Der Aufbruch von Lesben und Schwulen in der Landeskirche Sachsens in den 80er Jahren

Knipseline / pixelio.de
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Beim folgenden Text handelt es sich um eine Zusammenfassung der Examensarbeit von Markus Löffler unter dem Titel: "Das Thema „Homosexualität“ in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens in den 1980er Jahren." Die Hausarbeit wurde im Rahmen der Ersten Theologischen Prüfung der Theologische Fakultät der Universität Leipzig geschrieben und von Prof. Dr. Klaus Fitschen betreut. Sie basiert auf der Auswertung historischer Quellen in verschiedenen Archiven in Sachsen und Berlin. Die Arbeit wurde mit dem Marianne-Menzzer-Preis 2015 und dem Kurt-Nowak-Preis der Theologischen Fakultät ausgezeichnet.

Wir danken Markus Löffler für die Zusammenfassung und die Erlaubnis zur Veröffentlichung auf dieser Seite.


Christian Pulz: „Wir haben der Kirche beide eine Schwulenbewegung an den Hals gearbeitet, auf die wir eigentlich stolz sind.“

Eduard Stapel: „Ja. Ja.“

Christian Pulz: „Das kann man so sagen.“

Eduard Stapel: „Das hat weltweit niemand geschafft.“

Auszug aus dem dokumentarischen Film „Out in Ost-Berlin. Lesben und Schwule in der DDR“ von J. Hick und A. Strohfeldt 2013, 47:52-48:02

 

Am 25.04.1982 wurde der erste kirchliche Arbeitskreis „Homosexualität“ der DDR in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens gegründet. Er war Teil der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) Leipzig. Zum ersten Mal organisierten sich damit Lesben und Schwule öffentlich und erfolgreich in der DDR. Der Versuch der „Homosexuellen Interessengemeinschaft Berlin“ ab 1973 für eine gesell-schaftliche Anerkennung von Lesben und Schwulen einzutreten, war Ende der 1970er Jahre an büro-kratischen Hürden gescheitert. Kurz zuvor war mit der Strafrechtsreform 1968 die Strafbarkeit homo-sexueller Handlungen zwischen Erwachsenen nach §175 StGB abgeschafft worden. Die rechtliche Novelle führte jedoch nicht automatisch zu einem gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit nicht-heterosexuellen Lebensformen. Während staatliche Initiativen zunächst ausblieben, unterstützten die evangelischen Landeskirchen die Emanzipation von Lesben und Schwulen.

In der sächsischen Kirchenzeitung „Der Sonntag“ veröffentlichte der neu gegründete Briefberatungs-dienst Leipzig 1980 drei Texte, um für seine Seelsorgearbeit zu werben. Dabei griff er auch die Situation von Lesben und Schwulen auf: „Homosexualität ist weder eine Krankheit noch ein perverses sexuelles Verhalten.“ Es handele sich vielmehr um eine normale Form menschlicher Sexualität. „Wir müßten uns fragen, was es uns so schwer macht, einem Menschen, von dem wir wissen, daß er homosexuell veranlagt ist, vorurteilslos zu begegnen, zu akzeptieren und ihn genauso wert zu halten wie andere auch“ (Der Sonntag, 10.02.1980). Die Redaktion der Zeitung erhielt daraufhin zahlreiche Kritik und distanzierte sich zwei Monate später von den Texten. Es handele sich nicht um „Grundsatzartikel“ sondern um „Anzeigen“ und daher „spiegelt sich in ihnen auch nicht die Meinung des Sonntags zu den aufgeworfenen Fragen“ (Der Sonntag, 13.04.1980). Die Episode zeigt, dass die Neubewertung in der Sexualethik zu diesem Zeitpunkt keineswegs eine breite Unterstützung fand.

Im Januar 1982 organisierte die Evangelische Akademie Berlin-Brandenburg unter Leitung von Elisabeth Adler und Manfred Punge eine Tagung zum Thema „Kann man darüber sprechen? Homosexualität als Frage an Theologie und Gemeinde“. Sie gab den entscheidenden Impuls zur Entwicklung der kirchlichen Arbeitskreise, da auf der Tagung neben gesellschaftlicher Aufklärungsarbeit auch die Bildung von Gesprächsgruppen gefordert wurde. Neben dem Kreis der ESG Leipzig traf sich ab Herbst auch regelmäßig eine Gruppe der Inneren Mission Berlin-Brandenburg. Ähnliche kirchliche Gruppen bildeten sich bis zum Ende der DDR in allen größeren Städten. Erst Ende der 80er Jahre öffneten sich auch FDJ-Klubs für Lesben und Schwule.

Der Arbeitskreis der ESG Leipzig war bis zuletzt einer der größten und aktivsten Gruppen von Lesben und Schwulen in der DDR. Zum Eröffnungsvortrag kamen etwa 150 Personen. An den regelmäßigen Treffen alle zwei Wochen nahmen durchschnittlich 50 bis 70 Menschen teil. Der Arbeitskreis erreichte vor allem Männer, darunter auch viele, die nicht studierten und sonst keinen Kontakt zur Kirche hatten. Entsprechend wurde immer wieder die Selbständigkeit des Kreises hervorgehoben. Dafür wurde ein eigener Leitungskreis eingerichtet, der das Programm für jedes Semester organisierte und mit der Studentengemeinde und dem Studentenpfarrer abstimmte. Ursprünglich war der Arbeitskreis aus dem Freundeskreis von Christian Pulz heraus gegründet wurden. Pulz hatte in den 60er

Jahren Theologie studiert, arbeitete dann aber als Buchhändler und zog 1982 nach Berlin, wo er die

„Homosexuelle Selbsthilfe“ gründete. Der Leipziger Arbeitskreis wurde zudem durch das Engagement

von Eduard Stapel geprägt. Stapel studierte Theologie am Theologischen Seminar Leipzig und wurde

1984 ins Vikariat in Magdeburg übernommen. Für den Eröffnungsvortrag konnte er den Praktischen

Theologen Jürgen Ziemer gewinnen, der über „Homosexualität in Theologie, Kirche und Gesellschaft“

sprach. Er vertrat eine Neuorientierung der Ethik unter dem Leitbegriff der Liebe und trat für eine

„Enttabuisierung“ ein. Die Anbindung der Gruppe an die Landeskirche entsprang nicht nur einer politischen

Notwendigkeit, sondern war von einem kirchlich-diakonischen Selbstverständnis getragen.

Im November erhielt der Studentenpfarrer Dieter Ziebarth Besuch aus Dresden. Oberlandeskirchenrat

Fritz und Landesbischof Hempel informierten sich über die Vorgänge in Leipzig und forderten einen schriftlichen Bericht an. Die Gründung des Arbeitskreises war kurz zuvor auf dem Klausurkonvent

der Kirchenleitung thematisiert worden, nachdem „Der Sonntag“ im Juni davon berichtet hatte.

Die Kirchenleitung entschloss sich auf ihrem Konvent zu einer theologischen Klärung im Umgang mit

Lesben und Schwulen und beauftragte eine Studie bei der Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR. Für die Begleitung des Prozesses wurde durch die Kirchenleitung eine eigene Arbeitsgruppe gegründet, die unter anderem im Juni 1983 Mitglieder des Leipziger Kreises zum Gespräch einlud. Der Arbeitskreis zog danach eine positive Bilanz: „der Bischof [halte] persönlich das Bestehen des Arbeitskreises Homosexualität für möglich und sinnvoll“ und außerdem sei die Kirchenleitung „der Überzeugung, daß Diskriminierung abgebaut werden müssen, konkrete positive Schritte jedoch aufgrund kultureller Traditionen und gegensätzlichen Schriftverständnisses der Bibel schwer“ seien (Jahresbericht des Arbeitskreises für das Jahr 1983).

Die Kirchenleitung blieb jedoch in ihrem öffentlichen Auftreten zurückhaltend. Auf der Herbstsynode

im Oktober 1983 stellte sie den Synodalen noch eine Stellungnahme in Aussicht. Als jedoch im Dezember

die angeforderte Studie eintraf, rückte sie von einem förmlichen Beschluss ab. Stattdessen veröffentlichte Landesbischof Hempel seine „persönliche Überzeugung“ im Osterrundbrief 1984. Er versuchte dabei einen tragfähigen Konsens zu formulieren. Einerseits ermutigte er die Gemeinden Offenheit zu signalisieren, damit Lesben und Schwule „mehr Möglichkeiten empfangen, angstfreier unter uns zu leben.“ Andererseits vermied er eine theologische oder moralische Bewertung, die polarisierend wirken könnte.

Im Gegensatz dazu ließ die Studie „Homosexuelle in der Kirche?“ der Theologischen Studienabteilung

eine klare Position erkennen. Sie wurde von Manfred Punge geschrieben, der 1982 die erste Tagung

zum Thema organisiert hatte und mittlerweile an die Studienabteilung gewechselt war. Punge hatte

sich schon im März 1983 mit einem Artikel in der Berlin-Brandenburgischen Kirchenzeitung „Die Kirche“ klar positioniert: Homosexualität sei eine normale Form der Sexualität. Die Forderung nach einer Anpassung an die heterosexuelle Mehrheit verurteilte er als „Sünde“, da sie „eine Mißachtung ihrer Geschöpflichkeit, ihres Sogeschaffenseins, eine Beeinträchtigung der ihnen gegebenen Liebesfähigkeit, einen zerstörerischen Eingriff in ihre Persönlichkeit“ darstelle (Die Kirche, 06.03.1983).

Ähnlich wie Ziemer forderte Punge in seiner Studie eine Neuorientierung der christlichen Sexualmoral

unter dem Leitbegriff der Liebe.

Die klare Stellungnahme von Punge und der vermittelnde Ansatz des Landesbischofs blieben nicht

unbeantwortet. Im Oktober 1984 verfasste Pfarrer Christoph Richter einen „Alternativ-Beitrag“. Richter

gehörte als Vertreter der charismatischen Bewegung seit 1972 zur Kirchenleitung. In seiner Schrift

kritisierte er pauschal die Wissenschaftlichkeit der Studie ohne dafür konkrete Belege anzuführen.

Punge habe „im Ganzen selektiv zitiert und tendenziös argumentiert“ (Alternativ-Beitrag 1984, 2).

Richter selbst geht von der Verurteilung praktizierter Homosexualität in verschiedenen Texten der Bibel aus. In Folge wirbt er ausführlich für die sogenannte „Anti-Selbstmitleids-Therapie“ des niederländischen

Psychologen Gerard van Aardweg und will „die volle Wiederherstellung der Heterosexualität“ (Alternativ-Beitrag 1984, 8).

Christoph Richter war nicht der erste, der sich öffentlich gegen die Emanzipation von Lesben und Schwulen in der Landeskirche wandte. Schon im Juni 1983 verabschiedete der Landesbruderrat der

Bekennenden Kirche Sachsens das Papier „Kirche und Homosexualität. 32 Thesen“ und schickte es als

Rüstbrief an seine Mitglieder. Zu dieser Zeit zählte fast ein Viertel der sächsischen Pfarrer zur Bekennenden Kirche, die sich damals vor allem zu gesellschaftspolitischen Themen positionierte.

In den „32 Thesen“ wird Homosexualität als „Folge des Sündenfalls“ und als „Wesenssünde“ theologisch verurteilt (These 7). Daneben steht zwar die Forderung nach einer annehmenden Grundhaltung gegenüber

Lesben und Schwulen bis hin zur „Gewährung von Hilfe, wenn sie Verleumdung, Unrecht und Gewalt ausgesetzt sind“ (These 18). Damit ist jedoch keine Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Liebe verbunden. Ziel ist eine Seelsorge, die „die Gefahr des Heilsverlustes bewußt machen, ihren Leidensdruck mildern und den Rückweg zu normaler Sexualität […] öffnen [soll], wenn dies möglich ist“ (These 19). Dementsprechend werden strenge Auflagen für Lesben und Schwule im Pfarramt gefordert.

Grundsätzlich seien „Dämme gegen das Eindringen von Invertierten [d.h. Lesben und Schwule, ML] ins Amt aufzurichten“ (These 23).

Das Motiv der Bedrohung der Kirche durch die Emanzipation von Lesben und Schwulen dominierte

auch die anderen beiden Rundbriefe der Bekennenden Kirche. Die polemische Grundeinstellung äußert sich zum Teil in stark diskriminierenden Behauptungen. So erschien im Juli 1983 die Stellungnahme eines sächsischen Kirchvorstehers, der die Einschränkungen in der Berufswahl mit der Situation von Behinderten verglich und diese deshalb aufrechterhalten wollte. Im Oktober 1984 versandte der Landesbruderrat dann einen Vortrag des Leipziger Kirchenhistorikers Dr. Karlheinz Blaschke unter dem Titel „Homosexualität als sozial-kulturelles Problem in biblischer Sicht“. Der Text wurde am 28.04.1985 vollständig in der Kirchenzeitung „Die Kirche“ als Gegenbeitrag zu den Texten von Manfred Punge gedruckt und löste dort eine heftige Leserbriefdiskussion aus. Blaschke ließ keinen Zweifel

daran, dass für ihn „das Bestehen der Menschheit“ auf dem Spiel stehe. Ehe und Familie könnten dauerhaft in den Hintergrund gedrängt werden. Für ihn drohe „das soziale und moralische Chaos“.

Blaschke verstand die Ausbreitung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen als „typische Erscheinung von Spätkulturen“, die bei den „‚sittenreinen‘ Germanen“ nicht vorgekommen sei, und ordnet sie damit in eine völkische Dekadenztheorie ein. Theologisch sieht er einen klaren Widerspruch zur

„Schöpfungsordnung“. Es sei daher sein erklärtes Ziel, „die Homosexualität einzudämmen“. Zwar gestand er zu, Lesben und Schwule wie „allen anderen Arten von Behinderten“ anzunehmen. Gleichzeitig polemisierte Blaschke in seinem Artikel noch deutlicher als andere gegen ihre „militantmissionarische Minderheitsideologie“ und lehnte eine weitergehende gesellschaftliche Emanzipation grundsätzlich ab (Die Kirche, 28.04.1985).

Die unterschiedlichen theologisch-ethischen Positionen trafen auf der ersten Tagung der Evangelischen

Akademie Meißen im März 1986 deutlich aufeinander. Oberlandeskirchenrat Fritz hatte in seinem Vortrag zurückhaltend aber bestimmt dafür argumentiert, die „Liebe Jesu Christi“ zum Maßstab zu machen und deshalb „die Verurteilung und Diskriminierung eines Homosexuellen […] als Sünde“ zu betrachten. Diese relativ klare Haltung wurde von einem Mitglied des Leipziger Arbeitskreises als „eine kleine Sensation“ bewertet (Privater Tagungsbericht 1986). In der anschließenden Diskussion traten jedoch Jochen Ihmels, Vorsitzender des Landesbruderrates, und Karlheinz Blaschke auf und bezweifelten die Notwendigkeit einer Neubewertung der Sexualmoral. Stattdessen forderten sie die strengere Berücksichtigung der biblischen Aussagen und warnten vor dem fehlenden Verständnis der Mehrzahl der Gemeinden. Fritz blieb jedoch bei seiner Position.

In der Zwischenzeit hatten sich Lesben und Schwule auch in anderen Städten in kirchlichen Gruppen

organisiert. Der Leipziger Arbeitskreis nutzte vor allem die Regionalkirchentage im Lutherjahr 1983,

um seine Arbeit in verschiedenen Landeskirchen zu präsentieren. In der Folge entstanden Arbeitskreise

in Magdeburg, Eisleben, Erfurt und Dresden. Ursprünglich hatte der sächsische Kirchentagsausschuss der ESG Leipzig untersagt, den Arbeitskreis „Homosexualität“ auf dem Markt der Möglichkeiten vorzustellen. Die Beschwerden des Studentenpfarrers bei der Kirchenleitung blieben erfolglos.

Dennoch gründete sich noch 1983 ein Arbeitskreis in der Dresdner Studentengemeinde, der anders

als in Leipzig stärker von Frauen frequentiert wurde und zudem von einem Beirat der Superintendentur

Unterstützung erhielt. Ein Jahr später entstand ein weiterer Kreis in der Studentengemeinde

Karl-Marx-Stadt, der 1986 als „Arbeitskreis Jonathan“ von der Dietrich-Bonhoeffer-Kirchgemeinde

aufgenommen wurde, während sich in der ESG ein neuer Arbeitskreis bildete. 1986 entstand ein

Kreis bei der Stadtmission Zwickau, 1989 in Plauen. Zur gleichen Zeit wurden in Dresden, Leipzig und

Karl-Marx-Stadt die ersten nicht-kirchlichen Gruppen in den FDJ-Klubs zugelassen. Sowohl kirchliche als auch nicht-kirchliche Arbeitskreise trafen sich jährlich zu Koordinierungs- und Mitarbeitertreffen.

Während sich auf der Ebene der kirchlichen Arbeitskreise viel bewegte, blieb die Frage der Zulassung von Lesben und Schwulen zum Pfarramt weiter offen. Die Studentenpfarrerkonferenz stellte 1985 eine Anfrage an die Konferenz der Kirchenleitungen mit Verweis auf die schwierige Situation von

homosexuellen Theologiestudierenden, die nach der Verweigerung der Ordination von Eduard Stapel

1985 verunsichert waren. Der Vorsitzende der Konferenz antwortete, dass eine gemeinsame Stellungnahme aufgrund deutlicher Differenzen nicht möglich sei, wohl aber ein Verzicht auf das Ausleben

gleichgeschlechtlicher Neigungen eine notwendige Voraussetzung wäre. Tatsächlich beschloss der Bischofskonvent im Juni 1986 ein Votum, nach dem eine Ordination je im Einzelfall geprüft werden müsse. Die Forderung nach Enthaltsamkeit wird theologisch damit begründet, dass zwar gleichgeschlechtliche

Handlungen als Sünde gelten würden, nicht jedoch die sexuelle Orientierung.

Der sächsische Landesbischof Johannes Hempel griff dieses Thema in seinem nächsten Rundbrief im

April 1987 auf. Dabei grenzte er sich zunächst sowohl von Manfred Punge wie von Karlheinz Blaschke

deutlich ab. Für ihn sei Homosexualität weder eine „Schöpfungsvariante“ noch eine „Behinderung“.

Vielmehr zähle er das Phänomen „zu den Geheimnissen bzw. Rätseln der von Gott abgefallenen und von ihm dennoch erhaltenen Schöpfung“ (Osterrundbrief 1987). Trotz dieses verhaltenen Urteils

geht Hempel über das Votum des Bischofskonvents hinaus und legt eine Reihe sehr klarer Bedingungen

zur Ordination von Lesben und Schwulen vor: 1. eine abgeschlossene Ausbildung, 2. Verzicht auf Werbung für Homosexualität, 3. das Ja des Kirchenvorstandes zur Person, und 4. keine Partnerschaft im Pfarrhaus.

Der Hintergrund dieser Bedingungen, den der Landesbischof unerwähnt lässt, bildet das Verfahren

gegen einen Pfarrer im Kirchenbezirk Bautzen, der sich im Sommer 1986 als schwul geoutet hatte. Er wurde daraufhin vom Landeskirchenamt vorgeladen und mit den Bedingungen konfrontiert, die die Kirchenleitung kurz vorher beschlossen hatte. Der Pfarrer lehnte die Bedingungen ab und forderte eine uneingeschränkte Gleichbehandlung. Er wiederholte diese Position auch im anschließenden Gespräch mit dem Landesbischof und bei der nächsten Sitzung des Kirchenvorstandes. Der Kirchenvorstand beschloss daraufhin unter Leitung des zuständigen Superintendenten den Antrag auf Versetzung.

Im Rahmen des nun anlaufenden Prozesses akzeptierte der Pfarrer doch noch die Bedingungen

der Kirchenleitung, um eine Entlassung abzuwenden. Er konnte deshalb im Pfarramt bleiben.

Allerdings fehlte eine passende Stelle in der Nähe seines Lebenspartners, so dass er schließlich in den

Wartestand versetzt wurde. Erst 1991 wurde ihm eine neue Stelle in einem Sonderpfarramt angeboten,

die er annahm.

Im Frühjahr 1989 resümierte er: „Vor inzwischen sieben Jahren, also zeitig genug, haben Betroffene die anstehenden Fragen selbst aufgeworfen. Es waren bisher für sie recht magere Jahre. Es kann nun

nur besser werden, oder?“ (Tagungsbericht, unveröffentlicht 1989). Tatsächlich brachte die Friedliche Revolution für Lesben und Schwule in der DDR deutliche Verbesserungen. Im Februar 1990 wurde in Leipzig unter maßgeblichem Einfluss von Eduard Stapel der Lesben- und Schwulenverband

(LSVD) gegründet, der fortan die politischen Anliegen von Lesben und Schwulen in Deutschland vertrat.

Die kirchlichen Arbeitskreise verloren unterdessen an Bedeutung, lösten sich auf und gerieten in Vergessenheit. Bis heute ist der Wandel der Sexualmoral in den Landeskirchen umstritten. Gerade in der Landeskirche Sachsens wird Menschen in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft nur in Einzelfällen

ein Gemeindepfarramt übertragen. Eine öffentliche Segnung ist weiterhin ausgeschlossen.

 

Die Arbeit basiert auf der Auswertung schriftlicher Quellen in folgenden Archiven:

- Archiv der Evangelischen Studentengemeinde Leipzig

- Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V.

- Evangelisches Zentralarchiv Berlin

- Pressearchiv der Kirche Berlin-Brandenburg

- Privatarchive


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