zu beugen, kann sein, das uns sein Geist ins Herze springt und wir der Dunkelheit der Liebe Licht bezeugen.
Euch allen, ob mit oder ohne Klarnamen, ein gesegnetes und besinnliches Christfest.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Dienstag, 24 Dezember 2019 16:38)
Uns allen einen gesegneten heiligen Abend.
Gert Flessing (Donnerstag, 09 Januar 2020 21:16)
Das neue Jahr hat begonnen. Ich weiß nicht, ob hier noch jemand ernsthaft mitdiskutieren möchte.
Ich habe mich, zwischenzeitlich, ein wenig mit den Fragmenten dessen, was Herr Rentzing in seiner Jugend schrieb, befasst. Es klingt ganz schön elitär.
Auch sein Gedanke, das man eigentlich offen lassen müsste, ob die Demokratie wirklich die beste Form der Organisation eines Gemeinwesens ist, ist, auf den ersten Blick befremdlich.
Auf den zweiten Blick überlegte ich, ob er sich da dem frühen Aristoteles annähern wollte, der die Demokratie als eine Staatsform ansah, die der Gesellschaft nicht dient, weil er davon ausging, das es die Herrschaft der Armen wäre, die ihre Interessen auf Kosten der anderen Gruppen durchsetzen würden.
Später wurde das moderater gesehen.
Der Gedanke, dass in der Demokratie eine Verflachung von Bildung und Kultur erfolgt, kann einem schon manchmal kommen. Andererseits muss das ja nicht unbedingt mit dem politischen System zusammen hängen.
Aber wenn ich daran denke, was mir Handwerksmeister erzählen, die sich um Lehrlinge bemühen, die einfachste Aufgaben nicht ohne Rechenleistung ihres Smartphons oder eines Taschenrechners lösen können …
Rentzing lehnt das Volk, als Masse, als Entscheidungsträger ab.
Oft wird heute mit dem Ruf nach mehr Demokratie, der Wunsch verbunden, mehr Möglichkeiten für Volksabstimmungen zu haben. Andere und gewiss nicht konservative Kreise, lehnen das ab, weil bestimmte Entscheidungen so nicht gefällt werden sollten, weil sie von Demagogen zu einer falschen Entscheidung geführt werden könnten.
Nun, ich bin in einer "Scheindemokratie" groß geworden. Anschließend habe ich das, was wir jetzt haben, mit aufbauen geholfen und weiß, wie schwer gelebte Demokratie ist.
Ich werfe Herrn Rentzing seine Gedanken von damals nicht vor. Er war jung. Außerdem bin ich der Meinung, das es immer wieder lohnt, sich um das, was wir haben, und wie es der Gesellschaft dient, Gedanken zu machen.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Freitag, 10 Januar 2020 21:58)
Sehr geehrter Herr Flessing,
sehr gerne möchte ich hier weiter mitdiskutieren, leider fehlt mir aber im Grunde die Zeit, denn wir haben drei Söhne im Alter von 3, 5 und 8 Jahren, meine Frau und ich sind voll berufstätig und ich spiele "nebenbei" noch Kabarett. Da bleiben nicht viele Minuten übrig....
Für mich persönlich ist es schon ein Gewinn, dass ich hier in diesem Forum einen doch viel nachdenklicheren Gert Flessing kennen lernen durfte, als den, der sich im "Sonntag" mitteilt. Wenn es um Etikettierungen wie "liberal"; "wertekonservativ" usw. geht muss ich innerlich immer ein bisschen lächeln, dass ist mir eigentlich alles zu eng gedacht...
Ich befürchte, dass es einen kleinen Aufschrei geben wird über das, was ich jetzt hier gleich im Anschluss schreibe, aber ich möchte es loswerden: Alle, die sich für klug, gebildet, sensibel und reflektiert halten, sollten sich mal eine Buchlesung mit Gert Postel, dem sogenannten "Hochstapler" gönnen und ihm genau zuhören. Ja, ich weiß, er hat auch seine eigene narzisstische Problematik, aber damit ist er hier nicht allein. Ich möchte hier gar nicht werten, aber Herr Postel hat es fertig gebracht, den Menschen, die die Strukturen mit Leben erfüllen, in denen wir uns seit Jahrzehnten bewegen, den Spiegel vorzuhalten. Wenn mehr Menschen Humor und wirkliche Größe hätten, könnten sie damit gelassen umgehen und sich fragen: "Was müssen wir verändern, dass es insgesamt besser wird?" Machen sie aber tendenziell eher nicht, behaupte ich. Leider ist die politische Entwicklung in unserem schönen Land hier besorgniserregend, finde ich. Wenn sich tendenziell nach weniger Demokratie gesehnt wird, dann haben es Menschen, die für Gewaltenteilung, Parlamentarismus und Mitbestimmung eintreten, nicht unbedingt leichter...
Ich schätze Herrn Gauck nicht besonders, aber in einem liegt er aus meiner Sicht mit seiner Einschätzung richtig: Wir befinden uns hier "im Osten" in einem Transformationsprozess. Schrecklich und unerträglich sind für mich ein wahrnehmbarer "Sozialdarwinismus": Hauptsache, mir geht es gut oder auch: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Es wird wohl im Kleinen beginnen müssen, wenn ich beginne, einem anderen Menschen etwas abzugeben, weil es mir ein Herzensbedürfnis ist und ich keine Gegenleistung erwarte. Wir ersticken an unserem Wohlstand und verlieren unsere liebevolle Mitmenschlichkeit. (eine Behauptung). Der hungrige Mensch, der sich einen Brotrest aus der Mülltonne der Bäckereitonne klaubt, wird wie ein Schwerverbrecher behandelt, wenn man ihn dabei "erwischt". Was für eine Schande. Wegen solcher Zustände hat Gott seinerzeit den Maulbeerfeigenritzer Amos von seiner Herde weggenommen und ihn in die Ohren der Politiker sprechen lassen. Lohnenswert ist auch ein Blick auf die Entwicklung der Persönlichkeit Heiner Geißlers und was er mitteilt. Den "Klumpen Sündendreck" nach Augustinus hatte Luther verinnerlicht, soviel steht fest. Das musste mühsam aufgebrochen werden und ist auch noch nicht geschafft. Unsere Kirche ist auf dem Weg der Selbstfindung, ich bleibe dabei.
Herzlicher Gruß!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Samstag, 11 Januar 2020 20:50)
Lieber Herr Wildenhain,
seien Sie froh, dass sie ein ausgefülltes Leben haben.
Natürlich ist das hier, jedenfalls bisher, etwas anderes gewesen, als ein kurz abgefasster Leserbrief. Es ist ja doch eine Art Gespräch.
An den Herrn Postel erinnere ich mich noch gut. Hieß es bei uns doch, wenn jemand psychisch angeknackst war, das er wohl bald nach Zschadras kommt. Als der gute Mann entlarvt wurde, haben wir uns amüsiert, denn er hat ja recht. Wenn man das nötige Vokabular kennt und überzeugend anzubringen vermag, kann nur noch der Zufall einen zu fall bringen.
Der Mann war durchaus klug, gebildet, sensibel und auch reflektiert. Vielleicht als Psychiater nicht schlechter als mancher, dem man begegnet und der seine Studienzeit abgeleistet hat.
Die politische Entwicklung kann uns mit Sorge erfüllen.
Aber sehnen sich die Menschen wirklich nach weniger Demokratie? Die meisten wissen vermutlich nicht, was sie wollen. Sie sehen nur, wie schwerfällig das ist, was sie erleben. Dazu kommt, das viele Menschen nicht wissen, wem sie, auf dem Feld der Politik, überhaupt noch vertrauen können.
Ich denke an die Bonpflicht, die es jetzt gibt. Steuerhinterziehung soll damit vermindert werden. Aber ginge das nicht anders?
Vor allem verstehen die Menschen nicht, warum immer wieder neue Steuern eingeführt werden, deren Nutzen sie nicht verstehen. Siehe CO² Steuer.
Ja, es ist eine Schande, wenn in unserem reichen Land Rentner Brot aus dem Müll klauben müssen.
Wer aber zieht aus diesen Beispielen Gewinn? Sind es nicht die Populisten, die derartige Not mit dem gegenrechnen, was Migranten hier an Hilfe bekommen?
Da sind wir wieder bei der Frage einer Demokratie, in der per Volksentscheid bestimmte Fragen geklärt werden sollen.
Wie würde wohl unser Volk entscheiden, wenn es zum Thema Migration befragt würde?
Als wir noch, im Sonntag, vor Jahren über den Umgang mit der Schrift diskutierten, sagte (oder schrieb) jemand, wir hätten keine Demokratie, sondern eine Nomokratie. Also eine Herrschaft des Rechts oder Gesetzes. Ich halte das für einen interessanten Gedanken.
Ein schönes Wochenende
Gert Flessing
Juliane Keitel (Sonntag, 12 Januar 2020 01:57)
Liebe Diskutierende hier auf Frei & Fromm,
ich wünsche allen noch ein reich gesegnetes, friedliches Neues Jahr. Im vergangenen Jahr haben wir teils heftig diskutiert, und sicher haben wir dabei alle dazugelernt. Die Diskussion fortzusetzen ist herausfordernd, ich zumindest bin etwas müde geworden und sehe einige Probleme:
Zum einen sind unsere Diskussionsgegenstände teilweise sehr komplex und im Verlauf auch immer komplexer geworden, und manchmal weiß ich gar nicht, wo ich anfangen sollte (z.B. hätte ich viel Kritisches zu der Aussage von Sascha Wildenhain, alle Parteien hätten etwas Populistisches an sich, schreiben mögen/müssen; oder zur Diskussion darüber, wie eine gerechte Wirtschaftsordnung aussehen könnten; oder zur Frage, ob Gewalt jede gutgemeinte Sache diskreditiert).
Zum zweiten vermisse ich eine Moderation oder Einbringungen - wenigstens punktuell - der Initiator*innen des Forums. Ich denke, diese Verantwortung obliegt ihnen, wenn sie schon die Kommentarfunktion zulassen und an dieser offenbar auch interessiert sind. Vielleicht würden die Diskussionen dann fokussierter ablaufen und nicht so wahnsinnig viele 'Nebenthemen' auf den Plan bringen.
Zum dritten möchte ich inhaltlich über das folgende Thema einfach nicht mehr streiten: Ich lehne es ab, weiter darüber nachzudenken, ob die Texte von Dr. Renzting "auf einen zweiten Blick" (#167) irgendetwas enthielten, das ihn entlasten würde. Lieber Herr Flessing, ich würde das gerne heute zum letzten Mal schreiben: da gibt es einfach mal nichts! Sie können doch nicht allen Ernstes wieder seine Jungend anführen, nach allem, was nun darüber schon geschrieben und reflektiert wurde (u.a. https://www.theomag.de/122/am681.htm), oder die Nähe zu irgendwelchen Ansichten von Aristoteles geltend machen. Haben Sie das immer noch nicht verstanden? Alle diese Texte sind vom Grund auf abzulehnen aus der Perspektive einer demokratische Gesellschaft, die eintritt für eine Vielfalt von Interessen und Lebensweisen, für eine Gleichbehandlung aller Menschen, und die mittels ihrer staatlichen Institutionen garantiert, dass Grundrechte für alle gewährleistet sind und es einen friedlichen Ausgleich und ein friedliches Aushandeln von Interessen gibt! Das Elitäre, das Sie zu Recht in einigen Sätzen kritisierten, ist doch genau das, was Ungleichheit befördert und aufrecht erhält. Ich bin mal wieder fassungslos, dass Sie den Gedanken Aristoteles' da wirklich etwas Gutes abgewinnen konnten, und dass Sie sich vielmehr nicht darüber empören, wenn jemand die Armen ausschließen oder sie zumindest klein und arm halten möchte, weil sie die "Verflachung von Bildung und Kultur" der Kultur bewirken könnten (und weil man sie natürlich als fleißige Arbeiter*innen braucht...). Fällt es Ihnen nicht auf, wie sehr ein elitäres Denken mündet in rechtskonservative/-extreme Positionen?
Sicherlich kann und muss man immer wieder darüber nachdenken, wie man diese Demokratie gestaltet und ob Dinge verändert werden müssen, aber da ist es doch wiederum wichtig, vor welchem Hintergund man dies tut, also was ist das Maß, an dem ich mein Nachdenken, meine Entscheidungen ausrichte? Das können doch nicht eine elitäre Haltung und die 'Sehnsucht' zurück zur Ständegesellschaft sein - also tut mir leid. Hier wünschte ich mir doch eher mal einen Bezug auf biblische Texte (wie ihn bspw. Sascha Wildenhain mit Amos angibt).
Und noch ein Wort zu Ihrem Handwerksmeister: Alle Zeiten werden sich ändern, lieber Herr Flessing, und ob irgendetwas eine "Verflachung" ist, lässt sich heute nicht abschließend beurteilen. In einer defizitären Sicht auf Jungendlichenund einer grundsätzlichen Aburteilung ihrer (Nicht-)Kompetenzen aber werden wir auch nicht weit kommen. Vielleicht weiß ja Ihr Handwerksmeister gar nicht, wo auf dem Smartphone oder digitalen Taschenrechner er diese Funktionen finden würde, mit denen seine Lehrlinge aber mühelos umgehen können, und die sie für ihre Zukunft auch dringend brauchen werden, für seine aber vielleicht nicht mehr. Ich würde mich freuen, wenn es zwischen den Generationen mehr Verständnis geben würde, anstatt dass die Älteren einfach nur auf dem beharren, was sie selber vor zig Jahren einmal gelernt haben/lernen mussten, was heute aber immer weniger wichtig ist, weil es ganz andere Herausforderungen für die Gesellschaft und das Leben in ihr gibt. Das Verhalten des von Ihnen zitierten Meisters ist leider ziemlich elitär und seinerseits eine Form von 'Verflachung'. Sie können ihn ja mal fragen, welche Partei er letztens in Sachsen gewählt hat - bitte entschuldigen Sie meinen Sarkasmus.
Juliane Keitel (Sonntag, 12 Januar 2020 02:02)
Was mich viel mehr interessieren und worüber ich auch hier im Forum gern in den Austausch treten würde, ist der Gesprächsprozess der Landeskirche, der sich um die Frage der Unterscheidung zwischen wertkonservativem Christsein und Rechtsextremismus drehen soll; auch Barbara Zeitler hatte diese Frage in ihrem Beitrag im Advent (https://www.frei-und-fromm.de/dies-und-das/blogarchiv/) aufgenommen. Ich weiß aber icht, ob im Blogarchiv nochmal jemand nachguckt, so dass ich die Frage dann versuche hier zu diskutieren, falls das ok ist, liebe Admins?
Ich hatte hier jedenfalls schon einmal geäußert, dass ich diese Frage in ihrem Grundsatz für falsch halte. Wie sehen das die anderen?
Gert Flessing (Sonntag, 12 Januar 2020 11:46)
Liebe Frau Keitel,
meine Gedanken zu Herrn Rentzing waren auch mehr ein Köder, um jemanden, nach der Weihnachtspause, heraus zu locken.
Mein Freund ist Dachdeckermeister. Er erwartet halt, das ein junger Mensch zumindest mit Papier und Bleistift, ausrechnen kann, wie viel Ziegel für ein Dach, das so hoch und so breit ist, benötigt werden.
Er wählt CDU und saß für die Partei viele Jahre im Stadtrat. Ja, er ist Kreishandwerksmeister und wohl tatsächlich, zumindest darin, "elitär".
Ich weiß, dass Sie beruflich mit Schule zu tun haben. Ihre Unterrichtsvorbereitungen sind wohlgelungen.
Ich weiß, dass sich Zeiten ändern. Ich weiß aber auch, dass sie sich nicht immer so ändern, wie wir es gern hätten. Das gilt nicht nur für alte Handwerker, sondern auch für jüngere Intellektuelle.
Ich weiß nicht, ob eine Diskussion über den Unterschied von "wertkonservativ" und "rechtsextrem" wirklich viel Sinn macht.
Ich bin konservativ. Ich halte es für sinnvoll, Traditionen am Leben zu erhalten, die Teil unserer Kultur sind. Ich habe einen Schützenverein mit gegründet und habe einem meiner Söhne den Umgang mit einem Gewehr beigebracht, als er alt genug war und Interesse daran hatte. Er hat dann Zivildienst geleistet. Das fand ich gut. Auch diese Möglichkeit ist etwas, was ich bewahrenswert finde.
Ich bin liberal. Ich bin davon überzeugt, das jeder nach seiner Fasson selig werden soll.
Ich bin konservativ. Ich bin davon überzeugt, das es unsere Aufgabe als Christen ist, den dreieinigen Gott der Welt zu preigen, als den, der uns liebt und zwar so sehr, das er sich in seinem Sohn Jesus, dem Christus, für alle geopfert hat. Wer darauf vertraut, ist aus dem Gericht und findet ewiges Leben. Dieses Vertrauen bewährt sich in der gelebten Liebe, die allen gilt, die uns brauchen.
Ich bin liberal, denn ich gehe nicht davon aus, das die Bibel Gottes direktes und direkt diktiertes Wort ist, sondern das uns sein Wort in den Worten von Menschen begegnet, die ihn erfahren haben und uns, mit ihren Worten, Gottes Wort nahe bringen. Es hat eine zeitliche und eine überzeitliche Dimension.
Rechtsextrem? Ich lehne alles, was sich selbst überhebt und behauptet besser zu sein, als andere, ab.
Gert Flessing
Gerhard Lindemann (Sonntag, 12 Januar 2020 19:01)
Zu den Texten in den "Fragmenten" zitiere ich noch einmal aus der Erklärung der Landeskirche vom 13.10.2019: " Die der Kirchenleitung vorliegenden Texte sind als elitär, in Teilen nationalistisch und demokratiefeindlich einzustufen. Sie sind aus damaliger und aus heutiger Sicht unvertretbar." Da kann man auch nicht resümierend nach der Lektüre sagen, dass "es immer wieder lohnt, sich um das, was wir haben, und wie es der Gesellschaft dient, Gedanken zu machen." In den Texten ging es vom Ziel her letztlich um die Verwandlung der parlamentarischen Demokratie in einen autoritären, vermeintlich christlich geprägten Obrigkeitsstaat. Das waren insgesamt keine lohnenswerten, weiterführenden konstruktiven Gedanken.
Gert Flessing (Sonntag, 12 Januar 2020 20:24)
Lieber Herr Lindemann,
es ist so, das Menschen recht unterschiedliche Gedanken haben, wenn sie über das Gemeinwesen, in dem sie leben, nachdenken.
Die DDR, die ich ja erlebt habe, war keine Demokratie. War sie ein "Obrigkeitsstaat"?
Am ehesten war sie eine Parteidiktatur, wenn selbst das ihrer Wirklichkeit auch nicht gerecht werden kann.
Wir haben, nachdem dieses System überwunden war, versucht, eine Demokratie aufzubauen, die letztlich in das hineinglitt, was es vorher in der alten BRD schon gab.
Ich finde diese Demokratie nützlich. Aber bin ich wirklich mit ihr zufrieden?
Sie ist, wenn es um Entscheidungen geht, oft schwerfällig. Sie hat eine ausufernde Bürokratie.
Gleichzeitig sehe ich, das es mir und vielen anderen Menschen, in meinem Viertel leben reichlich Leute, die der siebzig näher als der sechzig sind, besser, als es dieser Generation je in Deutschland ging. Sie sind weitgehend zufrieden und dennoch macht sie der Blick auf die Politik nicht glücklich. Viele von ihnen waren Nichtwähler.
Sie möchten nicht mehr zurück in die DDR. Das ist sicher. Aber sie möchten ein System, das zügiger funktioniert. Sie ärgern sich über Politiker, die ihr Geld für "Berater" ausgeben, weil sie, augenscheinlich, selbst keine Ahnung haben. Sie sprechen davon, das es nicht sein kann, wenn jemand Minister wird und vom Fach nichts versteht.
Aber was ist sinnvoll? Was erwarten Sie von dem System, in dem wir leben?
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Montag, 13 Januar 2020 20:49)
Guten Abend allerseits,
die beiden neuen Kandidat*innen für die Bischofswahl sind benannt. Herrn Bilz habe ich vor einigen Jahren ganz kurz persönlich kennen lernen dürfen, ich würde ihn wählen. Frau Weyer ist sicherlich genauso wählbar wie jeder andere Christenmensch, der authentisch ist und es ernst meint, ich kann das gar nicht objektiv beurteilen.
Ansonsten bleibe ich dabei: die Anforderungen, die dieses Amt an den gewählten Menschen stellt, sind meines Erachtens viel zu hoch, "dass" kann ein einzelner Mensch nicht leisten, ganz egal wie er oder sie heißt und wo er theologisch "verortet" ist..
Wirft die Frage auf, was sich da ändern müsste, vielleicht die Struktur?
Ich denke, ja. Ich persönlich- diese Äußerung bitte nicht despektierlich interpretieren- bräuchte überhaupt keinen Bischof, aber ich habe lernen dürfen, dass auch- oder besonders(?)- gelebte Demokratie auch und gerade in der Kirche Struktur braucht, ansonsten versinken wir im Chaos. Ich bin neulich gegenüber einer Frau hier in der Gemeinde sehr laut geworden. Sie und einige ihrer Freundinnen sind der Meinung, ihren "Widerstand gegen die Welt" darin zum Ausdruck bringen zu müssen, dass sie ihre Kinder nicht impfen lassen. Ich habe ihr ins Gesicht gesagt, dass ich dieses Verhalten als asozial betrachte. Asozial in dem Sinne, dass ich der Meinung bin, dass wenn sich eine Mehrheit so verhalten würde, wir hier mit der Rückkehr von Krankheiten wie Masern etc. rechnen dürfen. Warum teile ich das mit? Weil genau diese Menschen diejenigen sind, die im Zweifelsfall auch zu Pegida & Co rennen und nichts mit "Struktur" im besten Sinne anfangen können und ständig gegen "die da oben" meckern. DUMMHEIT, mehr fällt mir dazu nicht mehr ein. Ja, ich würde mir manchmal auch weniger Amtskirche und mehr gelebtes liebevolles Christsein in der Gemeinde wünschen, aber wie wir ja alle wissen, bekommt jeder Teilnehmer einer Massenevangelisation nach amerikanischem Muster am Ausgang des Stadions eine DVDF für "X" Euro in die Hand gedrückt und da würde ich geheilt sein. Das ist ein großes Problem, dass "wir als Kirche " haben. Die Stadien der Schlagersänger*innen sind brechend voll, man liegt sich den Armen und verschmilzt für ein paar Minuten zu einer großen Masse, weil es doch so schön ist, ich lasse die Gänsefüssschen bewusst weg. Unsere Gottesdienste, wo es um die Liebe, um Gott und um gelingendes Leben geht, die werden nicht voller, oder habe ich da eine falsche Wahrnehmung? So viele Pfarrer*innen geben Tag für Tag ihre ganze Kraft da hinein. Davor verneige ich mich, was diese Menschen leisten, ist enorm! Das sollte vielmehr gewürdigt werden.
Einen schönen Abend!
Sascha Wildenhain
Sascha Wildenhain (Montag, 13 Januar 2020 21:20)
Liebe Frau Keitel,
ich wünsche Ihnen selbstredend für das neue Jahr alles Gute und vor allem, dass wir auch das aushalten, was wir auf den ersten Blick selbst nicht als gut interpretieren...
Ich bleibe dabei: alle, ausnahmslos alle politischen Parteien bedienen sich irgendwann ob bewusst oder unbewusst des Mittels des Populismus.
Abgrenzung wertekonservativ von rechtsextremistisch macht keinen Sinn, schreiben sie sinngemäß. Das denke ich auch, weil ich, grob gesagt, da gar nicht wüsste, wie das praktisch gehen soll. Ihre Gedanken dazu interessieren mich aber sehr, bitte teilen Sie sie doch noch einmal hier mit. Ich bin momentan der Meinung, dass es um das definieren von roten Linien gehen wird. Es gibt Straftatbestände (Holocostleugnung, zeigen von verfassungsfeindlichen Symbolen etc.), die müssen mit Leben erfüllt werden, das ist es, worauf es ankommt. Aktuelles Beispiel aus unserem beschaulichen sächsischen gesellschaftlichen Miteinander: Auf der Augustusburg ist innerhalb eines sogenannten "Biker-Treffens" ein Motorrad- Gespann erschienen. Der Fahrer in Uniform und Stahlhelm, im Beiwagen ein sogenannter Adolf- Hitler- Imitator. Alle umstehenden haben gelacht, es gibt Fotos, die das zeigen.
Der Polizeibeamte war wohl auch amüsiert(?).
https://www.mdr.de/sachsen/chemnitz/chemnitz-stollberg/hitler-darstellung-augustusburg-faq-100.html
Ich selbst habe auch ein Motorradgespann, damit fahre ich mit unseren Söhnen durchs Land. Nicht im Traum fiele es mir ein, zu solch einem Treffen zu fahren, zu einer Versammlung solcher Menschen. Keiner, keiner bringt den Mut auf, diese Vögel in die Schranken zu weisen. DAS ist das eigentliche Problem. Entweder man hat Angst oder man sympathisiert damit oder man ist völlig apathisch.
Einen Schönen Abend.
Sascha Wildenhain
Juliane Keitel (Dienstag, 14 Januar 2020 00:06)
Lieber Sascha Wildenhain,
zur Frage des Populismus empfehle ich diese Seite: https://www.bpb.de/dialog/netzdebatte/260878/was-ist-populismus. Es wäre schlimm um unsere Demokratie bestellt, wenn man alle Parteien generall da einreihen würde. Einzelne Politiker*innen mögen anfällig dafür sein und teilweise auch öffentlich so agieren (bspw. wäre Sarazzin für mich so ein Fall), aber i.d.R. greifen da innerparteiliche Regularien und auch Reglementierungen, wenn sich Parteimitglieder auf dieses Niveau begeben; es gibt jedenfalls meistens eine öffentliche Debatte um populistische Entgleisungen Einzelner. Es ist eben nicht von ungefähr, dass man eine Partei wie die AfD als populistische Partei bezeichnen muss, andere aber eben genau nicht, und dieser Unterschied besteht auch fundamental, da gibt es für mich zmindest keine Frage.
Meine Frage, was wertekonservativ und was rechtsextrem sei und wie man sich in der Kirche davon abgrenzt, würde ich eigentlich selber gerne einmal beantwortet haben, anstatt dass ich immer nur meine eigenen Antworten öffentlich mache. Zum einen habe ich mich in #147 schon mal dazu geäußert, zum anderen aber wäre es auch mal an der Zeit, von denjenigen, die diese Frage in Umlauf gebracht haben (u.a. hat ja auch Barbara Zeitler darauf Bezug genommen), zu hören, was sie eigentlich damit verbinden, was sie sich erhoffen oder erwarten. Das würde ich wirklich sehr, sehr gerne einmal genauer erfahren und diskutieren!
Ich habe langsam das Gefühl, dass wir mit unserer ausufernden Diskussion hier und mit vorpreschenden Einschätzungen andere im Forum evtl. verprellen, denn eigentlich 'unterhalten' wir uns ja nur zu dritt oder zu viert, wer sonst noch mitliest und mit welchem Interesse - keine Ahnung. Mich wundert auch, dass sich außer Frank Martin (gelegentlich) hier niemand von den Initiator*innen mehr öffentlich einbringt, obwohl doch das auch eine Möglichkeit wäre, das Profil des Forums zu schärfen und ihre Anliegen und Sichtweisen auf die Geschehnisse zu formulieren und konstruktiv zu streiten.
Also ich habe zur o.g. Frage schon noch den ein oder anderen Gedanken, möchte aber auch gerne erst einmal andere Stimmen, neue Gedanken dazu hören und nicht gleich wieder vorpreschen. Außerdem suche ich langsam auch andere Wege der Öffentlickeit. Ich werde jetzt versuchen, den ein oder anderen der in Dresden und Leipzig mittlerweile angebotenen größer angelegten Gesprächsabende wahrzunehmen. Vielleicht treffen wir uns dort ja einmal. Und vielleicht kommt man da etwas schneller, etwas fokussierter, mit einer größeren Anzahl von Personen und auch mit Entscheidungsträgern in Kontakt. Sich hier die Finger wundzuschreiben und sich - bitte entschuldigen Sie, das ist keinesfalls gegen Sie persönlich gerichtet - durch die Komplexität der Themen und Fragen zum einen ein wenig erschlagen zu fühlen, sich zum anderen teilweise im Kreis zu drehen, und zum dritten nicht so richtig zu wissen, wohin das alles führen soll (also welches Ziel verfolgt hier die Auseinandersetzung? Das ist - insbesondere auch von Moderatorenseite - nicht mehr klar, außer dass wir uns Briefe über dieses und jenes schreiben...) - das macht mich doch langsam etwas mürbe.
Sascha Wildenhain (Dienstag, 14 Januar 2020 08:53)
Liebe Juliane Keitel, liebe Forumsteilnehmer,
vielen Dank für die prompte und gehaltvolle Antwort.
Ich verstehe Ihre Signale, was das "mürbe sein" betrifft, mir geht es ähnlich, jedoch möchte ich ausdrücklich mitteilen, dass ich dieses Forum als etwas sehr Gutes betrachte. Eine Lebensweisheit, die ich verinnerlicht habe, ist die, dass es vollkommen sinnlos ist, Menschen etwas einstreiten zu wollen, was diese innerlich nicht selbst wollen, egal worum es geht. Ein Schlüsselmoment war das folgende Tucholsky-Zitat, mit welchem ich mich von allen hier vorerst verabschieden möchte. Das Zitat stammt aus einem Aufsatz, den Tucholsky 1919 unter einem seiner Pseudonyme "Ignaz Wrobel" 1919 in der Weltbühne publizierte. Der Aufsatz entstand im Kontext der entsetzlichen politischen Radikalisierung in der Weimarer Republik. Es gibt Parallelen in unsere Zeit. Manch einer wird jetzt wieder mit den Augen rollen ("Schon wieder die ollen Kamellen...") und da sage ich: "Ja, genau, schon wieder die ollen Kamellen!". Weil sie es nicht sind. Wozu wird denn den jungen Menschen in den Schulen Geschichte gelehrt? Wozu denn? Genau! Das sie darüber ins Nachdenken kommen und für die Zeit, in der sie leben, dazu beitragen, dass es besser und nie wieder so schlimm wird...:
"Und hier möchte ich aufnehmen, was ich anfangs andeutete: Es scheint aussichtslos. Wir kämpfen hier gegen das innerste Mark des Volkes, und das geht nicht. Es hat keinen Sinn, die Berichte Punkt um Punkt durchzugehen, hier Widersprüche nachzuweisen und da Lügen, Roheiten und Minderwertigkeiten." aus:
https://www.textlog.de/tucholsky-prozess-marloh.html
Herzliche Grüße!
Sascha Wildenhain
Gert Flessing (Dienstag, 14 Januar 2020 10:52)
Ihr Lieben,
es ist schade, dass dieses Gespräch "mürbe" macht. Ich selbst habe es, als ein Gespräch mit intelligenten und engagierten Menschen genossen. Eigentlich bin ich ja auch nur durch Zufall auf die Kommentarfunktion gestoßen und habe sie halt genutzt. Das könnten andere ebenso tun, wenn, ja, wenn sie wirklich Interesse an einem Gespräch hätten.
Natürlich kommt es bei jedem Gespräch, wenn es nicht sehr eng moderiert wird, vom Hölzchen zum Stöckchen.
Aber im Kern geht es doch, und das ist wohl auch das was es kompliziert macht, um die Verfasstheit der Gesellschaft UND der Kirche und einer möglichen oder tatsächlichen Wechselwirkung.
Dafür muss zunächst einmal deutlich werden, wie es wirklich um die Gesellschaft steht. Ich greife das Tucholskyzitat von Herrn Wildenhain auf. Was ist denn das "innerste Mark des Volkes"?
Die andere Frage ist, in meinen Augen, was wir denn wollen. Wollen wir, wie es Tucholsky ausdrückt, dagegen kämpfen?
Wenn ich mich gegen etwas wende, muss ich wissen, was ich damit, wie, erreichen möchte.
Wohin "das alles führen soll", liebe Frau Keitel? Es ist ein Gespräch. Ein Gespräch kann zu einer Klärung von Gedanken führen. Ich habe, in meinem Leben, schon des Öfteren Gespräche geführt. Ein "Ergebnis" ist nicht von der Menge der Teilnehmer abhängig.
Eine andere Erfahrung ist, dass s.g. "Entscheidungsträger" meist mild lächelnd beteiligt sind, um dann das zu machen, was sie so tun. Die Entscheidung selbst tragen und handeln. Man kann sie auch, und das ist nicht einmal böswillig, "Elite" nennen.
Gert Flessing
Sascha Wildenhain (Dienstag, 14 Januar 2020 22:21)
Letzter Nachtrag.
Liebe Forumsteilnehmer,
wenn ich wüsste, dass der prozentuale Anteil in unserer Bevölkerung in der Minderheit wäre und bliebe, der die Demokratie lieber als abgeschafft sehen würde, statt gestärkt und wehrhaft, dann wäre ich entspannter. Mal ganz abgesehen davon, dass ich es nicht nachvollziehen kann, wie ein "Herkunftsdeutscher" nach unseren (als Volk) geschichtlichen Erfahrungen sich wieder nach rechts außen hingezogen fühlen kann, möchte ich hier mitteilen, dass ich deutliche Parallelen in die Weimarer Zeit sehe. Die Herkuleskeule ist heimgesucht worden:
https://www.welt.de/politik/deutschland/article204949368/Dresden-Auslaenderfeindliche-Zwischenrufe-und-ein-verletzter-Schauspieler.html.
Muss mich das kalt lassen? Ist das eine Kleinigkeit? Waren die unzähligen Opfer der Nazis und die vielen mutigen Kämpfer gegen diese bösen Menschen, die diesen Kampf nicht selten mit ihrem Leben bezahlt haben, umsonst? Die allerersten, die 1933 in Dachau eingeliefert worden sind, waren Gewerkschafter, also Menschen, wie ich einer bin. Wenn ich als Christenmensch, der das Evangelium wirklich verstanden hat, die AfD wähle, dann kann in meinem Denken und Fühlen irgendetwas nicht stimmen. Oder drastischer ausgedrückt: Ein Christ, der allen Ernstes die AfD wählt, der kann nicht ganz dicht sein. In Jesus Christus ist Gott Mensch geworden und alles, was wir lesen und verstehen können, wie sich Jesus den Menschen zugewandt hat, wie er sich ihnen gewidmet hat, sie so angenommen hat, wie sie waren (sind) in all ihrer Schwachheit steht in einem totalen Gegensatz zu diesem ganzen Nazidreck, den wir hier momentan erleiden dürfen. Um es mal positiv zuzuspitzen: Innerhalb der Geschichte der Christenheit gab es den heiligen Franziskus von Assisi, der wirklich und wahrhaftig so feinfühlig gewesen war, das Evangelium JEDER KREATUR zu verkündigen. Und wir haben hier bis in die Gemeinden und Familien hinein das Problem, dass diese unsägliche Hitlerei NICHT als die totale Katastrophe verstanden wird, die sie gewesen ist. Wir diskutieren hier darüber, ob homosexuelle Menschen homosexuell sein dürfen (davon steht im Evangelium auch überhaupt gar nichts) oder schlagen uns mit einem verklemmten Bischof herum, der in seiner Jugendzeit verschwurbeltes Gesülze geschrieben hat und bis heute nicht den Mut aufbringt, mal Tacheles zu reden, was denn nun eigentlich wirklich in seinem Herzen wohnt. Meine Frau und ich fragen uns die ganze Zeit, wie wir diesbezüglich unsere Kinder begleiten dürfen.
Ich wünsche Ihnen allen eine gute Zeit, viel Kraft und Gottes Segen.
Ihr Sascha Wildenhain
Juliane Keitel (Mittwoch, 15 Januar 2020 02:20)
Lieber Sascha Wildenhain,
ich kann Ihrem letzten Beitrag in vielen Punkten zustimmen. Ich kann gut verstehen, dass die Zeiten mit den von Ihnen beschriebenen Ereignissen besonders auch Eltern Sorgen machen können.
Da Sie u.a. am Beispiel der Homosexualität noch einmal so pointiert formulierten oder fragten, was da eigentlich das Problem ist und ob es nicht andere dringendere Probleme gebe, will ich Ihnen gerne doch noch kurz meine weiterführenden Gedanken mitteilen zum Thema "wertekonservativ - rechtsextrem", weil sie vielleicht ganz gut zu Ihren Ausführungen passen.
Mein Eindruck ist, dass der Diskussionsprozess zu einer Frage, die man so stellt, nicht dazu geeignet ist, herauszustellen, welche Ansichten, Haltungen, Worte wofür, für wen und warum schädlich sind. Vielmehr scheint es (znächst implizit) darum zu gehen, das Konservative gegen das Rechtsextreme zu verteidigen und es von dem Verdacht zu befreien, es könnte rechtsextrem sein oder werden. Damit holt man zunächst diese ohnehin leider bestehende Nähe der beiden Positionen, die bereits vorhandene Schnittmenge also, nur umso stärker auf den Plan. Am Beispiel Homosexualität lässt sich das ganz gut illustrieren: Ich kann mir gut vorstellen, dass konservative Personen gerne weiterhin denken und sagen wollen/dürfen, dass sie Homosexualität ablehnen oder für etwas Schlechtes, Verwerfliches, Unmoralisches, Unbiblisches etc. halten (so ähnlich ja auch bei Gert Flessing, im anderen Blog bei # 57) - aber deswegen bitte nicht mit rechtsextrem tituliert werden wollen, obwohl außer Zweifel steht, dass die Neue Rechte homophob ist. Oder: ich möchte weiterhin sagen dürfen, dass die Seenotrettung mir nicht gefällt, aber ich bin damit nur 'konservativ' und nicht rechtsextrem oder rassistisch. Oder: ich möchte weiterhin sagen dürfen, dass Frauen sich hauptsächlich um die Kindererziehung kümmern müssen, nicht abtreiben dürfen etc., aber ich bin selbstverständlich nicht frauenfeindlich. Oder: ich möchte weiterhin AfD wählen, bin damit aber nicht rechtsextrem, denn es ist eine demokratisch gewählte Partei, die ja sogar im Bundestag sitzt... Das genau wäre für mich die berühmte und in Kirchen allerorts anzutreffende Harmoniesucht, die eben nichts mit Klarheit zu tun hat, nichts mit einem klaren Bezugspunkt oder einem transzendenten Maß oder Prinzip, vor dessen Hintergrund ich Dinge, die Menschen tun und sagen, also Standpunkte, Haltungen, Worte, beurteile.
Die Fragestellung ist m.E. 'hervorragend' dazu geeignet, das Konservative vor dem Label "rechtsexrem" zu schützen, womit beide Labels sich nur weiter einander annähern, wenn es nicht zu einem klaren NEIN gegenüber den Positionen kommt, die ich eben benannt habe. Die Chance dafür schätze ich aber als gering ein, wenn ich noch einmal zurückdenke an die Klatscher zu Dr. Rentzings Abschiedsrede (ca. die Hälfte der Synode!). Insofern schade, dass man nicht eine andere Ausrichtung für einen solchen 'Gesprächsprozess' gefunden hat. Man will halt wieder niemandem 'wehtun' und alle integrieren. Man soll ja auch niemanden ausschließen, aber wie gesagt: der (theologische) Bezugspunkt muss deutlich sein, und der liegt auf einer anderen Ebene als zwischen wertkonservativ und rechtsextrem. Irgendwie leider auch eine theologisch schwache Leistung, diese Fragestellung (meiner Meinung nach), von der ich mir nichts Neues und in eine gute Zukunft Weisendes verspreche (oder mir fehlen Fantasie und Hoffnung...).
Gert Flessing (Mittwoch, 15 Januar 2020 10:25)
Liebe Frau Keitel,
ich würde Sie bitten, mir nicht zu unterstellen, das ich Homosexualität als schlecht, verwerflich, unmoralisch oder unbiblisch bezeichnet habe.
Das ist schlichtweg falsch.
Mir ist es völlig gleichgültig, wie jemand zu lieben beliebt. Es ist seine Sache.
Mag sein, dass Sie es anführen, um mich guten Gewissens als rechtsextrem bezeichnen zu können.
Woher wollen Sie wissen, was konservative Menschen im Blick auf Homosexualität denken? Es gab, von je her, auch konservative Schwule.
Ganz extrem: Eine der Damen, die in der AfD ein großes Wort führen lebt in einer lesbischen Beziehung. Ist das nicht komisch?
Gert Flessing
Gerhard Lindemann (Mittwoch, 15 Januar 2020 13:57)
Lieber Herr Flessing,
Sie schrieben: "Ich gebe auch zu, dass ich durchaus Probleme mit Homosexualität habe. Da sträubt sich was in mir. Tut mir leid. Ich würde das niemals einen Menschen, der homosexuell ist, spüren lassen wollen. Denn er hat einen Anspruch darauf, korrekt, wie jeder andere Mensch, behandelt zu werden.
Gleichstellung und Gleichbehandlung ist jedem Menschen zu wünschen. Es wird aber wohl noch eine Weile dauern, bis das gelingt."
Juliane Keitel warf Ihnen nicht direkt vor, dass Sie Homosexualität für "schlecht" usw. hielten, sondern dass es sich bei Ihnen "ähnlich" verhalte. Ich halte es zwar für sehr ehrlich, aber für unsensibel und diskriminierend, im öffentlichen Raum zu bekunden, dass Sie gegen gleichgeschlechtlich orientierte Menschen eine Abneigung verspüren. Sie sind zwar im Ruhestand, aber doch offenbar weiterhin in der Gemeindearbeit engagiert (in einem Ihrer Beiträge sprachen Sie von einem Nachmittag, den Sie in einem Frauenkreis gestalteten) - wie mag es Homosexuellen gehen, die Ihnen dort begegnen und die eventuell hier zufällig Ihr Eingeständnis lesen? Das "tut mir leid" klingt ja auch weniger nach einer Entschuldigung, sondern nach "das ist eben so". Sie schreiben auch nicht, dass Sie daran arbeiten möchten, an Ihrer Grundeinstellung zur Homosexualität etwas zu ändern, das wäre doch mit eine Voraussetzung dafür, dass eine wirkliche Gleichstellung Homosexueller gelingen kann.
Gert Flessing (Mittwoch, 15 Januar 2020 17:35)
Lieber Herr Lindemann,
ich muss auch damit leben, dass manchen Menschen meine Nase nicht passt.
Ich habe nicht geahnt, dass ich hier ex cathedra schreibe.
Es tut mir auch leid, das augenscheinlich heute eine Zeit ist, in der eine gewisse Hypersensibilität um sich greift. Ich selbst ertappe mich auch gerade dabei.
Das macht eine wirkliche Offenheit im Gespräch nicht eben einfacher.
Ich habe keine "Grundeinstellung" zu der Frage, weil wir ja Gesetze haben, die das regeln. Außerdem ist es für mich, im Normfall, etwas äußerst privates, wie ein Mensch seine Sexualität ordnet.
Ich finde es merkwürdig, dass es dennoch immer wieder zu einem Thema gemacht wird. Darunter hat auch der Gesprächsprozess zum Bibelverständnis gelitten.
Ich habe, während des Studiums, mit Menschen zu tun gehabt, die homosexuell waren. Sie waren zwar in einem anderen Semester, aber ich habe sie nicht anders behandelt, wie andere Kommilitonen. Einen traf ich später wieder, durch Zufall, in Potsdam. Er war, auf Grund seiner Neigung, von der Kirche entlassen worden. Der junge Mann hatte Potential und seine Andachten waren immer gut. Ich hab ihm gesagt, dass ich es bedaure, was ihm passiert ist.
Ich hätte keine Probleme gehabt, mit ihm, in einer Gemeinde zusammen zu arbeiten.
Von verschiedenen Frauen weiß ich, dass sie gern mit Homosexuellen zusammen arbeiten, weil diese Menschen mehr Einfühlungsvermögen haben und sie nie belästigen würden.
Eine Kollegin in der Nachbarschaft meiner letzten Gemeinde, war lesbisch. Das hat mich nie gehindert, so gut mit ihr zusammen zu arbeiten, wie mit jedem anderen Menschen auch. Etwas, was, in meinen Augen, eine Selbstverständlichkeit ist.
Könnte es sein, dass unsere Gesellschaft übersexualisiert ist, dass sie solch ein Thema zum Dreh und Angelpunkt macht?
Gert Flessing
Juliane Keitel (Freitag, 17 Januar 2020 23:16)
Lieber Herr Flessing,
ich möchte ein paar Dinge gerne nicht so stehen lassen, gerade weil wir alle hier mehr oder weniger "ex cathedra" i.S.v. "öffentlich" schreiben.
Es ist kein Ziel von mir, "guten Gewissens" jemanden als rechtsextrem bezeichnen zu wollen. Ich wäre froh, wenn man analytisch zu anderen Ergebnissen käme. Wenn die Analyse von Worten es aber nahelegt, von rechtslastigem Gedankengut zu sprechen, dann werde ich das allerdings auch sagen und muss mich dafür nicht rechtfertigen oder entschuldigen. Das Beispiel, das Sie zum Thema Homosexualität angebracht haben, lässt das m.E. zu. Soviel Offenheit muss schon sein. Ich habe deshalb darauf Bezug genommen, weil sich daran exemplarisch zeigen lässt, wo die Schnittmengen zwischen konservativen und rechtsextremen Positionen liegen, und dass es genau aus dem Grund sehr schwer sein wird, da eine Grenze zu ziehen, wenn das konservativ-christliche Milieu nicht bereit ist, mit bestimmten Positionen, Haltungen grundsätzlich zu brechen. Man kann dann ja schlecht sagen, ok, ihr habt also weiterhin eure Vorbehalte gegenüber Homosexualität, aber wir sagen ab heute dann mal lieber nicht mehr, dass dies auch gleichzeitig eine rechtsextreme Sicht auf Mensch und Welt darstellt, um euch nicht zu beleidigen oder nicht zu verägern und um die Einheit der Kirche nicht zu gefährden? Können Sie mir mal sagen, wie Sie sich das vorstellen? Soll man diese Position dann nur noch als konservativ und nicht mehr als rechtsextrem bezeichnen dürfen, oder was?
Nun führen Sie viele Beispiele an, in denen Sie persönlich sich homosexuell lebenden und empfindenden Menschen positiv gegenüber verhalten haben, obwohl Sie dagegen (wogegen genau wurde nicht gesagt) eine gefühlsmäßige Abneigung hegen, wie Sie schrieben. Gleichzeitig beklagen Sie eine "Übersexualisierung". Das Problematische daran ist, dass beides aus den konservativen und rechtsextremen Milieus selbst kommt. Das eine ist die Übersexualisierung, denn aus diesen Milieus wird immer wieder die Position des Normalen gegenüber dem 'Abweichenden' eingenommen, insofern auch auf 'abweichende' Sexualität rekurriert und das 'andere' abgewertet oder diskriminiert, und zwar - und das ist das zweite - auch positiv. Wenn Sie bspw. hervorheben, wie gut Sie mit einer lesbischen Kollegin zusammengearbeitet haben, dann ist das eine Form der positiven Diskriminierung: Sie nehmen im Zusammenhang mit dem, was sie beruflich leistet, trotzdem, zusätzlich noch Bezug auf ihre Sexualität oder ihre sexuelle Identität, zwar im positiven, 'wertschätzenden' Sinne, aber warum eigentlich überhaupt? Um zu zeigen, dass Sie als Privilegierter fähig sind, jemanden anzunehmen, der andere sexuelle Vorstellungen hat? Wäre es nicht besser, menschlicher, wenn dies überhaupt keiner Erwähnung wert wäre? Gerade weil es eben - wie Sie schreiben - Privatsache ist? Hat das je jemand bei Ihnen gemacht? Hat jemals jemand zu Ihnen gesagt, dass man mit Ihnen doch sehr gut zusammenarbeiten kann, obwohl Sie heterosexuell sind? Da liegen m.E. die Probleme: wenn es nicht gelingt, gewissen Normalitätsvorstellungen aufzugeben, kann man eine diverse Gesellschaft (und auch die Kirche) schlecht 'zusammenhalten'. Die Rechte - und das sei noch einmal in aller Deutlichkeit gesagt - haben ein genuines Interesse an Privlegien, am Elitären, am Aufrechterhalten tradierter 'Normalitäten'. Wenn sie sich davon glaubhaft abgrenzen wollen, müssen Konservative die Positionen aufgeben, die Schnittmenge mit Rechtsextremen aufweisen.
Geboten ist es m.E., einzustehen für Menschen, denen aufgrund ihrer Sexualität oder anderer Diskriminierung Teilhabe verwehrt wird (bspw. Ihr Kommilitone aus Potsdam - anstatt zu bedauern, dass er "wegen seiner Neigung" seine Stelle verlor, wäre ein Protest agebracht gewesen!). Es reicht nämlich nicht - und das sei ein letzter Gedanke - sich auf Gesetze zu berufen oder zu verlassen, wie Sie schreiben. Man muss sich schon auch persönlich dazu verhalten und in manchen Situationen entscheiden, ob man einem Gesetz erst einmal zur faktischen Geltung verhelfen und es mit seiner Haltung unterstützen möchte, oder ob man ggf. auch dagegen rebellieren sollte (bspw. gegen die verschärften Polizeigesetze in Sachsen).
Gert Flessing (Samstag, 18 Januar 2020 10:43)
Liebe Frau Keitel,
Sie haben also meine Wortwahl analysiert. Das Ergebnis lässt mich lächeln. Was ich hier vor mir habe ist das Pendant zu dem, was ich erleben durfte, als ich mich, weil es immer wieder thematisiert wurde, von biblizistischen Leuten anlesen durfte. Nur das deren Argumentation darauf hinaus lief: "In der Bibel steht geschrieben, ein Mann darf keine Männer lieben." Bei denen galt ich, mit meiner Einstellung, als Scheißliberaler und Verräter der Schrift, die ja Gottes gehauchtes Wort ist.
So ist das halt im Leben.
Nur am Rande - ich habe das Thema Homosexualität nicht eingebracht, ich habe nur reagiert und das mit dem Maße der Nüchternheit, das mit zur Verfügung steht.
Meine schwulen Kommilitonen erlebte ich in der Zeit, als in der DDR gerade der § 175 aufgehoben wurde. Das es diese Variante der Liebe gibt, wusste ich, bis dahin, aus den Erzählungen meiner Mutter, die in Frankfurt Oder aufgewachsen war und dort erlebte, wie zu Beginn der Naziherrschaft plötzlich alle Homosexuellen verhaftet wurden. Sie hat das für schrecklich gehalten, denn sie meinte, das die Menschen für ihre Neigung nichts können.
Mit Ihrer Meinung, das, in solch einem Falle ein Protest angebracht wäre, mögen Sie Recht haben. Aber ein Protest zeitigt Folgen. Bei meiner Mutter wären das gewiss schlimmere gewesen, als bei mir.
Aber die Zeiten waren auch in der Mitte der Siebziger nicht so, das mehr getan wurde, als es zu bedauern. Es war eine Entscheidung der Kirche und damit war alles geklärt. Wie schnell man selbst, wenn man wider den Stachel löckte, eins rein gewürgt bekam, wussten wir alle gut genug.
Erzogen wurde ich sehr offen, aber eben auch dazu, mich bewusst als Deutscher zu fühlen. Gewiss waren wir, wenn ich auf meine Schulzeit zurück blicke, deutsch - national. Unser Pfarrer war es auf alle Fälle. Im Posaunenchor bliesen wir das Deutschlandlied und bei ihm lernten wir auch alle drei Strophen kennen. Wir waren Antikommunisten und verachteten das System wenn ich "wir" sage, meine ich das auch so. Die Schulklasse, in der ich war, ist fast geschlossen zur Konfirmation gegangen. Die meisten von uns waren auch russenfeindlich. Ich eher nicht, weil ich von meinen Eltern gelernt hatte, das Russen Menschen sind und die meisten von ihnen eher schlechter dran, als wir.
Elitär? Natürlich bin ich "elitär" erzogen worden. Von meiner Mutter lernte ich, das Wissen Macht ist. Sie hatte das Lyzeum in Frankfurt Oder besucht, und dort wurden junge Mädchen zu jungen Damen erzogen. Ihre Arroganz und ihre Ironie waren nicht eben beliebt, sorgten aber, zusammen mit ihrer Intelligenz dafür, das sie als erste Frau im Kirchenvorstand war, als erste, bei uns im Kirchenbezirk, Vorsitzende des KV wurde und in der Bezirkssynode saß.
Nun, das hat gewiss auf mich ein gutes Stück abgefärbt.
In der Zwischenzeit bin ich kein Antikommunist mehr, aber immer noch jemand, der gern Deutscher ist und immer noch jemand, der Friedrich den Großen über dem Schreibtisch zu hängen hat, weil ich a) eine gewisse Ordnung schätze und b) jeden nach seiner Fasson selig werden lasse.
Gert Flessing
Juliane Keitel (Samstag, 18 Januar 2020 19:35)
Was kann man eigentlich gegen eine Analyse des Gesagten haben? Was haben wir denn anderes als unsere Worte und Taten, an denen wir ablesen könnten, wie die Haltung von jemandem ist?
Herr Flessing, ich würde unsere Unterhaltung an dieser Stelle jetzt gerne beenden und wie Sascha Wildenhain mich erstmal aus dem Forum verabschieden. Es bindet viel Kraft und führt evtl. auf Abwege und Missverständnisse, die vielleicht in einem persönlichen Gespräch leichter zu diskutieren wären. Außerdem bekomme ich auf meine Fragen hier in dem Forum keine Antworten (mehr). Vielleicht sehen wir uns ja mal zu einem der hier rechts stehenden Diskussionsabende.
Abschließend noch ein ein paar Bemerkungen:
Meine These, dass die Frage der "Übersexualisierung", die Sie in #184 aufgeworfen hatten, eher durch konservative Personen oder sich als solche selbst bezeichnenden eingebracht wird, belegt die Diskussion hier deutlich. Sie haben bereits im vorherigen Blog bei #21 formuliert: "Nun denn, das Ziel der Fraktion "Linke und Grüne" oder soll ich "Regenbogenfraktion" sagen, ist erreicht. Aber nein - er hat sich ja immer noch nicht entschuldigt. Da sind ja immer noch Fragen offen... Da muss doch noch mal nachgehakt werden." Damit bringen Sie überhaupt die Frage des Geschlechts oder einer sexuellen Orientierung ein, und zwar in einen völlig sachfremden Zusammenhang, ganz ohne jegliche argumentatorische Notwendigkeit. Ich wüsste nicht, was die Frage des Rücktritts mit queerer Lebensweise irgendwie zu tun hätte. Dass das Thema Homosexualität dann hier immer mal wieder gestriffen wurde, ist auch von Ihnen mit zu verantworten, da Sie sich offenbar herausgefordert fühlten, immer wieder von persönlichen Erfahrungen zu berichten, die man - analytisch gesehen - eher als positive Diskriminierung bezeichnen muss. Damit aber reden wir aneinander vorbei, denn ich hatte eine andere Ebene im Blick: Ich hatte versucht, plausibel zu machen, dass ich das Thema als Exempel verstehe, an dem die Schnittmenge zwischen konservativem und rechtsextremem Gedankengut verdeutlicht werden kann, das sich auch in Ihrer Person und dem, was Sie dazu hier geäußert haben, bricht.
Was ich aber eigentlich wissen wollte und worauf Sie zumindest kaum eingegangen sind, statt dessen aber meist mit Ihrer eigenen (privilegierten, elitären, 'konservativen') Biografie antworteten, war die Frage, wie Sie oder andere Konservative gedenken, den bestehenden Schnittmengen von konservativ und rechtsextrem, die sich in u.a. deutschnational/nationalistischen, homophoben oder positiv-diskriminierenden Ansichten zeigen, zu begegnen. (Für positive Diskriminierung ist übrigens auch Alice Weidel ein Beispiel, deren Lebensweise dann benutzt wird, wenn der AfD - zu Recht! - Homophobie vorgeworfen wird; auch Sie scheinen mit dem Verweis auf Frau Weidel die nachgewiesene Homophobie der Partei anzuzweifeln, was ich nur kopfschüttelnd zur enntnis nehmen kan und sagen muss, dass Sie dieser Argumentation auf den Leim gegangen sind..., ein ähnliches Beispiel positiver Diskriminierung ist auch die Beschreibung einer Ihrer Bekannten aus Ägypten in #115, vorheriger Blog.)
Zu meiner Frage nach den strukturellen Ähnlichkeiten von Konservatismus und Rechtsextremismus und deren Relationierung kam hier leider keine Diskussion zustande, weshalb ich mich nun auch erstmal zurückziehe. Ich würde mich freuen, wenn es hier evtl. nochmal einen Blog geben würde, in dem diese Frage inhaltlich diskutiert wird, ebenso auch die Frage des politischen Engagements der (sächsischen) Kirche, an konkreten Beispielen, die wir um uns herum mehrfach haben (Rücktritte/Bedrohungen von Bürgermeister*innen, die Vorkommnisse in Aue, etc.). Ich finde, dass dieses Forum eigentlich der richtige Ort dafür wäre und bin ein wenig enttäuscht, dass sich die Admins und Initiator*innen/Verwalter*innen da nur selten eingebracht haben.
Es tut m.E. weiterhin dringend not, die Diskussionen darüber zu führen, in Klarheit und Offenheit, also frei & fromm ;-).
Gerhard Lindemann (Sonntag, 19 Januar 2020 17:16)
Ich mache mal mit dem Beispiel von Herrn Flessings Mutter weiter. Wenn wir das auf heute übertragen, zeigt es, dass es sehr viel schwieriger ist, etwas gegen Rechtspopulisten oder Rechtsextreme zu unternehmen, wenn sie an der Regierung sind, als zuvor. Deshalb ist es gerade so wichtig, dass alle Möglichkeiten, die unsere Demokratie bietet, genutzt werden, sie von der Macht fernzuhalten, verbale Grenzüberschreitungen sowie Gewaltakte beim Namen zu nennen und davon Betroffenen beizustehen, zugleich die sog. "Mitte" der Gesellschaft darauf hinzuweisen, was dem demokratischen Verfassungsstaat droht, wenn seine Gegner erst einmal an den Schalthebeln der Macht sitzen. Eine AfD-Beteiligung auf Landesebene würde Kontrolle u. a. über Polizei, Justiz (v. a. mittels der Ernennung von Staatsanwälten), das Schulwesen, Hochschulen und z. B. die historische Erinnerungsarbeit bedeuten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wäre in großer Bedrängnis. Und da besitzen Christ*innen und die Kirche insgesamt ein großes Maß an Mitverantwortung. Man sollte auch das landeskirchliche Agieren im Vorfeld der Landtagswahl bilanzieren - was war in Ordnung und wo wäre mehr Klarheit notwendig gewesen?
In Sachsen gibt es auf lokaler Ebene nicht selten eine Kooperation "bürgerlicher" Parteien mit der AfD. Im Unterschied zum Bundestag hat der Landtag einen AfD-Vertreter mit CDU-Stimmen zum Vizepräsidenten gewählt - einen Mann, der für die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft ist und sich für die Sterilisierung unbegleiteter männlicher Flüchtlinge ausgesprochen hatte. Auch das sollte aufmerksam registriert werden.
Juliane Keitels Vorschlag eines Blogs im Rahmen dieses Forums zu weiterführenden Fragen halte ich für gut, aber es sollte eine ständig offene Kommunikationsmöglichkeit sein zugleich zum Informationsaustausch (es gibt Ereignisse in einzelnen Orten, die darüber hinaus kaum bekannt werden, aber für eine Gesamtübersicht wichtig sind), auch über öffentliche Diskussionen auf Gemeinde- oder Kirchenbezirksebene, für Einschätzungen und zum Entwickeln von Handlungsperspektiven.
Konkret für diskussionswürdig halte ich neben den von Juliane Keitel benannten Punkten auch die Frage, was Einheit der Kirche (Landeskirche) eigentlich heißt.
Gert Flessing (Montag, 20 Januar 2020 14:22)
Lieber Herr Lindemann,
was möchte denn das, was man so schön "Mitte der Gesellschaft" nennt?
Hier, in der Provinz, wünschen sich die Menschen, die ganz normalen Menschen, die einem täglich, als Nachbarn, begegnen, beispielsweise eine stärkere Polizeipräsenz. Warum? Weil sie das Gefühl haben, das nicht genügend gegen Vandalismus gemacht wird. Aber auch, dass die Polizei mehr Befugnisse hat.
Wenn man ihnen erzählt, das es Menschen gibt, die das neue Polizeigesetz ablehnen, verstehen sie die Welt nicht mehr.
Dazu muss ich sagen, dass es hier sehr wenig Vandalismus gibt und alles sehr ruhig und friedlich abläuft.
Sie schimpfen über das s.g. "öffentlich rechtliche", weil es ihnen nicht interessant genug ist und man für "Mist, den keiner sehen will" Geld bezahlen muss.
Ihr Interesse an der Politik ist nicht eben groß und ihr klagen entspringt einem Gefühl.
Wie kann man solche Menschen erreichen und für das, was unsere Demokratie ausmacht, nämlich persönliche Teilhabe, auch nur interessieren?
Ich weiß es nicht. Aber ich spüre, wie mein eigenes Interesse langsam erlischt.
Ich habe ja auch hier meine Gedanken und Erfahrungen eingebracht. Ich tat das, mit den Worten, die mir zur Verfügung stehen. Das Ergebnis ist, das ich einsortiert werde, weil da nun mal, an Hand meiner Sprache möglich ist.
Dazu dienen dann auch noch Hilfskonstruktionen, wie "positive Diskriminierung", weil ich eine junge Frau mit ägyptischen Wurzeln, als gelungenes Beispiel für Integration dargestellt habe.
Sorry, ich lebe in der Welt und in keinem Wolkenkuckucksheim und da fällt so etwas halt positiv auf.
Wer denkt, das sich Leben und Meinungen auf die eigenen theoretischen Vorstellung, wie es zu funktionieren hat, zusammenschrumpfen lässt, irrt.
Gerade als Christ weiß ich, das ich frei bin und mich nicht zu der Menschen Knecht machen lassen muss. Daher lehne ich es ab, das Leben durch irgend eine ideologische Brille zu sehen.
Aber das soll jeder handhaben, wie er es möchte.
In aller Klarheit sage und sagte ich, dass ich die AfD nicht für wählbar halte. Sie trägt in sich rechtsextreme Gedanken und das ist nun einmal mit unserer Demokratie nicht vereinbar.
Ich denke, das wir uns darin einig seien dürften.
Gert Fessing
PS. Natürlich habe ich Klemperers LTI gelesen, treibt sich wohl auch noch in meiner Bibliothek rum. Ein sehr angenehmes Buch eines Meisters der Sprache. Wer weiß, wessen Sprachgewohnheiten er heute beleuchten würde.
G.F.
Kathrin Mette (Administratorin) (Dienstag, 21 Januar 2020 14:13)
Liebe Diskutierende, Ihren letzten Äußerungen entnehme ich, dass der Diskussionseifer langsam erlahmt. Es war ja auch wirklich ein langes und intensives Gespräch. Ich möchte diese Diskussion daher gern schließen und werde das heute abend tun.
Danke für Ihre Beiträge!